17. Oktober 2025

Der Radweg, der kein Radweg ist

Blogleser Andreas hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass der Radverkehr für Schülerinnen und Schüler zwischen Nellingen und Ruit über einen Gehweg abgewickelt wird, der fürs Fahrrad nur freigegeben ist. 

Für Autofahrende gibt es die Rinnenbachstraße. Zwischen Nellingen und Ortseingang Ostfildern ist der schmale Asphaltweg neben der Fahrbahn nicht per Verkehrszeichen definiert. Kurz vor der Brücke der Rinnenbachstaße über die Breslauer Straße Richtung Ruit ist der Weg, auf dem man mit dem Fahrrad kommt, als Gehweg ausgezeichnet, der per Zusatzschild fürs Radfahren freigegeben ist, übrigens in beide Richtungen. 

Das bedeutet, dass alle Radfahrenden nur noch Schrittgeschwindigkeit fahren dürfen, egal, ob da jemand zu Fuß geht oder kein Mensch unterwegs ist. Niemand - wirklich niemand - radelt mit zwischen 4 und 7 km/h über lange Strecken vor sich hin. Da könnte er oder sie ja auch gleich zu Fuß gehen. Das ist keine Radinfrastruktur, das ist Unfug. Wir empfinden schon 10-12 km/h als sehr langsam, ein Fahrrad nur mit 7 km/h zu steuern, kommt einem extrem langsam vor und wird schnell kippelig. 

Selbstverständlich darf man auf der Fahrbahn radeln. Die allerdings ist zu eng, um Radfahrenden Raum zu lassen. Da braucht es starke Nerven. 

Die Rinnenbachstraße ist in zwei Fahrspuren mit Mittellinie aufgeteilt und schätzungsweise zwischen 6 und 7 Meter breit. Autos sind heute gut zwei Meter breit. Ein Autofahrer kann ein Fahrrad nicht auf gleicher Fahrspur überholen, er muss auf die Gegenfahrbahn und deshalb immer den Gegenverkehr abwarten. Auch wenn es eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h gibt, beträgt der Geschwindigkeitsunterschied zu zu einem Fahrrad (17 - 27 km/h) immer noch zwischen 25 und 35 km/h, wenn sich Autofahrende an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Sie müssen schon ordentlich abbremsen. Und das will man wohl weder Autofahrenden noch Radfahrenden zumuten. Man kann sich auch schwer vorstellen, dass Gruppen von Schüler:innen auf der Fahrbahn vor sich hin radeln. Deshalb gibt man den Gehweg frei. Wie die gestaltet werden sollen, steht in den Musterlösungen für Radverkehrsanalgen Baden-Württemberg. Dabei wird nicht problematisiert, dass Radfahrende hier nur in Schrittgeschwindigkeit vorankommen dürfen. 

Autofahrende halten das für einen Radweg.
Blogleser Andreas radelt die Strecke durchaus auch auf der Fahrbahn, hat aber - wie immer in solchen Fällen - die Erfahrung gemacht, dass Autofahrende den Gehweg für einen Radweg halten und einige hupen, strafknapp überholen oder eine Belehrung aus dem Fenster brüllen. Autofahrende sehen nämlich das Radzeichen unter dem blauen Schild, sie sehen die frisch rot gefärbten Radfurten, die von Gehwegecke zu Gehwegecke über Einmündungen gemalt wurden, und sie sehen Schülerinnen und Schüler und zu anderen Zeiten auch viele andere auf dem Gehweg radeln. Folglich ist das der Radweg. 

