25. Mai 2021

Radeln mit Angst oder illegal - Vaihingen


In Vaihingen am Schillerplatz funktioniert wirklich gar nichts für den Radverkehr. Nur der Autoverkehr klappt. 

Die Gehwege am Schillerplatz und der Hauptstraße sind alt und schmal, für Autos hat man Parkplätze eingerichtet, und Radfahrende können sehen, wo sie bleiben. Radstreifen gibt es auf der Hauptstraße keine. Deshalb radeln die meisten hier auf den Gehwegen um die gesamte Rad-Infrastruktur drum herum, obgleich die Gehwege nicht freigegeben sind. Sehr zum Leidwesen der Fußgänger:innen. Die stehen auch noch viel an Ampeln herum. Hier meine Viertelstundenreportage. Alles, was in einer Viertelstunde passiert, passiert häufig. 

Auf dem Foto sehen wir einen Jugendlichen links auf dem Gehweg radeln und einen Mann auf der Mittelpur der Fahrbahn kommen. 

Wer die Kaltentaler Abfahrt hoch kommt und sich gut auskennt, landet mit dem Fahrrad nicht auf der Hauptstraße von Vaihingen, sondern wird durch Nebenstraßen irgendwohin geleitet. Die anderen stehen vor dem Corso-Kino im Autostau. Der Gehweg ist hier freigegeben allerdings nur bis zur Fußängerampel. Wer weiter will, Richtung Schwabengalerie, muss dann absteigen und schieben. 

Oder aber man muss zwischen den Autos auf einer der zwei, dann drei Spuren radeln. Wer am der Schwabengalerie geradeaus will, muss die mittlere Spur wählen. Diesen einen Radler habe ich in der Viertelstunde gesehen, der das gemacht hat. Er startete, als es grün wurde, so schnell, dass der Autofahrer nicht schon auf der Kreuzung an ihm vorbeikam, sondern erst dahinter, dann aber nur über die Linksabbiegerspur des Gegenverkehrs. Es gab einige Radler:innen, die auf dieser einen Fahrspur stadtauswärts geradelt sind. Eine hielt den Druck des Autos hinter ihr nicht aus und schwenkte nach rechts auf die Taxiparkplatzspur. Andere hatten Glück, dass die Ampel weiter vorn rot war und die Autos deshalb langsamer blieben. Jedenfalls keine angenehme Strecke. Und die vielen Kinder und Jugendlichen, die hier mit dem Rad unterwegs waren, fuhren überhaupt nicht auf den Fahrbahnen, sondern alle auf den Gehwegen. (Dazu weiter unten mehr.) 

Die Kreuzung, am Vahinger Markt/Hauptstraße/Rober-Koch-Straße, funktioniert für Radfahrende überhaupt nicht

Wer von der Uni her auf der Straße Vaihinger Markt  kommt, findet vor der Ampel einen Radstreifen vor und bekommt gleichzeitig mit den Autos Grün. Da das ein Start auf einer Steigung ist, müssen Normalradradler:innen tüchtig in die Pedale treten, um weg zu kommen. Nur wenige nutzten in der Zeit, in der ich dort stand, diese Spur. Einer wurde auf der anderen Seite der Kreuzung von einem nachdrängenden Auto so eng angegangen, dass er vor der Ecke am Bordstein bremste und den Autofahrer vorbeiließ, bevor er dann auf der Fahrbahn weiterradelte. Das Foto zeigt die Situation in dem Moment, wo der Radfahrer bremst. Das von hinten kommende Auto wird dann vor ihm einscheren, und er erst dann weiterradeln. 

Der zweite Radler auf dem Radstreifen fuhr ein Normalrad und konnte bergauf nicht so schnell starten wie ein Pedelec. Deshalb war der Sprinter dann schon mal an ihm vorbei, und er konnte relativ unbehelligt diese Strecke fahren. Und er war vor dem nachfolgenden Auto dann schon von der Einmündung des Radstreifens auf die Fahrbahn geschwenkt, ohne dass beide sich zu nahe kamen. 

Jedenfalls ist der Radstreifen, der hinter der Kreuzung endet, nur etwas für nervenstarke Radler:innen. Die anderen nehmen den Gehweg. 

Wir sehen auf den Fotos auch schon einen Gag, den diese Kreuzung noch für uns bereit hält: Die indirekte Linksabbeigespur mit Aufstellplatz und einer winzigen Radlerampel am allemeinen Ampelmast (also nicht in Fahrtrichtung). Ich habe darüber schon mal kopfschüttelnd geschrieben. Inwzischen ist diese Spur ja nicht mehr neu und eingeführt, also allen bekannt, die hier regelmäßig radeln. 

