Dich stört, dass der Radweg deiner Kinder zu Schule von eine Baustelle unterbrochen wird, dass das Laub auf dem Radstreifen nicht verschwindet, dass ständig Autos auf dem Gehweg vor deiner Tür parken, dass an einem Bordstein eine Schwelle für Kinderwagen oder Rollatoren fehlt ... Bürger/innen haben derzeit mehr Macht und finden mehr Gehör als jemals zuvor. Bei Fahrradthemen kannst du dich an mich wenden. Du kannst eine Gelbe Karte an die Stadt schreiben, du kannst zum Bezirksbeirat gehen, du kannst den Stadträt/innen schreiben. Du kannst Aktionen machen und Demos planen. Wie das geht und wie es wirkt, beschreibe ich jetzt.
Das einfachste Mittel ist:
Die Gelbe Karte.
Foto: Stadt Stuttgart |
Das nächste, etwas anstrengendere Mittel ist:
Der Bezirksbeirat
Die wenigsten Stuttgarter/innen wissen, dass es in ihrem Bezirk ein demokratisches Gremium gibt, das öffentliche Sitzungen veranstaltet, wo jeder sein Anliegen vorbringen kann. Bezirksbeiräte sind in Stuttgart wichtige Einrichtungen. Alle 23 Stadtteile haben jeweils einen Bezirksbeirat. Er setzt sich zusammen aus einem Bezirksvorsteher oder einer Bezirksvorsteherin und Vertreter/innen der Parteien, die auch im Gemeinderat vertreten sind, und zwar in der Mehrheitsverteilung entsprechend dem Ergebnis in dem Stadtteil bei der Kommunalwahl. Das sind oft höchst engagierte Leute, die sich sachkundig und gut informiert für die Belange ihres Stadtteils einsetzen. Bezirksbeiräte tagen so ungefähr alle zwei Wochen. Wenn du ein Anliegen hast, dann kannst du dem Bezirksvorsteher eine E-Mail schreiben oder die Bezirksvorsteherin anrufen. (Hier ist die Liste der Bezirksbeiräte mit den entsprechenden Adressen.) Der Vorsteher, die Vorsteherin geht der Sache nach und antwortet dir. Falls du das Gefühl hast, das reicht nicht oder wenn dich die Antwort nicht zufriedenstellt, dann kannst du auch direkt zu einer Sitzung des Bezirksbeirats gehen und zu Beginn dein Anliegen vortragen. (In der Regel werden Bürgeri/innen zu Beginn aufgefordert, solche Anliegen vorzutragen). Das hat den Vorteil, dass die Vertreter/innen aller anwesenden Parteien es auch hören und sich der Sache annehmen können. In der Regel sind auch die sogenannten Betreuungsstadträt/innen da. Und auch die erfahren dann von dem Problem.
Die Sitzungstermine der jeweiligen Bezirksbeiräte (Ort und Zeit) sind im Sitzungskalender der Stadt zu finden.
Das nächste, eigentlich einfache Mittel ist:
Der Betreuungsstadtrat, die Betreuungsstadträtin
Die meisten Mitglieder des Gemeinderats freuen sich eigentlich, wenn sie erfahren, wo es hakt, denn sie können nicht überall sein und alles sehen. Da Stadträt/innen irgendwo in Stuttgart wohnen, sind sie meist für den Stadtteil, wo sie wohnen, auch Betreuungsstadträt/innen. Alle Parteien verteilen die Zuständigkeiten für Stadtteile. Wobei keine Partei 23 Stadträte hat, also nicht in jeden Bezirk einen Stadtrat schicken kann, der an den Sitzungen des Bezirksbeirats teilnimmt. Aber es gibt eine Liste dieser Zuständigkeiten, aus der man ersehen kann, welcher Stadtrat welcher Partei für deinen Bezirk zuständig und bereit ist, sich um dein Anliegen zu kümmern.
Handelt es sich um ein Anliegen wie "wir brauchen endlich einen Radweg von hier zur Schule", dann kannst du den Betreuungsstadträt/innen deines Bezirks eine E-Mail schreiben, wo du dein Anliegen darstellst. (Freundlicher Ton hilft.) Stadt/rätinnen machen eigentlich ganz gern solche Anliegen aus der Bürgerschaft zu ihrer Sache. Sie können dann Anträge schreiben, mit denen die Stadtverwaltung aufgefordert wird, einen Lösungsvorschlag zu machen oder das Problem zu lösen. Zuweilen können sie mit einem direkten Anruf im zuständigen Amt auch mal ein Problem gleich lösen.
