13. Februar 2020

Fahrradunfälle in Stuttgart

Dooringgefahr / Fotomontage
Die Polizei Stuttgart hat über ihr Portal für das vergangenen Jahr 51 Fahrradunfälle gemeldet. Ich habe mir die mal angeschaut. 

Immerhin kam in Stuttgart 2019 keine Radfahrerin, kein Radfahrer durch einen Verkehrsunfall ums Leben.* Den Weg in die Polizeimeldungen finden Fahrradunfälle nur, wenn die Polizei gerufen wurde. Aber auch dann sind es nicht alle, die sich ereignen. Ich kenne jedenfalls Radlerunfälle, die ich nicht in dieser Liste gefunden habe, darunter einen Abbiegeunfall auf dem Radweg Holzstraße und die Stürze der Radfahrenden über die Bakenschine auf der Autoumleitungssstrecke durch die Tübinger Straße, da war in einem Fall die Polizei da, aber die PM dazu gibt es nicht.

Aber nun zur Liste der Polizei, die ist dennoch interessant:

In 9 Fällen handelte es sich um Radfahrerinnen, die verunglückten, die anderen 42 Fälle betrafen Radfahrer. Das enspricht nicht dem Verhältnis, in dem Radfahreinnen und Radfahrer unterwegs sind. Für Stuttgart kenne ich die Geschlechterverteilung nicht, aber Frauen stellen in der Regel unter Radfahrenden fast die Hälfte.

Mit 11 stellen die Alleinfälle das größte Kontiguent, wobei einer davon einen Herzinfarkt erlitt, den ich im Folgenden rausrechne. Betroffen davon 3 Frauen und 7 Männer. In einem Fall wurde von der Polizei vermerkt, dass eine so genannte Schlauchüberfahrt der Radlerin im Weg lag, weshalb sie zu Fall kam. In einem anderen Fall wird eine regennasse Fahrbahn erwähnt. Es mag Hinernisse oder schlechte Untergründe in manchen Fällen gegeben haben, in jedem Fall aber waren die Radler/innen wohl etwas zu schnell in Relation zur Wegbeschaffenheit unterwegs. Zu den Alleinunfällen zählt auch der Unfall, der sich auf der Dowhnhillstrecke ereignete und polizeibekannt wurde, aber das ist eher ein Sportunfall.

Diese Alleinunfälle machten 19,6 Prozent der polizeilich gemeldeten Fahrradunfälle aus. Rund 80 Prozent werden von anderen Unfallarten abgedeckt; an ihnen waren Autofahrende, ein weiterer Radler, Fußgänger/innen oder Hunde beteiligt. Außerdem gab es zwei Anschläge mit einem Seil/Draht auf Radfahrende.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich beim Strichlistenführen verzählt habe, gebe ich hier mal eine Übersicht über das, was so vorgekommen ist.

