2. April 2022

Kein Respekt vorm roten Teppich

In der Kolbstraße, die von der Tübinger Straße Richtung Lehenviertel hochgeht, sind neue Fahrbahnmarkierungen entstanden, die den Radfahrenden das Leben deutlich erleichtern. Aber die meisten Autofahrenden stehen auf der roten Fläche. 

Hier stellte man sich als Autofahrer, wenn man clever sein wollte, vorher zweireihig an der Ampel auf und blockierte dabei oft auch den die Bergabradspur mit den entgegenkommenden Radler:innen. Nun ist es ein bisschen anders. Aber es fällt so manchen Autofahrenden doch echt richtig schwer, zu erkennen und einzusehen, dass jetzt hier etwas anders ist.  

Ich sah bisher jedes Mal - also wirklich jedes Mal - wenn ich dort wartete, einen Autofahrer, der die Haltelinie überfahren hatte und auf der roten Radfläche stand. An den Flecken auf dem roten Belag sieht man sehr schön, dass das Usus ist. Weil die Ampel ja lange rot ist, fahren manche Autofahrer mitten in der Wartephase plötzlich noch ein Stückchen weiter vor auf die rote Fläche. 

In der Collage sieht man das in der mittleren und in der unteren Reihe. Der Taxifahrer auf den unteren beiden Fotos wollte gar nicht akzeptieren, dass die Ampel rot ist, und machte Anstalten, einfach auf die Kreuzung hinaus zu fahren, und zog dabei nach links.  Da er die Fenster offen hatte, rief ich ihm zu, dass die Ampel schon noch grün wird, und er hielt wieder an. Ein seltsames Verhalten für einen Taxifahrer. Als ob er nicht wüsste, was solche Aufstellflächen bedeuten. Oder als ob es ihm schwer fiele, an einer Haltelinie weiter hinten - in der Rangfolge nachgeordnet - stehen zu bleiben. Jedenfalls wirkt da irgendein psychologisches Moment, das ich noch nicht durchschaue. 

Gleichzeitig stand eine Radlerin dort, wo man vor der Neugestsaltung gerne stand, wenn man zusammen mit den Fußgänger:innen starten wollte, die 7 Sekunden vor den Autos Grün bekommen. Auch sie hat die Haltelinie und die Aufstellfläche nicht  wahrgenommen und offensichtlich auch die neue Radlerampel auch nicht bemerkt oder ihr misstraut. Sie wird eine halbe Sekunde nach der Fußgängerampel über die Hauptstätterstraße grün, also schön früh für Radfahrende, die dann schon mal weg sind, wenn die Autos starten. Wenn die Radlerin immer so radelt (was verkehrt und regelwidrig ist), wird sie das in Jahren nicht bemerken. Grunsätzlich gelten Fußgängerampeln nicht für Radfahrende, sondern nur entweder Ampeln mit Radzeichen oder, wenn die nicht da sind, die Ampeln für den Autoverkehr. 

Wenn ich dann hier Grün kriege und losradle, während die Autofahrenden noch warten müssen, vermute ich immer, dass die meisten Autofahrenden nun denken, die Radlerin fahre wieder mal bei Rot. Und ich vermute, mit der Zeit wird sich das ändern, und man hat sich an die neue Anlage gewöhnt. 

Natürlich wird hier - wenn auch nicht so häufig - immer noch falsch geparkt. Auf dem oberen Bild der Collage sieht man rechts einen weißen Kastenwagen auf der Sperrfläche stehen, links steht einer halb auf dem Gehweg und halb auf dem Radweg (und ein Autofahrer ist etwas zu weit über seine Haltelinie drüber gefahren). Auf dem unteren Foto habe ich hinter mich fotografiert, weil ein Autofahrer sein Auto direkt vor einer Einfahrt mit den Vorderreifen auf die Fahrradfläche gestellt hat, übrigens mit laufendem Motor. Er saß drin und daddelte auf seinem Handy. Ich hatte aber keine Lust zu einer Diskussion. 

Auch ein Polizeifahrzeug wurde schon fotografiert, das mitten auf dem roten Radfahrstreifen stand (vermutlich in Einsatz). 

11 Kommentare:

  1. Das alles zeigt ganz klar: das ganze motorisierte System ist falsch und nicht reformierbar. Das psychologische Moment ist im Gegenteil sehr einfach zu durchschauen. Es ist das Recht des Stärkeren: es kann nicht sein, dass ich, die/der ich in einem Auto sitze, nicht Vorrang habe, und diese Ampel (Markierung, Schild...) da, die akzeptiere ich nur, wenn und insofern sie mein Verhältnis zu anderen, ebenso Starken regelt, das restliche Gesocks da geht mich nichts an.

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  2. Ich mag diese Aufstellflächen nicht. Ich hab dann häufig das Gefühl den Ärger auf mich zu ziehen. Am liebsten bleibe ich hinten und kann dann gemütlich und meist auch gefahrloser los fahren wenn die eiligen weg sind

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  3. Leider ist es zu günstig so ein Haltelinienverstoß. Die handydaddler würde ich auch nicht ansprechen, sondern anzeigen. Das gibt einen Punkt und dann ist der Lappen bei Zeiten weg.

