Unser Straßenverkehrsrecht postuliert, dass der Kfz-Verkehr gut abgewickelt wird. Alles andere ist zweitranging. Es könnte aber auch ein anderes Ziel im Straßenverkehrsgesetz, dessen Teil die Straßenverkehrsordnung ist, geben.
Zum Beispiel Verkehrssicherheit als zentrales Ziel. Dann müsste der Verkehr so organisiert werden, dass es möglichst überhaupt keine Verkehrstoten mehr gibt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Überall sonst, in der Medizin, in der Prävention, bei der Verbrechensbekämpfung, in der Terrororabwehr haben wir uns das Ziel gesetzt, vorzeitige Sterbefälle zu vermeiden, und zwar unbedingt. Nur im Straßenverkehr nicht. Wobei die Schutzmaßnahmen ungleich verteilt sind. So gut wie alle Sicherheitsmaßnahmen im Straßenverkehr (Tempolimits und Ampelanlagen) dienen dazu, den Insassen von Autos das Vorankommen zu erleichtern und es zugleich halbwegs sicher zu machen. Wobei wir vor einem generellen Tempolimit auf Autobahnen schon wieder zurückschrecken, das etlichen Insass/innen von Autos das Leben retten könnte. Und das nur, damit ein paar junge und alte Männer (auch aus dem Ausland) mal 200 km/h ausfahren können.
Damit Fußgänger/innen nicht zu Schaden kommen, hat man für sie die Gehwege vorgesehen. Sie dienen als Reservat, dessen Grenzen zudem der Autoverkehr oft nicht einmal akzeptiert. Auf Gehwegen wird geparkt, in Fußgängerzonen Auto gefahren. Nur hin und wieder werden Fußgänger/innen über die Straße gelassen. Zusätzliche Fußgängerquerungen lösen in der Politik im Vorfeld stets heftige Diskussionen und Stauprognosen aus. Sie können nur gebaut werden, wenn die Planer nachweisen können, dass die Verzögerungen für Autofahrende im Sekundenbereich liegen.
Foto: Blogleser Gerhard |
- Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts
- Leichtere Einrichtung von Fahrradstraßen
- Verpflichtung zur Einrichtung von Radverkehrsanlagen an allen Straßen über Tempo 30
- Vorrang für die Einrichtung von Radverkehrsanlagen vor Kfz-Parkplätzen
Der Fahrer darf mit seinem Auto sogar ungestraft die Räume anderer Verkehrsteilnehmer besetzen, Gehwege und Radwege, Fußgängerzonen, Parkanlagen. Er darf auch, obgleich er viel zu schnell auf einer Fläche fährt, die für ihn verboten ist, ein Kind töten, ohne nennenswert bestraft zu werden, selbst wenn der tödlich Unfall durch angepasste Geschwindigkeit hätte vermieden werden können. So wie wir den Straßenverkehr organisieren, verzeiht er Fehler nicht, die Fußgänger und vor allem Kinder begehen. Am Bordstein beginnt die Todeszone.
Storck: "Die Straßenverkehrsordnung geht immer noch davon aus, dass die Straße, der Verkehrsraum dem Auto gehört, und hat deswegen eine ganz merkwürdige Konstruktion: Platz wegnehmen zum Beispiel für das Fahrrad vom Straßenraum darf man nur, wenn nachgewiesen ist, dass es eine besondere Gefahrenlage gibt. Das heißt auf Deutsch: Es muss schon ein paarmal an einer Stelle was passiert sein, damit ich da überhaupt eine Radverkehrsanlage hinplanen kann als Stadt."
Das ist zwar realiter nicht mehr ganz so. Wir legen verpflichtende Radstreifen auch dann auf Fahrbahnen, wenn es nur darum geht, den Platz besser aufzuteilen, aber in Kreuzungen oder Kreisverkehre hinein legen wir sie nicht. Sie hören immer dann auf, wenn es für Radfahrer schwierig und gefährlich wird, ihren Platz in der Konkurrenz zu den eiligen Autofahrern zu behaupten. Viele Radfahrende fühlen sich darum alles andere als sicher auf unseren Straßen. Und sie sind es auch nicht. Sie werden zu eng überholt, bedrängt, geschnitten und, wenn Autofahrende abbiegen wollen, in Todesgefahr gebracht. Dort, wo es der Straßenraum hergibt, kriegen wir Radwege und Radstreifen. Aber sobald dem Autoverkehr Stellplätze oder eine Spur weggenommen werden müsste, verringert sich die Radinfrastruktur auf schmale sogenannte Schutzstreifen oder verschwindet ganz.
