30. April 2022

Das hatten wir doch schon mal geklärt

Ich dachte eigentlich, das hätten wir in Stuttgart endlich überwunden: dieses "Radfahrer absteigen!" zum Frühlingsfest oder Volksfest. 

Die zwei Jahre Corona-Pause haben uns darüber hinweggetäuscht, dass es jedes Jahr dasselbe ist, wie ich 2017 bereits geseufzt habe. Soweit ich mich erinnere, kamen wir 2019 ohne das "Radfahrer abssteigen" aus, aber die Kenntnis, dass das geht, scheint innerhalb der zwei Jahre wieder verloren gegangen zu sein. Vor lauter "jetzt-dürfen-wir-wieder-alles"-Panik scheint es auch wieder erlaubt zu sein, Radfahrende auf einer ihrer wichtigsten Verbindungen zwischen König-Karls-Brücke und Neckardamm die Fahrberechtung abzusprechen. 

Und dann steht das Schild, das ja zu Recht vor vermehrtem Fußgängeraufkommen warnt, auch gleich zwei mal mit dem Absteigen am Radweg. Muss das sein? Müssen wir wirklich alles bei jeder Sonderbeschilderung wieder durchkauen? 2019 zog auf unsere Beschwerde hin dann noch jemand von der Stadt los und überklebte das "Absteigen". Aber müssen wir uns immer erst beschweren? Ich bin es wirklich leid! 

Nach Auffassung des ADFC Bielefeld ist das Zusatzschild "Radfahrer absteigen" rechtswidrig, muss aber befolgt werden, solange es da steht. 

Zitat: "

Es gibt auch keine Rechtsvorschrift, die es den Straßenverkehrsbehörden erlauben würde, Radfahrer zum Schieben zu zwingen. Die Straßenverkehrsordnung spricht nur im Zusammenhang mit dem Abbiegen in § 9 Abs. 2 StVO das Absteigen von Radfahrern an. Dort dient es aber der Erfüllung der Wartepflicht, und enthält kein Schiebegebot oder anderes Verkehrsverbot für Radfahrer.

Die verkehrsrechtliche Anordnung des Zusatzschildes „Radfahrer absteigen“ ist eindeutig rechtswidrig. Rechtsgrundlage für verkehrsbeschränkende Maßnahmen ist die Straßenverkehrsordnung, nicht eine Verwaltungsvorschrift (Katalog der Verkehrszeichen) oder sonstige Richtlinien. Daher regt auch das Standardwerk für Planer und Behörden „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA 95, Seite 90) an, das Zeichen 1012-32 „zu vermeiden“. Die gleiche Auffassung findet sich in der kommentierenden Fachliteratur (z. B. Dietmar Kettler: Notwendigkeit und Perspektiven einer StVO-Reform, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 2000, Seite 273 [279]).

Nicht nichtig

Die Rechtswidrigkeit allein bewirkt aber nicht, dass ein Vorschriftzeichen unwirksam ist. Es ist bei bloßer Rechtswidrigkeit nur anfechtbar und bis zu seiner Beseitigung zu befolgen. Widerspruch und Klage gegen ein Verkehrszeichen haben keine aufschiebende Wirkung. ... Angesichts der jahrelangen Praxis, das beanstandete Zusatzschild aufzustellen, darf man zwar zuversichtlich sein, dass die Gerichte von der Rechtswidrigkeit dieser Beschilderung überzeugen werden können, aber nicht von der Nichtigkeit. Denn den Unterschied zwischen Vorschriftzeichen und Zusatzschildern kann man bei durchschnittlich wissenden Verkehrsteilnehmern sicherlich nicht als bekannt voraussetzen. 

Gegen die unbedachte Beschilderung mit dem Zusatzschild 1012-32 kann man auch den § 45 Abs. 9 StVO anführen, der 1997 in die StVO eingefügt worden ist. Dort heißt es in Satz 2: „Insbesondere Einschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen [des § 45 StVO] genannten Rechtsgüter (z.B. Schutz vor Straßenschäden, Lärm, Abgasen, Gewässerverunreinigung etc.) erheblich übersteigt“. Ein durch Radverkehr ungebremster Fluss des Kraftverkehrs, den das obligatorische „Radfahrer absteigen“ an Baustellen gewährleisten soll, gehört jedenfalls nicht zu den besonders schützenswerten Rechtsgütern, die § 45 StVO aufzählt. Da die StVO einen höheren Rang hat als die Verwaltungsvorschriften (z. B. für die Beschilderung von Baustellen), die zu ihrer Ausführung erlassen worden sind, ist die Anordnung „Radfahrer absteigen“ auch unter diesem Gesichtspunkt rechtswidrig."