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  4. Ich gehe normalerweise nicht von böswilligen Regelverstößen aus, aber diese Haltelinien werden sehr bewusst ignoriert. Mein Sohn, enthusiastischer Autofahrer, hat es mir erklärt: er denkt überhaupt nicht daran, sich beim Ampelstart hinter langsame Verkehrsteilnehmer zwingen zu lassen. Bewusst oder unbewusst, diese doppelten Haltelinien werden zu 80% ignoriert. An der berüchtigten Kreuzung Klingen/Talstr. fahren viele Autos sogar über die vordere Haltelinie, damit kein Radfahrer auch nur auf die Idee kommt, sich davor aufstellen zu wollen.
    Wenn eine Regel so systematisch gebrochen wird, stellt sich die Frage, wie vorzugehen ist: erziehen wir 80% der motorisierten Verkehrsteilnehmer um via Kontrollen, Bußgelder, etc. oder denken wir über Anpassungen der Regeln nach?
    Manche Ideen funktionieren halt in der Praxis nicht wie vorgesehen.
    Mir ist klar, dass die Verkehrswende nicht von selbst und per freundlichem Lächeln kommt, sondern durch kontinuierlichen Druck. Die Frage ist nur, wo man ihn ausübt. Überall gleichzeitig oder konzentriert?

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    1. "er denkt überhaupt nicht daran, sich beim Ampelstart hinter langsame Verkehrsteilnehmer zwingen zu lassen."
      Genau was ich sage. Und weg kriegte man so eine Haltung eigentlichnur, wenn man der laut eigener Aussage in eklatanter Weise zum Führen eines Kraftfahrzeugs moralisch ungeeigneten Person die Erlaubnis dazu umgehend entzöge.

      Dass das nie geschehen würde zeigt wie unreformierbar ein System ist, indem selbst wichtigste Grundsätze und Regeln nur auf dem Papier existieren. Der MIV muss weg!

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    2. Mir scheint, es ist ein allgemeingesellschaftliches Problem, dass wir nicht gelassen und großzügig miteinander umgehen, sondern gern in jeder Sekunde um unseren eigenen kleinen Vorteil ringen. Und da sind Radfahrende auch mit dabei. Unser Verkehrsystem ist auf Schnelligkeit ausgerichtet, schnelles Durchkommen, nicht lange warten müssen, flüssig fahren, und diesen Anspruch, dass ich selbst immer schneller vorankomme als andere, haben wir seit Jahrzehnten verinnerlicht. Das kann keine Polizei regeln. Übrigens nützt dem Autofahrer das Vorfahren an dieser Stelle in der Kolbstraße nichts, denn die Radfahrenden kriegen eh 6 Sekunden vor ihm Grün. Radampeln sind dazu da, den Radfahrenden vor den Autofahrenden Grün zu geben, damit die schon mal von der Kreuzung runter sind, bevor ein Autofahrer mit Überholdruck startet.

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    3. "Mir scheint, es ist ein allgemeingesellschaftliches Problem, dass wir nicht gelassen und großzügig miteinander umgehen, sondern gern in jeder Sekunde um unseren eigenen kleinen Vorteil ringen."

      Es ist nicht per se ein gesellschaftliches Problem, aber auf jeden Fall ein systemisches! Was soll man anderes erwarten von einem System, das auf der Idee von Hierarchie, von Konkurrenz, von Kampf... basiert?

      Und es zeigt sich wissenwchaftlich immer mehr, wie wenig dieses System der Natur des Menschen entspricht. Aber es erhält sich selbst, und eben besonders in einem Bereich wie dem MIV, der ja auf dem Recht des Stärkere aufgebaut ist..

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    4. Es braucht da nur eine leichte Anpassung der Regeln: "Aufstellflächen gehören zum Schutzbereich der Ampel" -> Illegales Benutzen ist ein Rotlichverstoß

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  5. Es gibt leider viele Autofahrer, die auch bei normalen Haltelinien glauben, es ginge schneller, wenn sie weiter vor fahren. Generell habe ich bei solchen Fahrbahnmalereien inzwischen das Gefühl, dass sie nur dort funktionieren, wo sie nicht gebraucht werden, weil ohnehin genug Platz ist.
    Was kostet so ein Regelverstoß eigentlich? Die Gefahr, sanktioniert zu werden, ist ja ohnehin sehr gering.

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  6. Das Überfahren einer Haltelinie bei Rot kostet 10 Euro Buße. Deshalb steigt bestimmt kein Polizist aus dem Polizeiauto aus und stellt einen Autofahrer zur Rede. Wird jemand gefährdet, dann kostet es 79 Euro, aber das bezieht sich im Grunde auf diejenigen, die noch schnell durchfahren, nachdem gerade Rot geworden ist und dabei jemanden gefährden, einen quer kommenden Radler beispielsweise, der schnell gestartet ist.

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  7. Dass das nur zehn Euro kostet, wenn man bei einer Haltelinie, bei Rot fährt, ist echt wenig.

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