Ich verzichte auf die Klingel. Ich rede stattdessen mit den Menschen, egal ob sie zu Fuß oder auf dem Fahrrad unterwegs sind.
Wenn ich auf einem gemischten Geh-/Radweg einen Fußgänger oder eine Fußgängerin überholen möchte, dann lasse ich den Freilauf surren und sage: "Ich fahre jetzt links an Ihnen vorbei." Oder wenn ich eine etwas unorganisierte Familie vor mir habe, dann sage ich: "Ich würde jetzt mal versuchen, rechts an Ihnen vorbeizufahren." Im Vorbeifahren bedanke ich mich. Das mache ich auch bei Radfahrenden so, die mir etwas verträumt erscheinen, wenn ich sie überholen möchte.
Oder ich fordere Fußgänger/innen auf, mutig den Zebrastreifen zu betreten, obgleich ich herankomme: "Gehen Sie nur, Sie haben Vorrang, ich sehe Sie." Manchmal halte ich auch an und rede mit einer Fußgängerin, die besonders zuvorkommend sein wollte, und plötzlich stehen bleibt, obgleich ich damit gerechnet habe, dass sie weitergeht. Dann bedanke ich mich und erkläre, dass es leichter ist, wenn sie einfach weiter über die Straße geht und ich hinter ihr vorbeifahren kann.
Es gibt aber auch konflikthafte Begegenungen, und die Frage ist, wie man da miteinander reden kann. Blogleserin Karin hat mir folgendes geschrieben.
"Hallo Christine, ich lese deinen Blog immer mit großem Interesse und habe dabei schon vieles gelernt. Für mich sind die unangenehmsten Situationen als Fahrradfahrerin diejenigen, wo die Autofahrenden im Glauben sind, ich würde gegen Regeln verstoßen (Sicherheitsabstand zu parkenden Autos aus ihrer Sicht zu groß, entgegengesetzt zur Einbahnstraße fahren wenn diese freigegeben ist ...). Hier stauen sich dann oft die Aggressionen beim motorisierten Verkehr (nachvollziehbar, da sie sich behindert fühlen) was dann zu gefährlichen Kurzschlussreaktionen führt (Uberholen und ausbremsen, draufhalten und hupen ...) um mich als Fahrradfahrer zu erziehen. Ich frage mich wie man hier besser in den Dialog treten kann um über die Rechte von Fahrradfahrern aufzuklären. Ich denke, wenn die betroffenen Autofahrenden besser informiert wären, würden sich auch die Aggressionen nicht so aufstauen und es käme nicht zu diesen gefährlichen Situationen. Auch in den sozialen Medien liest man immer wieder Kommentare darüber, dass Fahrradfahrende ständig gegen Einbahnstraßen oder unberechtigterweise auf der Fahrspur führen. Hier ist tatsächlich manchmal ein offener Dialog möglich, aber wenn die Situation im Straßenverkehr eskaliert ist, habe ich bisher keinen eleganten Weg gefunden ein sachliches Gespräch zur geltenden Gesetzeslage zu führen. Wie gehst du mit so etwas um, bzw. hast du eine Strategie dafür?"
Kenne ich auch. Einer hupt, ich schreie "He!" Ich bin wütend. Der Autofahrer auch. Sehr oft bin ich auch schlicht so erschrocken, dass ich gar nicht klug reagiere. Manchmal aber gelingt es mir, und zwar dann, wenn ich genau weiß, was kommt, und mir vornehme, nicht aggressiv zu werden, so wie als mich das Polizeiauto zu knapp überholte.
Die besten Erfahrungen habe ich gemacht, wenn ich den Vorwurf vermeide und erst einmal sage, wie es mir geht: "Ich habe mich furchtbar erschrocken, ich dachte, jezt bin ich gleich tot." Diese so genannten Ich-Botschaften entwaffnen den Gegner, denn er kann meinem Gefühl ja nicht widersprechen. Zugleich lade ich ihn ein, sich in mich hineinzuversetzen. Und ich erlaube ihm nicht, sich zu verteidigen, also zu rechtfertigen, denn ich habe ihn nicht verbal angegriffen.
Oftmals geht es aber bei solchen Konflikten allen Beteiligten gar nicht darum, zu deeskalieren (manche möchten sich gerne wild streiten), und viele empfinden das Einräumen des eigenen Schreckens als Schwäche. Ist es aber nicht. Vorwürfe machen und provozieren kann tatsächlich jeder und jede, die große Stärke ist es hingegen, wenn ich aktiv werde und eine Situation herstelle, in der Aggressionen gedämpft werden. Und das geschieht, indem ich mich als Mensch wahrnehmbar mache. Wenn ich nicht der Scheißradler bin, sondern eine Frau (ein Mann) auf dem Fahrrad, die sich gerade jessesmäßig erschreckt hat.
Wenn ich einem Autofahrer (oder einer Autofahrerin) sagen möchte, dass er sich im Irrtum befindet, dann kann ich das ebenfalls mit einer Ich-Botschaft tun: "In der Straßenverkehrsordnung steht, dass ich Abstand zu parkenden Autos halten muss. Wenn plötzlich eine Tür aufgeht, dann stürze ich, womöglich genau vor Ihren Kühler, und Sie überfahren mich. Ich glaube nicht, dass Sie das wollen."