Allerdings sind wir damit im demokratischen Prozess auch der Mehrheitssuche im Gemeinderat. Ein Stadtrat kann so ein Problem wie "die parken immer auf dem Radweg" oder "da muss ein Radweg oder ein Radstreifen hin" nicht einfach lösen. Für bauliche Maßnahmen wie einen Radweg braucht man eine Mehrheit im Gemeinderat. Und wenn Parkplätze wegfallen, ist es schwer, sie zu kriegen.
Demokratische Prozesse sind langwierig. Deshalb dauert es, bis dein Problem vor Ort gelöst ist, und es entsteht leider der Eindruck, es tue sich nichts in dieser Stadt. Aber wir leben in einer Demokratie und brauchen eben für alles Mehrheitsentscheidungen oder einen Konsens.
Schon eine höhere Hürde:
Der Gemeinderat
Letztlich entscheidet der Gemeinderat über alles, was in der Stadt passiert. Die Verwaltung macht Vorschläge, die Gemeinderät/innen diskutieren und stimmen ab. Das gilt auch für Radwege und Radstreifen in der Planung. Das Tiefbauamt führt die Aufträge dann aus, das Ordnungsamt macht die Beschilderung und bewertet auch die Gefahren für alle Verkehrsteilnehmer.
Im Gemeinderat sitzen 60 gewählte Vertreter/innen der Parteien. Stärkste Fraktion ist die CDU, gefolgt von den Grünen, der SPD und SÖS-Linke + Student und der Stadtist in einer Zählgemeinschaft, FDP, FW und den Ultrarechten. Für Fahrradthemen kämpfen die Grünen und die SÖS-Linke + Student. Sie versuchen, mit der SPD und dem Stadtisten eine äußerst knappe Mehrheit herzustellen, was aber nicht immer gelingt. Die CDU ist im Prinzip für die Radförderung, fallen Parkplätze oder eine Autospur zugunsten eines Busses oder einer Fahrradroute weg, dann ist sie dagegen. Auch die SPD entscheidet von Fall zu Fall. Dasselbe gilt auch für den Stadtisten. Bei der FDP gibt zwei, die Radthemen unterstützen, im zuständigen Ausschuss sitzt aber einer, der das nicht tut. Bei den FW und den Ultrarechten keinen. Bau- und Verkehrsthemen werden im UTA behandelt, dem Ausschuss für Umwelt und Technik. Dort sitzen 17 Vertreter/innen aller Parteien entsprechend dem Proporz und diskutieren und stimmen über die Projekte ab, die dann vom Plenum bei der Gemeinderatssitzung bestätigt werden.
Manche Gruppen und Institutionen wissen die Klaviatur ganz gut zu spielen und schreiben immer wieder Briefe an alle Stadt/rätinnen (vor allem vor den Haushaltsberatungen) und stellen ihre Forderungen. Auch Radfahrende können allen Stadträt/innen schreiben. Die E-Mail-Adressen findet man im Einzelnen hier. Es ist sinnvoll, nicht nur den Fraktionsvorsitzenden zu schreiben, sondern allen. Und in der Regel wird man eine Antwort bekommen. Kommen viele Mails zu demselben Thema, ist das allgemein ein Zeichen, dass eine Sache von großem Interesse ist und einer Lösung bedarf.
Die höchste Hürde mit dem größten Spaßfaktor und großer Wirkung ist:
Aktionen und Demonstrationen
Mit Witz organisierte Aktionen und Demonstrationen haben zumindest eine große öffentliche Wirkung. Sie kosten aber Zeit und Mühe. Man braucht Leute, die mitmachen, und man muss eine Demonstration beim Ordnungsamt beantragen (die nach unseren demokratischen Grundregeln immer genehmigt werden muss, es kann nur Auflagen geben, falls irgendwer gefährdet würde). Telefonnummern zur Anfrage (es gibt dann ein Formular) gibt es hier.Ins Bild setzen
Als wir 2015 an dem Stoppschild für Radfahrer das Stoppen übten und dabei filmten, wie viele Autos sich nicht an die Regeln halten, wurde das Stoppschild nach drei Aktionen umgedreht und für Autofahrer aufgestellt. Und als im Dezember 2017 Aktive des Zweirats Eckenparker verpackten, gab es ein riesiges sogar internationales Medienecho.