19 Kommentare:

  1. Ich frage mich oft, was ich als Liegeradfahrer in solchen Situationen machen sollte.

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    1. Es ist schon schwer, ein Liegerad zu schieben :/ auch ist ein dreirädiges Liegerad stabil und kann beliebig langsam fahren. Ich kann verstehen, wieso in gewissen Fällen es mehr Sicherheit bringt, wenn man von einem aufrechten Rad absteigt, aber im Falle eines Liegerads sehe ich das nicht

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  2. Die Diskussionen mit der Verwaltung klingen etwas wie Diskussionen mit religiösen Fundamentalisten: Keine Chance, mit irgendetwas - beispielsweise geltendem Recht - durchzudringen. Aus deren Sicht mögen diejenigen, die auf geltendes Recht verweisen, aber selbst die Fundamentalisten sein. Haben die die die damaligen Diskussionen überhaupt wirklich wahrgenommen?

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  3. Ralph Gutschmidt30. April 2022 um 10:07

    "Nach Auffassung des ADFC ist das Zusatzschild "Radfahrer absteigen" rechtswidrig, muss aber befolgt werden, solange es da steht."

    Das ist nun ch Unsinn, ich bezweifle, dass der ADFC so etwas gesagt hat.

    Das Schild kommt in der StVO gar nicht vor. Zuden ist es ein Zusatzschild, das die Gültigkeit des Hauptschildes erläutert oder erweitert. Da aber nirgends ein Schild das Radfahren verbietet, ist das Zusatzschild gegenstandslos.

    Ja, auch rechtswidrige Schilder müssen befolgt werden. Aber nur, wenn sie formal wirksam etwas anordnen.

    Die rechtlichen Zitate sind aus dem Zusammenhang gerissen. Es gibt keine Juristen, die die Meinung vertreten dass das Schild befolgt werden muss.

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    1. Bernd Sluka hat das Zusatzzeichen vor langer Zeit mal als Thema gehabt: Das wäre der 10. Punkt in der folgenden Liste:
      http://bernd.sluka.de/Radfahren/absteigen.html

      Ganz am Ende des Artikels geht es um zivilrechtliche Haftung, falls tatsächlich etwas passiert. Der Punkt könnte interessant sein.

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    2. Ralph Gutschmidt30. April 2022 um 10:53

      Tatsächlich behauptet der ADFC Bielefeld in der von dir verlinkten Seite, dass das Schild zu befolgen sei.
      Gerade mal recherchiert: Das ist eine völlige Einzelmeinung, die sonst nirgendwo in der juristischen Literatur geteilt wird. Es ist ärgerlich, dass der ADFC solch einen Unfug verbreitet, denn damit setzt er ja diese Meinung erst in die Welt, die dann Rad Fahrenden entgegen gehalten wird. Wenn so etwas in die Presse kommt, nicht auszudenken.

      Übrigens ist es am Ende egal: Denn selbst wenn man der abwegigen Meinung des ADFC Bielefeld folgt, bleibt das folgenlos. Die StVO enthält nämlich keine Bußgeldvorschrift für einen Verstoß gegen dieses Schild. Ein Bußgeld muss man nur zahlen, wenn man ein "durch Vorschriftzeichen angeordnetes Ge- oder Verbot der Anlage 2 Spalte 3" zu § 41 Abs. 1 StVO nicht befolgt. Und da steht es nicht. An dieser Stelle gibt selbst die hartnäckigste Bußgeldbehörde auf.

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    3. Ein etwaiges Bußgeld wäre ein Aspekt. Wesentlich teurer könnte eine zivilrechtliche Haftung werden, wenn tatsächlich etwas passiert.
      Eine Möglichkeit wäre, während der Gefahr, also während des Volksfestes, eine Ausweich-Route auszuschildern. Falls das aber vermieden werden soll: Dann wäre die Frage, ob mit dem Schild nicht die Haftung (oder zumindest ein grösserer Anteil) auf Radfahrende verlagert wird.

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    4. Ralph Gutschmidt30. April 2022 um 12:47

      Übrigens ist der ADFC Bielefeld auch innerhalb des ADFC mit seiner Rechtsauffassung isoliert. Alle anderen Untergliederungen und auch der Bundesverband sehen das Schild als rechtlich unbeachtliche Empfehlung (Punkt 4: https://www.adfc.de/artikel/verkehrsrecht-fuer-radfahrende)

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  4. Etwa 30 m weiter ist der Radweg linksseitig durch ein Schild für Autos eingeengt. Aber Rad nimmt ja Rücksicht! Gegenüber allen anderen, egal ob Fußgänger oder Auto!