Auch Radfahrende halten das für einen Radweg.  Sie sehen dasselbe wie die Autofahrenden und sie sehen darüber hinaus beim Kreisverkehr Kircheimer-, Zinholsstraße und Bonhoefferstraße auf dem Gehweg Radzeichen mit zwei  entgegengesetzten Richtungspfeilen aufgebracht, die diese Fläche als nicht benutzungspflichtigen Radweg ausweisen (auch Bodenmarkierungen sind Verkehrszeichen). Sie können gar nicht anders, als sich auf einem Radweg zu glauben, auf dem sie unbefangen so schnell fahren dürfen und auch fahren, wie es die Verkehrssituation erlaubt. Und auf dem man Fußgänger:innen auch mal beiseite bimmelt. Viele dürften auch gar nicht wissen, das sie nur Schrittgeschwindigkeit fahren dürfen.

Es ist aber kein Radweg

Nach dem Ortsschild Ruit werden Radfahrende dann vom Gehweg vor die Autokühler geworfen, das heißt per rot markierter Spur auf die Fahrbahn geleitet. Die Weiterfahrt auf dem Gehweg ist ab der Fußängerampel kurz vor der Bushaltestelle verboten, und dies wird durch das Verkehrszeichen "Gehweg" bekräftigt, das man gleich zwei Mal in Fahrtrichtung Ruit Zentrum sieht, obgleich das zweite vermutlich den Seitenweg meint. 

An solchen Stellen, wo aus zwei Spuren (oder Radweg und Fahrbahn) eine Spur wird, ist immer die Frage, wer Vorrang hat, der Radler, der auf der kurzen Radspur (von rechts) kommt oder der Autofahrer, der auf seiner Fahrspur kommt. Die Frage ist nicht so einfach zu klären und selbst, wenn Spezialisten eine  Antwort parat haben, die Verkehrsteilnehmenden haben divergierende Vorstellungen, denn sie sind keine Spzeialist:innen für Verkehrsrecht. 

Eine genaue Regelkenntnis ist ungünstig. An der routinemäßigen Radfreigabe von Gehwegen samt Ausstaffierung wie ein Radweg sehen wir, dass es gar keinen Sinn hat, die Verkehrsregel zu genau kennen. Denn man kann sie schlichtweg nicht befolgen. Mal kurz Schrittgeschwindigkeit radeln geht, aber nicht über hunderte von Metern oder gar Kilometern.  In einem Urteil hat das Oberlandesgericht Hamburg 2023 festgestellt, dass "Radfahrer keine qualifizierten Fußgänger" sind, von denen man nach Belieben verlangen dürfe, vom Rad abzusteigen und zu schieben. Schieben müssen Radfahrende auf freigegeben Gehwegen zwar nicht, aber sie dürfen auch nicht schneller sein als Fußgänger:innen und damit werden sie de Facto mit Fußgänger:innen gleichgesetzt. Leute, die sich an die Verkehrsregel halten möchten, können wählen zwischen in Angst (und voller Stress) auf der Fahrbahn radeln oder regelwidrig radeln. Das ist keine akzeptable Alternative. 

Das Dilemma steckt übrigens in unserer StVO. Wären Radwege mit blauen Schildern nicht benutzungspflichtig oder müsste man auf freigegebenen Gehwegen nicht auch dann Schrittgeschwindigkeit radeln, wenn kein Fußgänger unterwegs ist, dann gäbe es dieses Problem nicht. So aber bringen wir unseren Schülerinnen und Schülern bei, dass man es mit den Verkehrsregeln nicht so genau nehmen muss, soll und kann. (Und mit dieser Erfahrung beginnen sie dann irgendwann Auto zu fahren.) 

Schon klar. Es fehlt wieder mal Platz für den Radverkehr. Nur der Autoverkehr hat Platz, und am Rand darf der Fußverkehr sich bewegen. Man kann den Gehweg hier nicht einfach als gemeinsamen Geh- und Radweg ausweisen, dafür ist er an vielen Stellen zu schmal und häkelig, allemal als Zweirichtungsradweg im Mischverkehr mit Fußgänger:innen. Und warum auch sollen erfahrende Radler:innen und Radpendler:innen eigentlich auf schlechten Radwegen fahren, während die Autofahrenden auf ihren Fahrspuren freie (und sogar vom Radverkehr befreite) Bahn haben? 

