Am Wilhelmsplatz in Stuttgart (nicht in Cannstatt) sind die Radstreifen neu gemacht und teils neu verlegt worden.
Kommt man vom Tagblattturm wird man an der Fußgängerampel immer noch mitten in die Fußgänger auf den uralten roten Radweg geleitet.
Da spazieren jede Menge Leute. Die Radampel ist jetzt klein und steht einem vor der Nase. Schön.
Gar nicht schön ist es aber, wenn man von der anderen Seite kommt. Das ist ein Parcour für Fortgeschrittene. Und einer Ampel, an der man gut 3 Minuten steht.
Fährt man von der Olgastraße runter zum Wihelmsplatz, dann stößt man auf eine Radinfrastruktur, die man kennen muss, um sie richtig zu fahren. Das ist nur etwas für Radfahrende, die mit allen Stuttgarter Wassern gewaschen sind, für leidenschaftliche "Mitten auf der Fahrbahn"-Radler/innen.
Was zunächst an der Ampelanlage Katharinenstraße so arglos hübsch und geregelt aussieht, erweist sich beim Befahren mit dem Rad als anspruchsvoller Schlingerkurs durch Autos. Denn so sieht es meist nicht aus wie auf der Collage links. Meist stehen da Autos manche halb auf dem Radstreifen, manche sind auf den Aufstellplatz für Radler vorgefahren. Oder sie sind schon gestartet und man radelt rechts neben den rollenden Fahrzeugen vor. Einer biegt vor einem nach rechts ab, fast alle schneiden die Kurve ziemlich eng am Bordstein entlang, und sie sehen die Radler neben sich oder halb hinter sich nicht.
Wer rechts radelt, ist verloren
Danach sollte man sich so schnell wie möglich hinter dem vor einem fahrenden Auto und vor dem nachfolgenden Auto einordnen, sonst trifft man den roten Radstreifen nicht, der aus unserer Radlersicht links von der Fahrbahn beginnt. Wer gewohnt ist, bescheiden am rechten Rand einer Fahrbahn zu radeln, wird auf die Rechtsabbiegespur für Autos abgedrängt und muss sich mühsam durch die von hinten kommenden Autos nach links auf die rote Radspur durchfädeln. So wie dieser Radfahrer.
Er muss am Ende von ganz rechts vor dem weißen Auto nach links zum Radstreifen schwenken.
Diesem Radler ist das nicht mehr gelungen. Er hat gar nicht durchschaut, wie die Streckenführung für ihn ist. Er ist tradtitionsgemäß immer brav sehr weit rechts am Fahrbahnrand gefahren. Den Radstreifen hat er nicht als für sich gedacht oder nicht als erreichbar betrachtet. Auf der Rechtsabbiegespur ist er bis ganz nach vorne gefahren und dann, ohne auf die rote Geradeausampel zu achten, weiter auf den Platz hinaus gefahren. Vermutlich ist er nach rechts auf den Fußgängerüberweg eingeschwenkt, wo die Fußgängerampeln Grün zeigten.
Das werden künftig viele machen, weil die Grünphasen für die Fußgänger häufiger sind als für die Radler auf dem Blutstreifen.
Von rechts nach links vor die Kühler
Diese Gruppe beherrscht den Parcour routiniert. Die fahren da nicht zum ersten Mal. Sie haben sich auf dem Aufstellplatz nebeneinander vor dem Auto gestellt, sind dann selbstbewusst in der Fahrbahnmitte geblieben und haben schon mal nach links gezielt. Nachdem sie durch waren, reihten sich wie so oft die Autos, die nach links abbiegen wollen, auf dem Radstreifen auf. Die Rotphase für sie und die geradeaus fahrenden Radler ist sehr, sehr, sehr lang. Die Gruppe stand da ewig. Eine Radlerin erzählte mir, dass sie schon geschlagene 7 Minuten dort stand, weil eine Grünphase für einen Notarztwagen draufgegangen war. Das bedeutet, dass die Rotphase in jedem Fall länger als 3,5 Minuten dauert. Eine Ampel mit einer 3,5-Minuten-Rotphase ist das Gegenteil vorn Radförderung.