Ich habe in der Viertelstunde aber tatsächlich keinen einzigen Radfahrer gesehen, der diese Verkehrsführung genutzt hätte. Ich wunderte mich auch, dass die Radlerampel schon grün wird, während die Autos noch über die Kreuzung fahren, und zwar aus der Robert-Kochstraße kommend. Würde ich hier bei meinem Radlergrün starten, würde ich sofort von einem Linksabbieger umgenietet werden oder gegen ihn prallen, denn die fahren noch Sekundenlang, nachdem meine Radlerampel schon grün geworden ist. Auch Geradeausfahrer, die aus meiner Sicht bei Rot gefahren sein müssten, habe ich gesehen und sie sind in der Collage auch auf dem oberen Bild zu sehen. Also, wer sich da hinstellt, nach rechts hinten guckt und dann startet, während die Autos vor dem Vorderrad die Kurve schneiden, braucht extrem starke Nerven und viel Radler-Masochismus.  (Der rote Pfeil im Bild weist auf die grüne Radlerampel hin.) 

Da es auf der Hauptstraße keine Radstreifen gibt, die fangen erst an der Herrenberger Straße an, radeln die allermeisten, die hier so an einem Freitag ab 15:35 Uhr unterwegs waren, auf den Gehwegen. Und das sind nicht wenige, denn auch in Vaihingen hat der Radverkehr zugenommen. Jugendliche sind sowieso nicht auf den Radstreifen, sondern nur auf Gehwegen untewegs, gerne übrigens auch mit E-Scootern, aber auch viele Frauen und Ältere benutzen eine Mischung aus Gehweg, Gehwegecken, Fußgängerüberwege und Fahrbahn und radeln vor allem die Hauptstraße auf den Gehwegen entlang, obgleich keiner dafür freigegeben ist. Links oben in der achter-Kollage ist auch der eine zu sehen, der auf der Fahrbahn fuhr. 

Besonders ausgefeilt macht das dieser Radler hier. Er kommt den Gehweg die Straße Vaihinger Markt hoch, radelt über die Fußängerampel, schwenkt kurz vor dem Bordstein auf die Fahrbahn, bleibt dort aber nicht, sondern biegt wieder auf den Gehweg ein und radelt dort weiter.

Für den Autoverkehr klappt hier allerdings alles, und weil hier auch viele zur Hauptverkehrszeit fahren, würden andere Regelungen vermutlich in diesen Zeiten dafür sorgen, dass der Autoverkehr nicht mehr fließt. Der Radverkehr fließt allerdings gar nicht. Und der Fußverkehr wird natürlich, wie üblich, auch immer wieder angehalten, wenn auch die Ampelfasen erträglich sind. 

Am Schillerplatz hat man für Autofahrende die mal eben kurz parken wollen, großräumig Parkplätze eingerichtet, die den Gehweg schmal machen. So schmal, dass man ihn für den Radverkehr nicht freigeben will und auch nicht sollte (was halt nix nützt). Und es ist ja nicht so, dass nur Radler:innen auf den Gehwegen fahren, sondern auch gerne mal ein Motorrad, das dann auf dem Gehweg abgestellt wird (man sieht es auf dem Foto ganz oben da parken). Das wirkt doch alles trostlos und veraltet. 

Es würde reichen, wenn man die Behindertenparkplätze dort lässt, den Rest an Parkfläche könnte man dann in eine schöne Fußgängerfläche umwandeln, auf der auch Durchradler:innen nicht stören. Noch besser wäre es natürlich, man würde der Hauptstaße in Vaihingen endlich Radstreifen gönnen (oder das Tempo auf 30 km/h reduzieren und Radzeichen auf die Fahrbahnen malen, wenn der Platz dafür fehlen sollte). Und diese unsägliche indirekte Linksabbiegespur aus Richtung Vaihinger Markt muss, nach meinem Dafürhalten, dringend in eine direkte Linksabbiegespur für Radfahrende umgewandelt werden: Sprich, es muss einen vorgezogenen und erweiterten Aufstellplatz für Radfahrende und eine Radlerampel geben, die es ihnen erlaubt, vor den Autos zu starten und direkt links abzubiegen.

Grundsätzlich: Wo viele Radfahrnde regelwidrig auf nicht freigegebenen Gehwegen radeln, ist mit der Radinfrastruktur etwas gründlich schief gelaufen. Das Fahrbahnradeln wird vor allem von Jugendlichen und Frauen, aber auch von älteren Radlern als zu gefährlich und stressig empfunden. Deshalb stressen sie nun die Fußgänger:innen. Der Autodruck treibt die Radler:innen auf die Gehwege, wo sie diesen Druck an die Fußgänger:innen weitergeben. Und das wollen wir in Stuttgart wirklich nicht mehr so haben.