Mit dem nicht motorisierten Verkehr:
  • 7 Unfälle habe ich gezählt, die sich zwischen Fußgänger/innen und Radfahrenden ereignet haben. 
  • In 3 Fällen haben die Radfahrenden den Vorrang von Fußgänger/innen missachtet, zwei mal auf dem Gehweg, einmal auf einem Zebrastreifen (wobei der 10-jährige Junge auf dem Zebrastreifen einen Schritt zurück machte, als der Radfahrer hinter ihm durchfahren wollte).
  • In 4 Fällen traten die Fußgänger/innen ohne zu gucken auf die Fahrbahn oder den Radweg. Davon war einer ein Ladendetektiv, der einen flüchtigen Ladendieb verfolgte und auf dem Radweg in eine Radlerin rannte.
  • 4 Mal stießen zwei Radler zusammen (auf dem freien Feld, auf engem Geh-/Radweg). 
  • 2 Mal lief ein Hund ins Fahrrad, weil ihre Besitzer ihn nicht angeleint hatten.
Mit dem motorisierten Verkehr, nicht selbst verschuldet:
  • 7 Abbiegeunfälle gab es, bei denen Autofahrer/innen  über Geh- und Radwege in Tankstelleneinfahrten oder in Grundstückseinfahrten oder in eine Seitenstraße über einen Radstreifen hinweg abbogen. In einem Fall überholte ein Autofahrer einen Radfahrer, der aus der Klingenstraße geradeaus über die Talstraße fahren wollte, um vor ihm nach rechts abzubiegen. Dabei machte der Radler ein Notbremsung und stürzte.
  • In 2 Fällen fuhren Autofahrer bei der Ausfahrt aus einem Grundstück über den Geh- und Radweg hinweg Radfahrende um. 
  • 4 Mal kam es zu einem Unfall, weil ein Autofahrer überholte. So fuhr einer auf der Gegenfahrbahn an einer Autoschlange vorbei, die an einer Ampel wartete. Ein Liegeradfahrer kam ihm entgegen und hatte keine Chance. Er wurde schwer verletzt. In anderen Fällen führte das hastige Überholen von Radfahrern zu Unfällen mit dem Gegenverkehr, ohne dass die Radfahrenden verletzt wurden.   
  • 2 Mal missachteten Autofahrende die Vorfahrt der Menschen auf dem Fahrrad. 
  • 1 Radfahrerin stürzte auf der Fahrbahn, vermutlich, weil ein nachfolgender Pkw-Fahrer zu drängelig aufgefahren war. Ganz klar ist das aber nicht. Touchiert hat er sie nicht. 
  • 3 Dooring-Unfälle wurden aktenkundig. 
Mit dem motorisierten Verkehr, selbst verschuldet: 
  • 2 Mal nahm ein Radler dem Autofahrer die Vorfahrt und verunglückte dabei. 
  • 2 Mal fuhren eine Radlerin, bzw. ein Radler hinten auf ein Auto auf, weil sie es nicht hatten bremsen bzw. stehen sehen. 
  • 1 Radler kollidierte mit einer Stadtbahn
Und zwei Anschläge gab es:
  • 2 Radler stürzten, weil ein Seil oder Draht über ihren Weg gespannt war, einmal auf dem Neckardamm, einmal auf der Dowhnhillstrecke. 
Furchtbar finde ich die Unfälle, wo Radfahrende keine Chance haben, dem Fahrfehler eines Autofahres auszuweichen. Und die sind leider gar nicht so selten. Dazu gehören die Abbiegeunfälle. Es erwischt Leute, die mit ihren Fahrrädern vertrauensvoll auf gemischten Geh-Radwegen oder auf Radwegen unterwegs sind. Ein Autofahrer biegt zu schnell ab und erfasst sie. Oft ist das für die Radfahrenden nicht vorhersehbar. Kommt das Auto von hinten, sehen sie es auch nicht.

Auch die Ungeduld der Autofahrenden ist fürchterlich, etwa, wenn ein (meist junger Autoferfahrer) eine Rotphase nicht abwarten kann und an einer Kolonne auf der linken Spur (der Gegenfahrbahn) vorbeirast, um weiter vorn links abzubiegen. Entgegenkommende Radfahrende haben kaum eine Chance, dem Frontalzusammenstoß zu entgegen. Aber auch Radfahrende, die plötzlich hinter einem Auto weiter vorn auftauchen, sind dann tot oder schwer verletzt, wie es Anfang des Jahres in Dresden passiert ist. Der Fahranfänger fuhr auf den Straßenbahngleisen an einer Kollone vorbei und tötete eine Radfharerin, die links abbiegen wollte.

Auch wenn jeder einzelne Unfall ein Schaudern bewirkt und die Dunkelziffer ziemlich hoch sein dürfte, weil nicht immer die Polizei geholt wird, müssen wir uns doch klar machen, dass man aus diesen Vorfällen nicht schließen kann, dass Radfahren in Stuttgart besonders gefährlich sei. In Berlin, das natürlich auch viel größer ist, sind allein von Anfang 2020 bis jetzt schon fünf Radfahrer/innen im Straßenverkehr getötet worden. Das sind fast so viele, wie im vergangenen Jahr getötet wurden (6).


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*Im vergangenen Jahr starben in Stuttgart zwei Fußgänger/innen, zwei Motorradfahrer und drei Autofahrer/innen. Unter den Autofahrer/innen waren die beiden, die von dem Raser in der Rosensteinstraße getötet wurden. 





13 Kommentare:

  1. In diesem Zusammenhang ist mir in den letzten Wochen aufgefallen, dass unsere Presse (StZ/StN) offenbar sensibilisiert ist. Ich habe neutral geschriebene Meldungen zu Unfällen zwischen Fuß- bzw. Radverkehr und motorisiertem Verkehr gelesen. Ich hoffe, dies bleibt nun so.

