21. Mai 2019

Einbahnstraßen dürfen den Radverkehr nicht behindern

Die Freigabe von Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radfahrende, ist eine preiswerte und wirkungsvolle Maßnahme zur Erleichterung des Radverkehrs. 

Beispielsweise könnte dann ich in Zuffenhausen Richtung Stuttgart-Zentrum die Ludwigsburger Straße ohne Radstreifen mit ihren Autostaus durch die Nebenstraßen umfahren. Hier sind aber bislang keine Einbahnstaßen für Radler freigegeben. Blogleser Ralph hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass man diese Freigaben nicht als Kann-Vorschrift betrachten müsste, sondern als den Normalfall.

In den Verwaltungsvorschriften zu Paragraph 45, Abs. 9 der StVO heißt es, dass Verbote, die den fließenden Verkehr ausbremsen oder unterbinden, nur erlaubt sind, wo eine besondere Gefahrenlage besteht.* Bernd Sluka folgert daraus auf seiner Internetseite: "Den fließenden Radverkehr in einer Richtung zu verbieten ist damit zwingend nur bei Vorliegen einer besonderen, das allgemeine Verkehrsrisiko übersteigenden Gefahrenlage zulässig. Da Radverkehr in beiden Richtungen regelmäßig die Unfallzahlen nicht erhöht, sondern sogar senkt, wäre für eine Einbahnstraße unter Einbeziehung des Radverkehrs im Einzelfall nachzuweisen, dass hier wirklich eine atypische, besondere Situation gegeben ist. Ansonsten ist das Verbot des Radverkehrs in einer Fahrtrichtung rechtlich unzulässig."

Es ist also keine Gefühlssache der entscheidenden Beamt/innen, ob das Ganze unsicher wirkt, sondern ein Frage belegbarer besonderer Gefahren. Und einen Ermissensspielraum hat die Verwaltung das eigentlich auch nicht. Da sollten wir jetzt auch im Sinne des Zielbeschlusses für ein fahrradfreundliches Stuttgart, zügig vorankommen.

Klar gibt es schwierige Entscheidungen. Beispielsweise warten wir seit vielen Jahren auf die Freigabe der Reuchlinstraße im Westen von der Reinsburgstraße bis zur Gutenbergstraße in Gegenrichtung. Die Reuchlinstaße kreuzt die viel von Autos befahrene Rotebühlstraße. Bislang hat das Ordnungsamt offenbar Gefahren für Radler gesehen, die zur Rotebühlstraße hinab fahren und dann womöglich irgendwie ungebremst über die Rotebühlstaße schießen. Ich wüsste zwar nicht, warum Radler das tun sollten, aber in der Tat fehlt eine halbwegs gesicherte Querungsmöglichkeit für Radler  hinüber in den Abschnitt der Reuchlinstraße, der zur Gutenbergstraße führt. Es gibt keine Ampel und keinen parallelen Fußgängerüberweg. Dass Radler dann hier eben trotzdem rüber wollen und es trotz Verbotsschildern, die man anbringen könnte, versuchen, könnte als außerdordentliche Gefahr gesehen werden.


Anderseits bedeutet das eben auch, dass Leute, die in der Reuchlinstraße zwischen Augustenstaße und Rotebühlstaße wohnen, ihre Wohnung per Rad nur über die Rotebühlstraße anfahren können (von unten nur mit Linkssabiegen von der linken Fahrspur aus der Rotebühl in die Reuchlinstaße). Sie können nicht den angenhmeren Weg aus der Augustenstaße wählen. Und das geht halt auch nicht. Das ist eine unzumutbare und durch keine Gefahr gerechtfertigte Behinderung des fließenden Radverkehrs. Zumal das Linksabbiegen von der linken Spur der Rotebühlstraße für Radler nicht ganz ungefährlich ist, stehen sie da nämlich im Zweifelsfall auch mal eine Weile und bremsen die Bergaufraser abrupt aus. Das kann auch mal schief gehen.

Offensichtlich steht das Ordnungsamt hier vor einem unlösbaren Problem. Wie erlaube ich das Befahren der Reuchlinstaße für Radler gegen die Einbahnrichtung und unterbinde gleichzeitig, dass sie die Rotebühlstaße kreuzen? Zum einen wären Verkehrszeichen (Rechtsabbiegegebot) eine Möglichkeit. Die Annahme, dass Radfahrer dies missachten, kann nicht als Argument gelten (außerdem kenne ich wesentlich gefährlichere Staßenquerungen, beispielsweise die der Magstadter Straße).
Zum anderen könnte man ja auch hier eine Fußgängerfurt einrichten. Es ist ohnhin nicht einzusehen, dass Fußgänger/innen nicht an jeder Straßeneinmündung ihren Weg zu Fuß geradeaus über die Rotebühlstraße fortsetzen dürfen sollen, sondern hier bis zur Schwabstraße oder Hasenbergstraße wandern müssen.