 

12 Kommentare:

  1. Es ist schon beeindruckend, wie viel Murks man auf einem so kleinen Bereich unterbringen kann, wenn man die Verkehrsflächen unbedingt ungerecht verteilen will, um den Kfz-Verkehr massivst zu fördern und zu bevorzugen.

    Ist das tatsächlich "Indirektes Linksabbiegen"? Die Haltelinie ist doch noch geradeaus in ursprünglicher Fahrtrichtung. Beim indirekten Linksabbiegen macht man doch einen Schwenk nach rechts, um zusammen mit dem (Rad-)Verkehr zu fahren, der aus der rechten Straße kommend geradeaus über die Kreuzung fährt. Auch die Ampelschaltung spricht dagegen.

    Stellen wir uns aber mal vor, ich würde mich schon in neuer Fahrtrichtung aufstellen. Dann wäre die Ampel rechts hinter mir. Für Radfahrer eine etwas unsinnige Anordnung.

    Ich sehe das aber generell als eine Blaupause und Vorlage für Ampeln für den Kfz-Verkehr, insbesondere für Rechtsabbieger, wenn es auch noch einen Radfahrstreifen, einen Radweg oder einen Schutzstreifen gibt. Die generelle Idee: Das würde die Autofahrer zum Schulterblick zwingen. Vielleicht hätte das einen Sicherheits-Gewinn für Radfahrer bei der häufigen Unfallursache "ignoranter rechtsabbiegender Autofahrer". Dagegen spricht, dass manche Autofahrer losfahren werden, bevor sie ihren Blick wieder nach vorne richten.

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    1. Lieber Holger, ja, das ist indirektes Linksabbiegen, man muss nämlich einen Schlenker radeln. Und wie du richtig bemerkt hast, steht die Radlerampel hinter einem, wenn man sich in Fahrtrichtung aufgestellt hat. Radlermapeln stehen ja gern mal hinter einem, wenn man so steht, dass man losradeln kann, die hier ist ein besonders eklatantes Beispiel. Dieses Abbiegen nach Kinder-Manier, also das indirekte Linksabbiegen finde ich für Radfahrende, die ernstlich vorankommen wollen, nicht geeignet. Warum soll ich denn zwei Mal an einer roten Ampel warten, wenn ich nach links will? Aber es wird derzeit immer noch so geplant.

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    2. Das war nicht mein Punkt. Nur weil man einen Schwenk vollführt, ist das rechtlich schon "indirekt": das war meine Frage. Oder ist es erst dann indirekt, wenn man quasi nach rechts abbiegt und eine Kehrtwende macht, um dann *gerade* über die Kreuzung zu fahren, d.h. das "gerade über die Kreuzung" charakterisiert das "indirekte".

      Unabhängig von diesen Feinheiten stimme ich zu:

      Klar, direktes Abbiegen ist schneller. Je nach Verkehrsdichte muss man aber zwischen die Autos rüberdrängen, was nicht jedem liegt - bei der Radbeherrschung ist das anspruchsvoll und etwas instabiler mit gleichzeitigem gründlichen Umschauen, Spur halten, Handzeichen geben, Bremsen. Und man muss damit rechnen, dass man trotz Handzeichen links von drängenden Autofahrern weiter überholt wird.

      Und auch klar, eine Ampel hinter sich zu haben, ist Unfug.

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    3. Indirekt abbiegen heißt, dass man sich an einer weiteren Ampel wieder aufstellen muss, so wie hier, welchen Bogen man fährt, ist dabei egal. Entscheidend ist, dass du eben nicht mit den Auto-Linksabbiegern fährst, sondern noch mal anhältst und auf eine weiter Ampel achtest.

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  2. Wann wurde denn das so gebaut? Sehr alt sieht es ja nicht aus.
    Ich finde, langsam sollten solche Konstruktionen, die erstens mit Sicherheit auch zur Bauzeit schon gültiges Recht verletzten, bestimmte Verkehrsteilnehmer massiv benachteiligen und gefährden, und dem gefährlichsten und schädlichsten Verkehrsmittel absoluten Vorrang einräumen, auch strafrechtliche Konsequenzen für Verantwortliche in Politik, Verwaltung und Planung haben!

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    1. Auf jeden Fall vor mehr als drei Jahren, denn 2017 habe ich darüber schon mal geschrieben.