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  5. Ich halt bei solchen Schildern immer an, steigt ab (nur das steht auf dem Schild) und steig anschließend wieder auf und fahr weiter, wie beim Stoppschild.
    Ich habe noch nirgends eine amtliche Beschreibung gefunden, was nach dem Absteigen passieren soll, auch nicht wie lange (zeitlich oder streckenmäßig).
    Entweder darf ich durchfahren oder nicht. Dafür gibts eigene Zeichen.Wenn ich nicht durchfahren darf, habe ich das Anrecht auf eine Umleitung, wie Autos auch. Wenn die nicht da ist, gibts eine saftige Beschwerde bei der Stadt.
    Karin

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  6. Ich habe bisher auch behauptet, das Schild sei kein Schild der StVO und ungültig. Ich bin ja auch keine Verkehrsjuristin. Die Überlegungen des ADFC Bielefeld sind zumindest nachvollziehbar und es steckt Recherche dahinter. Es leuchtet mir aber auch ein, dass ein Schild, bei dem es kein Bußgeld gibt, nicht befolgt werden muss. Andererseits ist das Radfahren auf einer Strecke, wo das Radfahren verboten ist, durchaus bußgeldbewehrt. Ich denke, es käme zu einem langwierigen Rechtsstreit. Sicher ist auf jeden Fall, das im Falle eines Zusammenstoße eines fahrenden Radlers mit einem Fußgänger, die ganze Schuld beim Radfahrenden landen würde, zumindest aus Sicht der Polizei, die den Unfall aufnimmt und der Staatsanwaltschaft berichtet. Auch das würde dann wieder zu einem längeren Rechtsstreit führen. Deshalb mag ich nicht einfach so schlankweg behaupten, das Schild sei nicht gültig und müsse nicht befolgt werden. Klar ist vor allem eines: Dieses Schild ist in höchstem Maße fragwürdig, vor allem, wenn es auf einer ausgewiesenen Radroute steht, für die es de facto keine Alternative gibt.

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    1. Wobei das die Bußgeld-Seite bzw. im Falle einer Kollision die etwaige strafrechtliche Seite wäre. Daneben gibt es noch die zivilrechtliche Seite. Angenommen, der Fußgänger stürzt bei der Kollision, schlägt unglücklich mit dem Kopf auf und ist ein bleibender Pflegefall, vielleicht noch alleinerziehend mit drei Kindern: Kann dann die Rechtsanwältin des Fußgängers argumentieren, dass §1 StVO (gegenseitige Rücksichtnahme) gilt und dass der Träger des Rad-/Gehweges auf ein erhöhtes Fußverkehrsaufkommen mit dem "Radfahrer absteigen"-Schild extra nochmal hingewiesen habe?

      Geht es bei der Beschilderung vielleicht darum, dass die Verwaltung keine Ausweich-Route ausweisen will (die eventuell über Fahrbahnen führt) und die Haftung für die Gefährdung (Radroute geht durch Fußverkehr im Rahmen eines Volksfestes) auch nicht haben will?

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  7. Was an der Stelle auch noch "nett" (d.h. maximal bescheuert) ist, sind die Rohre/Geländer, die auf der Betonabschrankung gegenüber der Straße angebracht sind und schräg in den Radweg reinragen (sieht man gut auf den Bildern), damit die Radler mit dem Lenker sich dort auch richtig drin verfangen können, d.h. der schmale Weg wird dadurch nochmals schmäler. Die Logik des Geländers erschließt sich nicht, denn eigentlich fahren die Radler ja nie auf der Straße sondern immer auf den (für den Gegenverkehr) nicht ausreichende breiten Radweg. Es ist dann umso konsequenter (Ironie!), dass die Radler auf den Radwegen ihren Göppel nur noch schieben sollen.

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    1. Ja, das denke ich mir auch regelmäßg wenn mir dort ein Radfahrer mit z.B. Anhänger, also "Überbreite" entgegenkommt. Wenn man vom Lenkerende zu diesem Murks von Geländer seine 20 cm Abstand hält, so hat man kaum mehr Abstand zum Gegenverkehr.
      Diese Geländer gehören 180° gedreht, so dass sie zur Straße ragen, oder einfach komplett entfernt!

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  9. das ist klassischer versicherungsterrorirsmus in reinform.

    dem russen wird's ergal sein, wenn er kommt.

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  10. Ja, was macht man da nur? Vielleicht einfach nicht beachten und entspannt weiterfahren, so wie bei der fahrrad Ampel davor auch. Voraussetzung :Niemand wird gefährdet. Manchmal würde ich nicht nur im Urlaub gerne in Frankreich zu sein. Andreas

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  11. Nun ja, was soll man machen? Vielleicht einfach weiterfahren ohne, so wie bei der fahrrad Ampel davor auch, ohne jemand zu gefährden und ohne viel geschwäz

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