Der Radverkehr braucht aber, wenn er sich wirklich entwickeln soll, etwa so wie in den Niederlanden oder in Kopenhagen, ein Netz guter Radwege oder Radfahrstreifen, das nicht von Autofahrenden missbraucht werden kann, und vor allem ohne diese typischen Lücken, wo es kompliziert wird, weil sich Auto- und Radverkehr (womöglich noch mit Fußverkehr) kreuzen.
Solange wir das nicht installieren können, wird das Auto für die meisten Menschen als die beste Alternative gelten. Weil man im vor dem Haus geparkten Auto 500 Meter zum Bäcker fahren und dort das Auto auf einer Ecke oder dem Gehweg stellen kann, um einzukaufen und dann wieder zurückfahren und das Auto erneut vor dem Haus abstellen kann. Das Auto erscheint als das einzige Verkehrsmittel, das immer verfügbar ist und für das es immer einen Platz zum Abstellen gibt, zur Not, und diese Not gilt fast immer, auf Gehwegen, in Halteverbotszonen, auf Kreuzungsecken, auf Radstreifen und sogenannten Schutzstreifen, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen hätte.
Zwischen Fußgängerbereichen als Parkflächen und vierspuriger Stadtautobahn geht beispielsweise in der Theodor-Heuss-Staße der Radverkehr vollständig verloren. Die Radspur endet, Radler schlängeln sich durch Fußgänger und den Parkplatzsuchverkehr und queren dabei auch noch eine Parkhauszufahrt. Die Autos parken sogar hinter den Pollern an den Wänden der Bank.
Wir hätten auch in Stuttgart irre viel Platz für ein geschlossenes und schönes Radnetz. Wir müssen diesen Platz nur wieder sehen lernen.
Es ist über die eigentlichen Vorschriften und Gesetze hinaus eine Mentalitäts frage wie miteinander im Strassenverkehr (und nicht nur hier) umgegangen wird.
AntwortenLöschenIn Deutschland habe ich den Eindruck es geht hier um wesentlich mehr, als um Verkehr im Sinne ich komme von einem Ort zum anderen. Die Art und Weise der Teilnahme am Strassenverkehr ist kulturell und ideologisch aufgeladen.
Beides in Kombination ist eine gefährliche Ausgangslage für all die Schwachen Teilnehmer am Strassenverkehr. Sie sind die Projektionsfläche für das Ego der Stärkeren. Nur an Ihnen kann sich der unter anderem von A nach B fahrende Automobilist abarbeiten, sein Weltbild stärken und ganz allgemein sie als Watschenmänner und -frauen missbrauchen.
Und dann die Quote an eingehaltenen Verkehrsregeln. Gerne wird Fußgängern und Radfahrern im Besonderen unterstellt, es damit nicht so genau zu nehmen. Ganz aktuell heute vor dem Bürofenster. Ca. 20 Fahrzeuge vom LKW bis zum Motorrad - keiner hat an der Kreuzung den Blinker bedient, jeder 2te fährt in der Mitte der Strasse an die Kreuzung heran und keiner kann eine Linkskurve ohne zu schneiden fahren.
Ein viel zu großer Anteil an Verkehrsteilnehmer ist schlicht überfordert. Von der Situation, den Regeln und der Technik.
Kann ich leider nur zustimmen. Gestern erst wieder: Zähfließender Verkehr auf der Stresemannstr ignoriert Grünlicht, fährt immer wieder in den Bereich. Nach vier Autos rollte ich einen Schritt vor um anzuzeigen dass ich jetzt doch auf meine Grünphase bestehe (vorher war kein Durchkommen), dies wurde dann mit gehupe, agressiver Gestik und Drehzahl-Balzverhalten quittiert. Bei eindeutig Grün.