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  3. Lustig ist es auch, wenn man Möhringen kommt und die Aufstellfläche zum geradeausfahren vor der Rechtabbiegerspur zur Kaltentaler Abfahrt verwendet. Man landet auf der Bushaltestelle, und muss sich dann irgendwie in den links an einem vorbeirauschenden Autoverkehr einfädeln.

    Aber in Vaihingen macht man gerade so weiter: Eben wurde der obere Teil der Heerstraße umgestaltet. Aus den vorher zwei Fahrspuren wurde eine Fahrspur gemacht, um den "Verkehr zu beruhigen". Was wurde mit der wegfallenden Fahrspur gemacht? Ein breiterer Gehweg? Ein Radweg? Nein! Mehr Parkplätze, Quer zur Fahrbahn angeordnet. Nun hat man auf einer Strecke, wo es vorher aufgrund der Breite relative wenig Probleme gab, drängelnde Autofahrer hinter sich, wird extrem knapp überholt, und den ganzen Spaß den man aus allen Engstellen kennt. Aber man hat ja "den Verkehr beruhigt" und mehr Parkplätze geschaffen. Das ist wohl das, was man in Stuttgart als Win-win betrachtet.

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  4. Vaihingen hat sehr viele kuriose "Radverkehrsanlagen". Sehr merkwürdig finde ich, dass man an der Stadtbahnhaltestelle "Schillerplatz" nicht der Straßenbahnstrecke folgend zum Bahnhof durchradeln darf, sondern erst an der nächsten Kreuzung, die man nur erreicht, wenn man (legal) den linksseitigen Gehweg beradelt.

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  5. Diese Kreuzung gab es schon lange bevor intensiver über Radverkehr in Stuttgart nachgedacht wurde. Dnde der 90ziger bin ich da oft vorbeigekommen - auch mit dem Rad. Erst jetzt, wo Radeln "gebräuchlicher" wurde, hat man versucht dem Rad mit teils unüblichen Führungen Platz auf den Fahrbahnen einzuräumen ohne am Autoverkehr auch nur ein Muggele (winzigkleines Teilchen) zu ändern.
    Ich missachte vom Vaihinger Markt kommend die Radführung und fahre mit dem Rad auf der Autospur. Wenn ich geradeaus fahre ebenso. Denn die Radführung macht einen Schlenker und führt nicht in gerader Richtung über die Kreuzung, was ja nur widersinnig ist.

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  6. Ich bin hier Anwohner, d.h. als Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer unterwegs. In der Tat ist die Navigation mit dem Auto am komfortabelsten. Als Fußgänger schwillt mir der Kamm über die ganzen Radfahrer auf dem Gehweg (besonders in der Robert-Koch-Str abwärts), aber als Radfahrer habe ich mich schon oft gefragt, wo ich jetzt eigentlich hin soll. Die Auflösung Schillerplatz oben von der Kaltentaler Abfahrt über die Tiefgarageneinfahrt ist nur für Mutige, allein schon wegen der Auto-Rechtsabbiege-Spur, da landet man automatisch auf dem Gehweg (kommt die U1 grad, wird es noch spannender). Wem das an Abenteuer noch nicht reicht, empfehle ich die tatsächlich markierte Linksabbiegespur von der Emilienstr auf die Robert-Koch. Hut ab, wer das zur Rush Hour probiert, Selbst wenn der Verkehr fliesst ist das nicht ohne ... das 30er Schild vor der Kita scheint rein dekorativ zu sein.

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    1. Danke für diene Einschätzung, so sehe ich das in Vaihingen auch. Und wenn ich zu Fuß gehe, ärgern mich die Gehwegradler:innen auch. Und sich erlebe, wie der Autoverkehr den Radverkehr auf die Gehwege drängt, wo er dann zulasten der Menschen zu Fuß geht. Leider immer noch üblich bei uns in Stuttgart und nicht nur hier.

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    2. "Und sich erlebe, wie der Autoverkehr den Radverkehr auf die Gehwege drängt, wo er dann zulasten der Menschen zu Fuß geht."
      Das ist in der Tat das größte Problem in dem Komplex, es zeigt auf, das die Kultur einfach immer noch nicht passt. Auto nimmt 9/10 der Infrastrukturfläche in Anspruch und sagt dann zum Fußgänger " Schau mal, die Radfahrer nehmen euch den Gehweg weg." Gerechte Verteilung sieht anders aus ...
      Ich persönlich empfinde diese Verdrängung aber in Stuttgart schlimmer als in anderen deutschen Großstädten (hat vielleicht mit der Topologie zu tun?)

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