Rechtsabbieger sehen die Radler nicht
Dieser Radler hatte das Pech, dass er während der Rotphase rechts an den Autos entlang nicht mehr bis vor zum Aufstellplatz gelangen konnte. Die Autos starteten schon, während er rechts neben ihnen auf dem Sicherheitsstreifen fuhr. Er musste einen Abbieger durchlassen (oder er wäre umgenietet worden), kam aber vor dem nächsten Rechtsabbieger durch. Er hat dann die Lücke zwischen den Autos gesucht, konnte aber auf den roten Radstreifen nicht drauf fahren, weil ein Auto dort quer im Stau der Linksabbieger stand, und musste noch einen Schlenker nach rechts über die Fahrbahn machen, bevor er sich dann vorn bei den anderen Radlern aufstellen konnte (Collage darüber), um gaaaaaaaanz lange auf Grün zu warten.
Würde ich hier meine 12-jährige Tochter jeden Tag zur Schule radeln lassen?
Ganz schlecht. Eine Infrastruktur zum Abgewöhnen oder woanders Fahren. Eine, von der die Autofahrenden dann sagen: "Wozu haben wir die, da radelt doch keiner." Offenbar wurde die konkrete Verkehrsführung dem Bezirksbeirat Mitte nicht vorgelegt. Es scheint mir, als hätte sich die Planer/innen auch nicht mit Radfahrenden beraten. Eine Grundfrage bei jeglicher Radinfrastruktur muss nämlich immer sein: Würde ich dort meine 12-jährige Tochter (meinen 12-jährigen Sohn) mit dem Fahrrad lang fahren lassen, jeden Tag auf dem Schulweg?
Vorher gab es hier keine Sicherheitsstreifen. Der Streifen zur Katharinenstraße ist ein Gewinn. Für alle leichter wäre es gewesen, den roten Radstreifen für den Geradeausverkehr hernach auf der rechten Fahrbahnseite nach vorn zu führen und den Radfahrenden eine eigene Grünphase (zusammen mit den Fußgänger/innen) zu gönnen oder zumindest eine vorgezogene Grünphase vor den Rechtsabbiegern (das hat bei der Lösung vorher auch geklappt). Das hätte dem intuitiven und konventionellen Radfahren entsprochen, das die meisten beherrschen. Es hätte auch den Stress für Autofahrende gemindert, die nun ständig einen Radstreifen kreuzen und kreuzende Radler/innen vor sich haben. Das bremst zwar die Geschwindigkeit, ist aber für niemanden angenehm. Radler müssen hier jedes Mal in den Konflikt mit Autofahrenden eintreten und sich den Raum erobern.
Zur Hauptverkehrszeit herrscht hier Stau auf dem Radstreifen und alles steht quer, weil die Rotphase für die Linksabbieger eben sehr lang ist. Eine Ampelschaltung für Radfahrende an eine für Autos zu koppeln, die man bewusst lange warten lässt, ist nicht günstig. Es fördert nicht den Radverkehr, sondern Ausweichkurse von Radfahrenden über parallele Fußgängerampeln. Diese Radlerin stand (zur Hauptverkehrszeit) minutenlang hinten am Autostau an und ist dann genervt ins Leonardsviertel abgebogen. Der Gehweg ist ja hier noch für Radler freigegeben. (Das Foto stammt von Blogleserin Heike).
Ich bin ziemlich erschrocken, dass wir unseren Radfahrenden (Jugendliche, Senior/innen, Ungeübten und Ängstlichen) so etwas zumuten, das so ganz und gar dem Grundgedanken einer Radverkehrsförderung widerspricht, die die Konflikte zwischen Autofahrenden und Radfahrenden minimieren soll. Hier wurde eine Fläche in einem Kreungsbereich geschaffen, auf der Radfahrende nach links queren und Autos nach rechts. Das ist vielleicht nicht lebensgefährlich, aber stressig für alle. Das macht Autofahrenden nicht den Mut, mal das Fahrrad zu nehmen. Das sieht nämlich für Autofahrende so aus, als sei es lebensgefährlich in Stuttgart Fahrrad zu fahren.