Löschensagen wir es doch mal anders:
AntwortenLöschenwir brauchen ein straßenverkehrsrecht.
derzeit befinden wir uns im hobbes'schen naturzustand.
full disclosure:
das wird nicht im konsens gehen.
hasta l'atacca
Die Änderungen in der STVO bezüglich Radfahren etc. haben es sukzessive immer weiter verschlimmbessert.
AntwortenLöschenAm schlimmsten ist dieses unsäglich Radfahrer fahren geradeaus und die links davon fahrenden müssen ihn durchlassen. Kein Mensch käme auf die Idee die Rechtsabbiegerspur links vom geradeausverkehr anzuordnen, aber im Radbereich wird das gemacht.
Früher war es zwar auch nicht besser, aber anders. Es gab nicht die Situation, dass Fußgänger zur gleichen Zeit grün hatten, wie Rechts- oder Linksabbieger. Dann hat man das eingeführt und dann auf Radfahrer ausgedehnt.
Früher ist man als Radfahrer im Verkehr auf der Fahrbahn mitgeschwommen, man kam selbst nie auf die Idee rechts vrobeizufahren. Dann kamern die rsten schlauberger auf die Idee sich beim Ampelstau rechts "vorbeizudrücken" und die Politik hat es legalisiert (so wie heute das Gegendieeinbahstraßefahren per Schild, wird aber vom Radverkehr auf alles ausgedehnt) Da ist der Radfahre auch nicht besser als der Kraftverkehr (sind aja auch die gleichen Menschen).
Ich fahre heute mit dem Rad noch so wie mit dem Auto. Ich warte auf die und die müssen auf mich warten. Diese aufgepinselte Infrastrktur sehe ich äußerst skeptisch und wenn mich einer überhot und rechts blinkt, mache ich langsam, damit er mich nicht abräumt. Vor Ampeln finde ich diese markierten Streifen ganz gut, weil man dann ausreichend Platz hat auch mal nach vorne zu fahren.
Aber die Infrastruktur ist das Eine, die Nutzer das Andere. Solange wir in der Gesellschaft immer weiter die Ellenbogen ausfahren und sich manche Gruppen einzig über die Größe Ihrer Kiste, deren Stärke und deren Lautstärke definieren, wird es nicht besser. Heir muss ein Umdenken stattfinden. Solange aber die Automobilindustrie "Emotion" (Stärke, Imponiergehabe und Image) verkauft, statt Technik wird doch genau der entsprechenden Klientel signalisiert, dass sie nur mit dicker Kiste erwas gelten. Und entsprechen ist deren Auftreten. Nicht umsonst hat man mal von "eingebauter Vorfahrt" gesprochen.
Es ist der Mensch, der das alles verursacht und nicht das Blech.
Gruß
Karin
Deine Beschreibung taugt für jede Depression. Klar, ich weiss das alles, aber in dieser Kompaktheit ... Ich sag nur: reclaim the streets! Und das am besten nicht nur am ersten Freitag des Monats, sondern jeden Tag! Die Stadt gehört uns! Konzentrieren, Aura aufplustern und rein in den Verkehr: hier bin ich mit meinem Rad und ihr haltet gefälligst Abstand!
AntwortenLöschenNun dieses Thema ist nicht ganz neu, der VCD hat dies schon 2016 publiziert.
AntwortenLöschenAber man hört/liest fast nie was davon, weder in Stadt- Gemeinde- oder Kreisräte scheint dies von großem Interesse zusein. Spricht man entsprechende Personen an, sieht man nur Fragezeichen über deren Köpfe.
https://www.vcd.org/themen/verkehrspolitik/neuregelungen-des-strassenverkehrsrechts/
https://www.vcd.org/fileadmin/user_upload/Redaktion/Themen/Verkehrspolitik/Strassenverkehrsrecht_20160601_Werner_kcw_-_Willigen_Kommunen_Weg_frei_machen.pdf
Gruß
von_rAd_nach_B
Keines von den Themen, über die ich schreibe, ist wirklich neu. Offenbar muss man jedes Jahr von neuem anfangen, es dauert sehr lange, bis das, was eigentlich allen bekannt ist, so viel Platz in den Gehirnen bekommt, dass man anfängt, über Änderungen nachdzudenken. Finde ich eigentlich zumehmend erschreckend: Wir wissen alle, wir tun nicht, weil wir es nicht wissen wollen.