Grundsätzlich gilt aber:
Will man etwas verändern, braucht man einen langen Atem. Denn wir leben nicht alleine in dieser Stadt, sondern sind nur welche unter vielen anderen, die ebenfalls ihre Interessen haben. Wir handeln in unserer Gesellschaft demokratisch aus, was wir verändern und was nicht. Wir suchen Kompromisse. Es reicht nicht, dass man selbst überzeugt ist, eine Lösung zu haben, man muss sich die Mühe machen, auch andere zu überzeugen, Mitstreiterinnen zu finden und schließlich Verbündete, die es schaffen, in den demokratischen Gremien eine Mehrheit zu überzeugen und damit zu organisieren, wenn es einem wichtig ist. Und es schadet nicht, wenn man zur Kommunalwahl geht und diejenigen wählt, die beispielsweise etwas für den Radverkehr tun wollen. Es gibt viele bürgerschaftliche Initiativen, die auch erreicht haben, was sie erreichen wollten. Es geht nur nicht gleich morgen, es braucht meist ein paar Jahre.
Im Grunde ist nämlich der Gemeinderat insgesamt bestrebt, solche Entscheidungen zu treffen, die den Bürger/innen gerne wollen. Sie müssen nur deutlich machen, was sie wollen.
Danke für die tollen Hinweise. Die meisten Probleme, die mir auffallen sind (erhebliche) Rechtsverstöße durch die Straßenverkehrsbehörde, daher dachte ich bisher eher an den Rechtsweg. Aber ich bin auch bereit, es erst Mal mit der gelben Karte zu versuchen, die kannte ich noch nicht.
AntwortenLöschenUnd ich werde in meinem Bezirksbeirat einen Antrag zur Freigabe von Einbahnstraßen einreichen.
Super. Um welche Einbahnstraßen handelt es sich denn? (In Zuffenhausen muss man praktisch alle endlich mal freigeben).
AntwortenLöschenGenau das meine ich: Alle! Also für den Anfang erstmal den Bereich zwischen Ludwigsburger Str., Rotweg, Haldenrainstr. Alles ruhige Wohnstraßen.
LöschenWestlich der Ludwigsburger Str. zwischen Zabergäustr. und der Bahnstrecke sind immerhin einige freigegeben. Da kenne ich mich nicht so aus.
Ok, erledigt. Habe gerade einen Antrag für den Bezirksbeirat verfasst und abgeschickt.
LöschenZuvor bin ich durch Zuffenhausen gefahren. Zwischen Zabergäustraße und Rotweg im Norden sowie Unterländer Straße und Haldenrainstraße im Süden ist keine einzige Einbahnstraße für Radfahrer freigegeben, obwohl das alles Tempo30-Zonen sind.
Seltsamerweise sind die Einbahnstraßen im Dreieck südlich der Unterländerstraße bis Friedrichswahl alle freigegeben.
Westlich der Bahn war ich noch nicht.
Die gelbe Karte ist tatsächlich eine gute Sache, aber leider nur auf dem Papier. Ich habe mal eine geschrieben um den vielen illegal im Höhenpark Killesberg Radfahrenden Einhalt zu gebieten. Die Antwort kam auch sehr schnell, es war/ist den Behörden bekannt und es gab schon sehr viele gelbe Karten diesbezüglich. Man schrieb mir auch, daß die Kontrollen deutlich verstärkt würden, allerdings sei die Personaldecke doch arg dünn. Danach war ich noch sehr oft im Höhenpark (4x die Woche auf dem Weg zur und von der Arbeit) geändert hat sich leider bis heute nichts.
AntwortenLöschenNach meiner bisherigen Erfahrung finden nur diejenigen Gruppen politisches Gehör und setzen sich nur diejenigen Gruppen durch, die einigermaßen „gewaltlosen Krawall“ machen. Eine individualisierte Ansprache per E-Mail ist witzlos, weil nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik das Gesetz der großen Zahl gilt. Und gelbe Karten für die Verwaltung sind ohnehin sinnlos, weil die Verwaltung schlicht ein großes, völlig intransparentes und dunkles schwarzes Loch bildet: Völlig von und durch selbst blockiert.
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