Übrigens ist die Weiterführung zum Tagblattturm auch nicht im geringsten radfreundlich. Denn der Radstreifen hört auf, wir landen auf der rechten Autospur und müssen uns nach links auf die Busspur fädeln. Da fährt der Bus, und zwar oft. Ich habe es noch nie geschafft, die Busspur für mich zu erobern, ich bin parallel dazu geradelt im Autostau stecken geblieben und dann irgendwie über die Vorrangstraße für den Parkplatzusuchverkehr geschlingert (die Bodenmarkierungen passen nicht zum realen Kurs). Aber darüber schreibe ich ein anderes Mal, wenn ich auch das besser verstanden habe.
Das Viertelstunden-Paradigma
Ich stand an der beschriebenen Ecke Katharinenstraße wieder nur eine Viertelstunde. In der ist alles passiert, was ich hier zeige, also von allem, was nicht so gut läuft, alles. Nach meiner Erfahrung ist das, was innerhalb einer Viertelstunde passiert, etwas, was den ganzen Tag über häufig passiert, nicht etwas, auf das man stundenlang warten muss.
Und an der Kreuzung Torstraße/Eberhardstraße am Tagblattturm ist die Verkehrswegeführung für Radfahrer auch nicht mehr ersichtlich, sofern man die „Fahrradstraße“ von der Eberhardstraße zur Tübinger Straße nutzen möchte. Vergangene Woche bin ich diese Route in beiden Richtungen gefahren, weil ich zum Marienplatz wollte und auch wieder zurück. Wenn ich ortsfremd gewesen wäre, hätte ich an der Kreuzung Tagblattturm jeweils anhalten und mir die neue verkehrsgestalterische Lage mal ausführlich anschauen müssen. Ich weiß nicht, ob es vorgesehen ist, dass Radfahrende diese Kreuzung der „Fahrradstraße“ benutzen dürfen oder sollen oder müssen. Stand letzte Woche haben die Pinseleien auf der Kreuzung meine Intelligenz und mein Verständnis für die Lage jedenfalls völlig überfordert. Als ortskundiger Alltagsfahrer bin ich aber „einfach“ gefahren. Wahrscheinlich habe ich bei Querung der Kreuzung gegen fünf Gebote oder Verbote oder sonstige Paragraphen verstoßen. Aber darauf kann ich leider keine Rücksicht nehmen, denn meine Alltagsmobilität möchte ich per Fahrrad absolvieren. Basta. Das notwendige Improvisationstalent zur Interpretation der jeweiligen Lage erfährt man sich allerdings nur über viele Jahre. :-)
AntwortenLöschenBei der nächsten Gelegenheit werde ich mir die ganze Gegend zwischen Tagblattturm und Wilhelmsplatz/Olgastraße mal anschauen, wobei ich hoffe, dass meine Auffassungsgabe mich nicht erneut im Stich lässt. :-)
Man kann auch nicht von der Tübinger Straße her kommend, nach links in die Steinstraße abbiegen, da überfährt man eine gestrichelte Fläche. Und man kann, aus der Eberhardstraße kommend, nicht nach links Richtung Wilhalmsplatz abbiegen, auch das sieht die Fahrbahnmalerei nicht vor. Man kann natürlich, wie früher über den Fußgängerüberweg auf die Fahrbahn schwenken. Ich habe das alles schon bei der Planung bemängelt, aber nachdem meine Beschwerden bei der allerersten Planung schon zu einer Verzögerung geführt hatte (und die Ampel sollte ja nun endlich mal weg), hat man in der zweiten nichts mehr geändert. Es ist ja auch nicht gut, dass der Parkplatzsuchverkehr in die Steinstraße Vorrang vor der Hauptradroute 1 hat. Dem Radverkehr keinen Vorrang zu geben, ist etwas mutlos. Der Bus könnte ja durchaus weiterhin Vorrang vor dem Radverkehr haben, das kann man mit einem Schild regeln, aber die Autos sollten Vorfahrt-Achten haben. Andererseits lässt sich die Tor-/Steinstaße per Fahrrad doch ganz zügig und problemlos queren. Wenn auch die Aufstellflächen viel zu klein für Lastenräder und Räder mit Kinderanhänger sind.