Entscheidend ist, dass wir nach solchen Aussagen den Mund halten, dass wir nicht weiterreden und in Vorwürfe umschwenken. Dann nämlich räumen wir dem Fahrer wieder die Möglichkeit ein, sich zu rechtfertigen, und haben verloren.
Auch wenn der betreffende Autofahrer in diesem Moment nicht einräumen möchte, dass er Unrecht hatte, so merkt er es sich doch. Und zwar deshalb, weil er nicht im Zorn weiterfährt, sondern mit einem Gedanken, der ihm (oder ihr) neu ist. Beim nächsten Mal wird er sich zurückhaltender verhalten. (Was auch für Autofahrerinnen gilt.) Grundsätzlich sind solche Ich-Botschaften das Erfolgversprechendste überhaupt bei
Auseinandersetzungen, die von Eile und Hektik geprägt sind. Entscheidend ist, dass man keine Vorwürfe macht, sonderen dem anderen spiegelt, wie man sich selbst fühlt, wenn er sich so verhält, wie er sich verhalten hat. Dem kann er nämlich nicht widersprechen.
Der Vorteil für mich ist, dass ich die Kontrolle über die Situation behalte. Ich bestimme nämlich dann, worüber wir reden, nicht er. Lässt man sich dagegen provozieren (beantwortet Aggression mit Aggression, Geschrei mit Geschrei, Beleidigung mit Beleidigung), dann hat man gar keine Kontrolle, denn der Provokateur bestimmt vollständig mein Verhalten. So was mag ich nicht.
Auch auf eine Beleidigung kann man deeskalierend antworten. Und zwar auf eine ganz einfache Weise: "Sie beleidigen mich. Wollen Sie das?" Und auf unartikulierte Wut kann man so antworten: "Sie sind sehr wütend." Wenn man dann den Mund hält und auf eine Antwort wartet, wird man fast immer sehen, dass der aufgebrachte Mensch einen Ton runterschaltet und um eine Antwort verlegen ist. In dem Moment, wo er nach einer Antwort sucht, beginnt er nachzudenken. Der Vorteil dabei: Ich zeige dem anderen zugleich, dass ich seinen Zorn wahrnehme. Dann muss er ihn mir nicht mehr zeigen. Das macht ihn bereits ruhiger. (Funktioniert immer; zur Not macht man das ein paar Mal.)
Leider aber braucht man (brauche ich) sehr viel Kraft dazu. Ich muss gewissermaßen stets darauf vorbereitet sein, besonnen zu reagieren. Bin ich aber nicht, vor allem nicht im ersten Schreck. Wir sind halt eben alle auch spontan und gefühlsbetont, wir sind wütend und würden es gerne zeigen. Nur leider führt das zu nichts, außer zu einer Eskalation, wo alle die Kontrolle über sich und das Geschehen verlieren.
Deshalb wäre der andere Weg der bessere, stärkere, klügere und entspannendere. Es würde unsere auf Aggression und Haussausbrüche gepolten Gesellschaft gut tun, wir würden öfer mal die Kraft haben, zu deeskalieren.
Bei Autofahrern gibt es da aber oft genug ein Problem, das Kommunikation zumindest erheblich erschwert: Eine geschlossene Karosserie zwischen ihnen und ihrer Umwelt.
AntwortenLöschenHinzu kommt, dass im Straßenverkehr sehr häufig das Recht des Stärkeren Anwendung findet. Selbst wenn ein Radler objektiv im Recht ist.
AntwortenLöschenRadler werden oft als Hindernis wahrgenommen, wegen derer Autofahrer sehr viel Zeit verlieren. Dass Autofahrer wegen anderer KFZler viel mehr Zeit verlieren, wird hingegen nicht wahrgenommen, sondern eher alles gottgegeben hingenommen.
Wütend-aggressive Schreihälse lächle ich einfach nur noch an und warte, bis sie fertig sind. Meist verschwinden sie danach. Ein Interesse an Kommunikation haben sie nicht.
Schlimmer sind die, die offen aggressiv sind. Sie setzen ihr Auto als Waffe ein. Letztes Jahr hat so ein Exemplar versucht, mich gegen den Bordstein zu drängen. Gleichzeitig drohte er mir mit geballter Faust durchs offene Beifahrerfenster “Halt an, das klären wir gleich hier.“ Da hatte ich kein Interesse an Kommunikation. Gerettet hatten mich wohl entgegenkommende Radfahrer. Als der Kriminelle nämlich die bemerkte, gab er Gas und verschwand.
Naja, gleich hier klären wollte neulich auch ein Prachtexemplar im Jeep auf dem Radaufstellplatz an der Ampel. Nur war leider sein Auto verschlossen, und als mein Griff nach dem inneren Türöffner ging, wurde das Seitenfenster schnell geschlossen. Meist sind die starken Worte zuende, wenn der schützende Panzer geöffnet wird. Tip: Tür hinten rechts öffnen, dann muss man aussteigen bevor man weiter fahren kann.
LöschenZugegeben, die Taktik funktioniert vermutlich besser, wenn man männlich und knapp 2m groß ist. Kommunikation ist im Konfliktfall jedenfalls immer schwierig.