LöschenWürden die Verantwortlichen die Einhaltung der StVO überwachen, wäre der Straßenverkehr eine Leichtigkeit und dieser ganze Blog hier wäre obsolet.
AntwortenLöschenStimmt, Michael, allerdings frage ich mich, welche Armeen von Verkehrspolizist/innen wir bräuchten, um die Autofahrenden wieder daran zu gewöhnen, dass Regeln gelten und ihr Bruch sanktioniert wird. Wie viel Polizei wollen wir auf unseren Straßen haben? Das ist eine durchaus ernst gemeinte Frage.
LöschenDeutlich mehr als jetzt jedenfalls:
Löschen100 Landespolizisten, die eine Schwerpunktaktion durchführen und mit dieser alle 2 Monate in eine andere Stadt weiterziehen.
Dazu 20 auf Dauer in Stuttgart.
Folgender Ansatz als Diskussionsgrundlage:
Eine Polizeistaffel auf Fahrrädern patroulliert auf den Radrouten und Strecken mit Radverkehrsführungen. Jeder km Radroute wird zwei mal täglich abgefahren. Diese Staffel erfasst und meldet jeden Verstoß von KFZ-Fahrern sowie von baulichen Mängeln und Mängeln der Verkehrsführung, auf den sie stößt (auch zu letzterem ist jeder Polizist sowieso verpflichtet gemäß Verwaltungsvorschriften zur StVO).
Überschlägige Rechnung mit folgenden Annahmen:
1. Radrouten und Radverkehrsführungen gibt es in Stuttgart auf ca. 200-300 km Länge. Dazu kommen Anfahrtswege - rechnen wir also mit 500km, die 2x täglich gefahren werden müssen.
Meines Wissens kennt die Stadt ihre Infrastruktur nicht so genau - es werden in verschiedenen Publikationen immer die selben uralten Zahlen genannt und diese weichen gravierend von der Auswertung von "Hubert" ab, die in diesem Blog veröffentlicht wurden. Kennt jemand bessere Zahlen?
2. Ein sportlicher Radfahrer fährt im Schnitt 20 km/h (incl. Wartezeiten an Ampeln etc.). Da sich Polizisten Ordnungswidrigkeiten begehen dürfen, können sie auch auf freigegebenen Gehwegen zügig fahren und sind sportlich. Setzen wir also 20km/h an.
3. Erfassung, Knöllchen schreiben und Meldung eines Verstoßes benötigt durchschnittlich 20 Minuten. Ist das plausibel? Ein wenig Wartezeit muss m.W. bei Parkverstößen eingeplant werden.
4. Ein Arbeitstag hat 7 effektive Stunden. Ein Polizist hat ca. 200 Arbeitstage pro Jahr. Ein Polizist leistet also rechnerisch 3,8 Stunden pro Kalendertag bei dieser Aufgabenstellung.
5. Im Durchschnitt ist alle 500m ist ein Verstoß zu melden, also 2 pro km (mehrere Falschparker hintereinander können m.E. in einem Aufwasch gemeldet werden und zählen nur 1x).
Daraus folgt:
a) Zeitbedarf für das Abfahren der Strecken: 2*500km/20km/h = 50 Stunden pro Tag.
b) Zeitbedarf für die Beschäftigung mit Verstößen gegen StVO und Verwaltungsvorschriften: 2/km*500km/3/h = 333 Stunden pro Tag.
Ergebnis: (50+333)h/3,8h/Polizist = 101 Polizisten.
Das heißt, man bräuchte anfänglich rund 100 verkehrsüberwachende Polizisten. Ein derartig massiver Kontrolldruck würde allerdings schnell dazu führen, dass weniger Verstöße begangen werden sodass auf Dauer vielleicht nur 20 Polizisten benötigt werden. Dann könnten die "übrigen" 80 in der nächsten Stadt eingesetzt werden.
Die jetzige 8 Köpfe starke Fahrradstaffel sollte man nicht mit hineinrechnen. Deren Schwerpunktaufgabe ist und bleibt das Überwachen von Verstößen, die Radfahrer begehen.
Bei den aktuellen Bußgeldern gemäß StVO-Novelle würde sich das selbst tragen und keine Steuererhöhung notwendig werden. Es spricht also alles dafür, oder?