LöschenIch bin heute zum zweiten Mal nach der Neubepinselung die "Fahrradstraße" Eberhardstraße in Richtung Tübinger Straße gefahren. Am Tagblattturm muss ich zur Querung die Torstraße benutzen. Das Ergebnis: Eine Fahrt entlang der fiktiven Fahrradstraße Eberhardstrasse - Tübinger Straße ist nicht mehr möglich, ohne eine schraffierte (verbotene) Fläche zu überfahren. Ich habe zufällig mit zwei Polizisten sprechen können. Sie verstehen die ganze Lage auch nicht. Spätestens ab jetzt ist für mich jegliche Diskussion mit den Verkehrsplanern und der Radfahrerei in der Stadt für alle Zukunft ausgeschlossen. Diese fundamentale Ignoranz und Inkompetenz tue ich mir nicht mehr an. Weiterhin gebe ich zur Kenntnis, dass ich jetzt besser meinen Mund halte.
LöschenDie selbe Frage habe ich mir die letzten Tage auch gestellt, als ich von Stadtmitte links Richtung Rathaus abbiegen wollte - laut Schild ist gradeaus/links erlaubt, laut Fahrbahnstreifen eher nicht, abgesehen davon dass man direkt von einer Ampel ausgebremst wird.
AntwortenLöschenSchlimmer als keine Radinfrastruktur ist eine schlechte Radinfrastruktur.
AntwortenLöschenDas haben alle Verantwortlichen in Stuttgart schon lange erkannt und in ihrem Ziel, möglichst wenige Menschen zum einzig konkurrenzfähigen, klimaneutralen Fortbewegungsmittel zuzulassen konsequent umgesetzt.
Redet nicht um den heißen Brei herum:
Ihr wollt uns hier nicht.
Irgendwo müssen ja die 3€/Einwohner in den Radverkehr fließen, von Sinnvollen 3€ hat keiner etwas gesagt. Und die Kreuzung vorm Tagblattturm ist aufgestiegen: Von Stuttgart schlimmster Ampel zu Stuttgart schlimmster Verkehrsregelung. Mögen wir Kampfradler damit gut zurecht kommen- wir sind aber nicht der Maßstab sondern Kinder. Eine Infrastruktur, die das Leben meiner Tochter bedroht, ist nicht akzeptierbar- die jetzige Regelung ist ganz große Schei***, da muss man auch überhaupt nichts beschönigen.
AntwortenLöschenAls ich das erste Mal die Baustelle gesehen habe, hatte ich die Situation eigentlich so ähnlich erwartet, wie in diesem Beitrag geschildert. Es scheint aber so, dass ich da zu den falschen Zeiten durchfahre, denn ich erlebe mit der neuen Regelung stadteinwärts weniger kritische Situationen als vorher.
AntwortenLöschenVor dem Umbau hatte man stadteinwärts zwar eine eigene Fahrradampel, die war aber rechts von den Autos und die Grünphase lag nach der Grünphase der Rechtsabbieger. Was zur Folge hatte, das man tierisch aufpassen musste, dass man nicht von einem "schnell noch bei Dunkelgelb drüber"-Fahrer vom Radstreifen geräumt wurde. Und etliche Autofahrer haben zwar auf die Fußgänger geachtet, nicht aber auf die Radfahrer. Die hatten ja auch kein blinkendes Warnlicht für ihre Ampel. Das hat die neue Verkehrsführung besser gemacht, jetzt fährt man wenigstens links von den Rechtsabbiegern. Kindergerecht finde ich die neue Regelung ehrlich gesagt auch nicht. Das gilt aber leider für fast alle sogenannten Radwege / Radstreifen in Stuttgart und Umgebung, die ich kenne.
Beim Tagblattturm fand ich die Regelung trotz ultralanger Rotphase früher allerdings auch einfacher.