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    1. Ja, sie sind sensibilisiert. Es hat eine Rücksprache mit mir gegeben. Der letzte Artikel über diese bechlagene Scheibe und das vom Autofahrer auf dem Gehweg angefahrende Kind hat wohl spürbare Proteste ausgelöst.

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  2. Neutral? Ich halte von der StN/StZ überhaupt gar nichts. Das sind für mich bestenfalls 'wohlwollende und geschmeidige Hofberichtertatter'. Auffällig: Sie lernen aus der Vergangenheit absolut nichts. Bei S21 hat sich gezeigt, wie dieser Laden 'so tickt'. Seitdem ist deren Ruf ruiniert. Und trotzdem ziehen sie bei der gegenwärtigen Opern-Sanierung die gleiche Nummer ab. Das ist nicht Journalismus, sondern manipulative Propaganda.

    Das Quasimonopol vom SWR und der StZ/StN ist für unsere Demokratie und unser Bundesland, pures Gift. Du Menschen werden für dumm verkauft. Das es unter Kretschmann seit Jahren mit BW bergab geht, wird einfach unter den Teppich gekehrt.

    Beim Thema Mobilität in der StZ/StN: Täglich! wird über Daimer & Co. berichtet- und was man alles für diese 'arme' Branche tun müsste. Über den Radverkehr kommen nur vereinzelte Artikel, die inhaltlich nur an der Oberfläche kratzen. Radfahren ist bei der StZ/StN immer noch Freizeitvergnügen bzw. Spielzeug. Kritisch wird bei Hermann, Kuhn & Co. jedenfalls nicht nachgefragt...

    Soviel zum Thema neutrale Presse...

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  3. Lieber Anonymus, Kommentare ohne Namen mit allgemeinen Rundumschlägen gegen alles Mögliche werden von mir künftig kommentarlos gelöscht. Das ist eine Plsasttform für Radfahrende, auf der wir Sachfragen sachlich diskutieren möchten. Dieser Kommentar steht jetzt hier noch ein paar Stunden, dann wird er von mir gelöscht.

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  4. Ich bin der Meinung, dass der vorhergehende Komentar nicht von dir gelöscht werden sollte. Die Zeitung soll ruhig so schreiben wie sie will. Jeder der das liest wird sich dann seine eigene Meinung bilden können. Auch über eine unkritische Zeitung. Selbst musste ich auch feststellen, dass es manchmal unterschiedliche Berichterstattungen gibt. Der mündige Bürger ließt ja nicht nur eine Zeitung.

    Was unter der Ära Kuhn alles für den Fahrradverkehr getan wurde, weiß jeder aus seiner eigenen Erfahrung. Dazu brauche ich keine Zeitung. Wenn der Kommentar von dir gelöscht werden sollte, dann kannst auch du nicht mit Kritik umgehen. Bisher und hoffentlich auch in Zukunft wünsche ich uns, das deine Tinte nicht versiegen möge.

    Man darf sich jedoch schon fragen was das Radforum so macht und warum das alternative Radforum gegründet wurde. Weshalb die Critical Mass sich eines so großen Zuspruchs erfreut. Es auch eine Kidical Mass gibt und ein Radentscheid durchgeführt wurde. Worauf wartet die Politik noch, warum wird hier nicht mehr für ein lebenswerteres Stuttgart getan? Lazarus

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    1. Nein, darum geht es ar nicht, lieber Lazarus, ich finde allgemeine politische Polemiken gegen Insitutionenm, Personen oder Unternehmen nicht gut auf einer Seite, auf der es ums Radfahren geht. Kritik ja, aber diese Rundumschläge führen zu weit weg vom Thema Radverkehr (wobei ich ja auch kritisch über den Umgang der Medien mit dem Thema Radfahren schreibe). Wei haben einen mutnerren Whataboutism, wenn wir einen Artikel von mir zum Anslass nehmen, mal eben auf jemanden oder etwas zus schimpfen, das ich erwähnt habe, was aber gar nicht das Thema war. Ich mag eine sachliche Diskussion und in dem Rahmen auch Kritik. Wenn du meinen Blog liest und verfolgsst, dann weißt du das. Kritik an mir ist übrigens für mich leichter zu akzeptieren als an anderen Personen oder Amtsträger/innen oder Insititutionen, vor allem wenn sie so wutgeeladen, also nicht mehr sachlich, sind. Darum geht es mir.