Allerdings könnte das Ordnungsamt auch befürchten, dass Autofahrende den an der Fußgängefurt dann ja immer wieder mal stehenden Autoverkehr ausnützen könnten, um verbotener Weise die Reuchlinstraße über die Rotebühstraße hinweg Richtung Augustenstraße weiter zu fahren. (Das ist derzeit verboten, hier herrscht Rechtsabbiegegebot.) Das würde aber bedeuten, dass Radfahrende nur deshalb eingeschränkt werden, weil man Regelverstöße von Autofahrenden erwartet. Und das kann auch nicht sein. 


Und mindestens könnte man
für Radfahrende, die die Rotebühlstraße hoch zur Reuchlinstaße kommen, das Rechtsabbiegen Richtung Gutenbergstaße erlauben, und zwar durch eine Freigabe dieses Teils der Einbahnstraße (Foto ganz oben). Da sehe ich nun wirklich keine besonderen Gefahren.

Siebzig Prozent der Einbahnstraßen Stuttgart sollen ja bereits in Gegenrichtung für den Radverkehr freigegeben worden sein. Ich vermute, dass interessierte Radfahrende in ihren Bezirken längst die Einbahnstraßen ans Ordnungsamt gemeldet haben, wo sie eine Freigabe für notwenig halten. Und wo nicht, hat es der ADFC längst getan. Geprüft wird alles. Ich muss aber sagen, es tut sich, beispielsweise in Zuffenhausen, wo ich immer wieder durch muss, gar nichts. Es geht zu langsam. Und jede Einbahnstraße namentlich per Gemeinderatsantrag überprüfen zu lassen und eine Antwort zu fordern, warum sie nicht für Radler freigegeben wird, ist sicher keine gute, schon gar keine arbeitssparende Lösung.


* §45,Abs.9 StVO: " ... Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt." (Was übrigens nicht gilt für die Anordnun von Schutzstreifen für den Radvefkehr, für Fahrradstaßen oder Radfahrstreifen, aber auch nicht für Tempo-30-Zonen. Das darf angeordnet werden, ohne dass man die Flüssigkeit des Verkehrs über alles stellt.) 





















7 Kommentare:

  1. Liebe Frau Lehmann,
    das ist eine tolle Stelle, die Sie da zwischen Künstlerhaus und Hochbauamt beschreiben.
    Eigentlich total einfach zu heilen, aber passieren tut nichts.
    Außer, dass mir dort mittlerweile regelmäßig nichtgesellschaftsverträgliche Automobilisten entgegen der Fahrtrichtung begegnen.
    In der Regel sind es übermotorisierte Männer, deren Gesichtsausdruck verrät, dass Ihnen ein solches Verhalten zusteht.

    Aber ich darf nicht klagen: ich halte mich auch nicht an die Schilder.
    Mit vermutlich ähnlicher Grimasse.

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  2. Ich persönlich halte wenig von freigegebenen Einbahnstraßen.
    Bei uns in Mannheim hat man Einbahnstraßen freigegeben, die gerademal so breit wie ein Auo sind. Wie soll man da im Gegenverkehr aneinander vorbei kommen? Zudem werden Freigaben gerne von Radfahrern verallgemeinert, also eine breitere Straße ist freigegeben, die schmalere nicht, trotzdem fahren alle dort durch, trotz Verbots.
    Eine für mich immer noch unbeantwortete Frage ist die nach dem Parken gegen die Fahrtrichtung. Das ist generell verboten, in Einbahnstraßen nicht, da dort kein Gegenverkehr herrscht. Beim Ausparken fährt man mit schlechter Sicht heraus und dann kommt ein Radfahrer und kollidiert. Was dann? Beide richtig verhalten und trotzdem zum Unfall gekommen.
    Tut mir leid, Einbahnstraßenfreigaben sind die Pest. Als Radfahrer nutze ich sie nicht, weil sie mir zu gefährlich sind, also Autofahrer gehen sie mir einfach nur auf den Wecker, weil wer soll wohin ausweichen, wenn kein Platz da ist. Und die Stadtverwaltung feiert sich als große Radunterstützer und ignoriert die Gefahren.
    Karin