Ist der Verwaltung wirklich klar, was sie da von uns Radfahrenden fordert? Ich vermute, dass die Verkehrsplanung und Verkehrsbehörden, die so was anordnen, überhaupt nicht klar ist, in welches Dilemma sie Radfahrende von Jugend an stürzen, wenn sie sie so unmissverständlich dazu auffordern, mit dem Fahrrad den Gehweg zu benutzen, auf dem sie dann nicht anders können, als regelwidrig zu schnell unterwegs zu sein.

Rechtlich sind die Städte und Kommunen fein raus. Doch dafür haften die Radfahrenden und die Eltern der radelnden Schüler:innen. Und zwar immer. Stößt ein Radfahrer mit einem Fußgänger zusammen, ist der Radfahrer allein schuld. Er kann nicht darauf verweisen, dass der Fußgänger urplötzlich aus einem Gartentor kam oder einen Schritt zu Seite gemacht hat. Das heißt, der/die Radfahrer:in haftet für alles. Er/sie bezahlt die Unfallfolgen für den Fußgänger und sich selbst allein. Eine Haftpflichtversicherung sollte man da schon haben. 

Kommt es wiederum an einer Seitenstraßeneinmündung zum Crash eines Autofahrers mit einem Radfahrer (wie mir 2021 passiert), dann wird dem Radler automatisch eine Mitschuld zugesprochen (25 Prozent des Schadens auf eigene Kosten), weil die Polizei davon ausgeht, dass man mit dem Rad mit mehr als Schrittgeschwindigkeit vom Bordstein auf den Radstreifen gefahren ist, auf dem man Vorrang hat. Und man kann davon ausgehen, dass die Polizei mit der Vermutung so gut wie immer richtig liegt. 

Die Fotos sind von Blogleser Andreas. Vielen Dank dafür. 


4 Kommentare:

  1. Danke für den Beitrag. Ich fahre diese Strecke seit 1988 fast täglich,früher zur Schule, heute zu meinem Arbeitgeber. Lange Zeit habe ich das auch für einen echten Radweg gehalten, weil ich es eben schon als Kind so kennengelernt habe. Die roten Markierungen sind ein zweischneidiges Schwert. Sie vermitteln den Eindruck, dass es sich dabei um einen echten Radweg handelt. Dadurch wurden gefährliche Situationen durch abbiegende Kraftfahrzeuge allerdings tatsächlich reduziert. Davor kam es gefühlt bei jeder zweiten bis dritten Fahrt dazu, dass einem die Vorfahrt genommen wurde. Heute ist es eher einmal die Woche. Auch wird beim Halten ein bisschen mehr darauf geachtet, nicht auf dem roten Streifen zu stehen.

    Wer das aber komplett ignoriert, ist der Busverkehr, der hier entlangfährt. Besonders kritisch ist die oben erwähnte Auffahrt in Ruit. Es gibt keine legale Möglichkeit für Radfahrende, auf den Weg zu gelangen. Die Abfahrt wurde ja oben schon sehr gut beschrieben. Der Weg direkt am Kreisverkehr zur Sportschule ist ebenfalls ein Gefahrenpunkt, der nur mit der vorgeschriebenen Schrittgeschwindigkeit sicher durchfahren werden kann. Zu oft kommt einem hier plötzlich jemand entgegen, der vorher durch die Hecken verdeckt war.

    Dass bei der Einmündung zur Parksiedlung die Sicht von und auf Kinder mit Fahrrädern durch die Stromkästen gegen null geht, ist ebenfalls problematisch. Dass sich auf der Straße bei Regen direkt neben dem Rand tiefe Pfützen bilden, die von durchfahrenden Kfz gerne mal als zwei Meter hohe Wasserwand auf einen zukommen, ist nur das Sahnehäubchen.

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  2. Sorry für die Pedanterie, aber kippelig und kibbelig sind zwei verschiedene Wörter.

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