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  5. Danke für die Analyse! Möchte noch bemerken, dass nicht bei jedem Auffahrunfall der/die RadfahrerIn Schuld ist. Oft passiert es mir zumindest, dass mich Autos überholen und dann umittelbar danach rechts abbiegen. Sie fahren also in den Sicherheitsabstand und bremsen dann direkt. Müssen sie etwa wegen Fußgängern heftiger bremsen, muss man schon selbst gute Bremsen haben, um nicht aufzufahren.

    Mit Hunden ist das auch schwieriger als ich angenommen hatte. Früher hatte ich immer gedacht es reicht langsam zu fahren, wenn man eine Hund überholt, genau wie bei Kindern oder Smartphone-Zombies.

    Tatsächlich hatte ich aber letztens trotzdem eine Kollision mit einem Hund. Da bin ich eine Straße an einer Schrebergartensiedlung entlang gefahren und plötzlich flitzt ein kleiner Hund aus einem nicht einsehbaren Garten auf die Straße. Da hatte ich wirklich Null Zeit auch nur anzufangen zu bremsen. Glücklicherweise ist dem Hund wohl nichts passiert, weil er im vollen Lauf keinen Bodenkontakt hatte und dann wie Odie davon geflogen ist.

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    1. Guter Hinweis. Gerne biegen die Autofahrer, die überholt haben ,dann auch ohne zu blinken vor einem rechts ab. Aber das scheint bei diesen beiden Unfällen nicht der Fall gewesen zu sein. Und es gilt schon für Radfahrende auch der Grundsatz, dass der Abstand auch zu vorausfahrenden Autos immer so sein muss, dass man noch bremsen kann. Bei einem plötzlich querlaufenden Hund hat man als Radler/in genausowenig eine Chance, wie bei einem Kind, dass plötzlich irgendwo hervorspringt. Glücklicherweise sitzen wir Radler/innen meist etwas höher und haben besseren Einblick als Autofahrende in ihren Autos. Da vermeiden wir schon viel.

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    2. Das mag bei den aufgeführten Unfällen nicht relevant gewesen sein, aber der Bremsweg von PKW ist wesentlich kürzer als der von Fahrrädern.
      Christoph.

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  6. Liebe Christine, du hast dir mal wieder richtig viel Mühe gemacht. Vielen Dank für Deine Zeit und Energie.

    Eine Anmerkung: Du dröselst auf in Männlein/Weiblein. Viel interessanter ist aber das Alter der Verunfallten. Warum? Ungefähr jeder 2. getötete Radler ist über 65. Diese Gruppe ist deutlich überrepräsentiert.

    Das sind Menschen, auf die wohl eher nicht das Label Radrambo oder Kampfradler passt. Diese Radler zeichnen sich wohl eher durch regeltreue und defensive Fahrweise aus.

    Hier wird deutlich, wie gefährlich unsere Radinfra ist. Und wie fahrlässig die Amtsschimmel und Amtsstuten mit der Gesundheit und mit dem Leben schwächerer Verkehrsteilnehmer umgehen.

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  7. Stimmt, das habe ich an anderer Stelle aber schon mal analysiert. Übrigens gehören zu der Gruppe derer, die auch vermehrt Fahrradunfälle haben, auch die jungen Leute. Ich denke, wenn wir mehr Radwege hätten, hätten wir auch mehr Frauen und Ältere unter den Opfern, die klassischerweise eine vermeintlich sichere Radinfrastruktur nutzen. Aber bei so geringen Zahlen müssen wir, glaube ich, vorsichtig mit Interpretationen sein. Aber danke für deinen Hinweis.

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  8. Jörg
    Die Zahl 51 erscheint mir gering. Warum? Wenn ich im https://unfallatlas.statistikportal.de/ auf Stuttgart zoome und mir die Unfallorte mit Fahrradbeteiligung ansehen, scheinen das mehr zu sein. Schon alleine 7 Unfallorte im Kaltental entlanf der Kaltentaler Abfahrt hauptsächlich bergab. Wer die Punkte anklickt kriegt mehr Infos. Dort sind neusten Daten von 2018.

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  9. Super, auch ich finde das eine gelungene Übersicht.

    Und wieder mal kein einziger Unfall dabei mit Radrowdys, die bei "rot" fahren oder sich wagemutigg rechts an Lkw (oder Staus) vorbei schlängeln. Gerade was die Einfahrten betrifft, da kann sich ein Radfahrer wirklich nicht schützen.

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