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    1. Das sehe ich aus meiner persönlichen Erfahrung heraus wirklich anders. Die ausparkenden Fahrzeuge sehe ich als Radlerin, und das schöne ist, auch der Autofahrende sieht mich, weil ich ihm ja entgegen komme. Auch wir haben einige Straßen, wo wir Radler in Lücken fahren müssen (übrigens auch auf Straßen, wo keine Einbahnregelung herrscht, etwa auf der Alten Weinsteige), weil wir die Hindernisse, also die parkenden Autos auf unserer Seite haben. Das ist halt Straßenverkehr. In Tempo-30-Zonen sehe ich wirklich keinen Grund, warum nicht Radler jede Einbahnstraße in Gegenrichtung befahren können müssten. Man muss halt aufeinander achten. Und oftmals, gerade im bergigen Stuttgart, sind Einbahnstraßen in Gegenrichtung eine erhebliche Abkürzung oder erlauben es, Steilstrecken zu vermeiden. Ich habe den Eindruck, dass das bei uns ganz gut funktioniert. Mir wird selten von ernsten Konflikten berichtet. Da sehen ich Stuttgarter Radler/innen häufiger anderen Gefahren ausgesetzt.

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    2. Leobener Str. in Feuerbach. Immer noch nicht freigegeben. Dafür Platz für zwei Parkspuren. Ich krieg n Hals, wenn ich sowas sehe und sich nichts ändert. Der Radfahrer kann sich also aussuchen, ob er sich in den Dauerstau auf der Stuttgarter Straße einreiht oder die Ampelquerung bei Marktkauf nutzt. Von der Stuttgarter Straße als nicht freigegebene Einbahnstraße fang ich ers nicht an, da ja Pläne vorliegen, dass "alles Besser" werden soll. Christine weist du da mehr?

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    3. Bei einem Großteil der Nebenstraßen, die in beide Fahrtrichtungen von Autos befahrbar sind, gibt es Engstellen, parkende Fahrzeuge, usw. Zwei Autos kommen nicht aneinander vorbei. Einer muss warten und den anderen passieren lassen. Das klappt zumeist problemlos.

      Warum soll das in schmaleren Straßen zwischen jemandem auf dem Fahrrad und im Auto nicht funktionieren? Klar, viele Autofahrende haben noch nicht "gelernt", auch für Radfahrende zu warten. Nur dies verursacht oft Probleme.

      Je selbstverständlicher entgegenkommende Radler werden, desto vorausschauender und langsamer muss ein Autofahrer fahren. Das erhöht zusätzlich die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer. Kurz durch die Einbahnstraße rasen, weil ja niemand entgegenkommen kann, geht nicht mehr.

      So schmal, dass man nirgendwo warten und aneinander vorbeikommen kann, sind doch nur wenige Straßen.

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  3. Jörg
    Ein wirklich guter Ansatz aus Bayern vom Bernd Sluka. In der Leobener sieht man tatsächlich in allen 6 Luftbilder auf Stuttgart.de Stadtplan in den letzten 15 Jahren Autos auf beiden Seiten parken. Warum ist eigentlich Tempo 50 in Stuttgarter Straße? So viele Orte um Stuttgart haben im Ortskern Tempo 30 auf Vorrangstraßen (Ehningen, Gärtringen, Sielmingen und viele mehr). Bitte nicht mit Zone 30 verwechseln, hier ist kein rechts vor links sondern eine Vorfahrtsstraße mit Zebrastreifen.
    In Zuffenhausen ist es wirklich eng. Auf beiden Seiten parken ist eigentlich nicht möglich, es wird aber getan. Hier wird dem Laternenparker, der sich keinen eigenen Stellplatz leisten will kostenloser Parkraum zur Verfügung gestellt. Das ist sehr sozial.
    Ein Radweg in einer Tiefgarage macht wenig Sinn, da kommt man nirgends hin.

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  4. Liebe Christine,

    Einbahnstraßen für Radler freizugeben, ist dann sinnvoll, wenn genügend Platz für den entstehenden Verkehr vorhanden ist. Karin hat bestimmt die Mannheimer Quadrate im Sinn. Hier ist kein Platz zum Ausweichen, links und rechts parken Autos. Durch die Freigabe von Einbahnstraßen wird hier Verkehr verdichtet, es wird noch enger. Das führt vermutlich nicht zu weniger Aggressionen.

    Wo Räume frei sind, ist die Freigabe von Einbahnstraßen eine gute Maßnahme.

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