9. Februar 2023

Gelacht, gelocht - grandiose Ideen für den Radverkehr

Charlottenplatz Stuttgart - schön wär's
Was ist eigentlich aus all den schwebenden, schwimmenden oder unterirdischen Radwegen geworden, über die ich in den Medien immer wieder gelesen habe? 

Gestoppel ist in Deutschland unser Radfahralltag.  Dabei sehen wir seit 2014 neidvoll nach Eindhoven mit seinem schwebenden Kreisvekehr für Radfahrende als Symbol für tolle und innovative Radinfrastruktur. In Kopenhagen wurde zu der Zeit die Schlange (Cycelslangen) gebaut, die ein Wahrzeichen für die Fahrradstadt geworden ist. Damals überschlugen sich Städte mit Ideen, für eine großzügige und auffällige Radinfrastruktur. Davon finde ich aber knapp zehn Jahre später nur Projektionsbilder, denn geworden ist aus den meisten Ideen nix.

2014 entwarfen Designer einen Ponton-Radweg auf der Themse, 12 km lang, der Radler:innen schnell durch London bringen soll (Bild 1). Er solle bald kommen, schrieb damals eine Ingenieurszeitung, mautpflichtig und auch für Fußgänger:innen, also Tourist:innen offen. Mit 600 Millionen Pfund erschien der damals als der teuerste Radweg, der je gebaut worden wäre. Gebaut wurde er bis jetzt nicht. 2015 stellten britische Architekten dann Radwege in ungenutzten U-Bahn-Tunneln vor (Bild 2). Auch eine gute Idee. 2016 wollte dann auch Chicago einen schwimmenden Radweg bauen (Bild 4), der auch überdacht ist, 10 km lang, Kosten 48 Millionen Dollar. Danach ist nichts mehr dazu im Internet erschienen.  

2015 schrieb die Presse über den Radweg unter der Hochbahnlinie 1 in Berlin (Bild 3), 9 km lang. 2022 berichtet eine Radfahrseite darüber, dass ein 250 Meter langes Sückchen im Sommer 2023 zum Test hergerichtet werden soll. Eine toller schwebender Fahrradkreisel in Nürnberg wurde 2015 vorgestellt und sogleich als Aprilscherz deklariert (Bild 5). 2020 tauchte die Meldung auf, dass Berlin einen luftigen Kreisverkehr für Radfahrende plant (Bild 6), das Ganze im Zuge eines Autostraßenbauprojekts. Es wäre das erste Mal für Berlin, dass so was auch kommt, wenn es denn kommt. Radhochwege sind derzeit auch immer wieder im Gespräch, also als Idee natürlich nur, beispielsweise in München und sogar in Stuttgart! Aber von konkreten Planungen habe ich noch nichts gehört.  

Tübingen scheint da weiter und plant sehr konkret Fahrradbrücken, unter anderem eine zwischen dem Nordteil und der Südstadt - 2019 beschlossen, 2022 Baubeginn -, die 2024 fertig sein soll (Bild 1). Der SWR nannte die Brücke im Spatenstichbericht "gigangisch". Kosten 15 Millionen Euro. In Heidelberg freut man sich auf eine Fahrradbrücke über Bahn und Neckar, die wohl 2020 beschlossen und jetzt projektiert wird (Bild 2). Immerhin! In Nordschleswig träumt man seit 2021 von der längsten Fahrradbrücke der Welt über den Großen Belt nach Fünen (Bild 3). Sie würde nicht nur den Radverkehr abwickeln, der bisher nicht nach Fünen kommt (auf der Storebæltsbroen (Große-Belt-Brücke) dürfen nur Autos  und Züge fahren), sondern auch jede Menge Touristen anziehen und Millionenmehreinahmen erzeugen. In Eberswalde wird eine Fahrrad- und Fußgängerbrücke mit Solarmodulen (seitlich angebracht) zum Hauptbahnhof geplant, die 2022 vom Bund 6,4 Millionen Euro Fördergelder bekommen hat. Gebaut wird wohl schon. Die Rad- und Fußgängerbrücke am Frankfurter Flughafen wird vom Bund mit 3 Millionen gefördert. Bis sie gebaut ist, müssen Radfahrende eine vielspurige Autostraße umfahren und an sechs Ampeln halten. Fertigstellung ist für Ende 2023 geplant. Alles keine gigantischen Projekte, keine, die den Weg in die internationale Presse finden, aber immerhin hier und dort mal ein etwas größerer Wurf zur Verbesserung der Rad- und Fußverbindungen. 

Tatsächlich gebaut und 2021 eingeweiht wurde im niederländischen Winschoten die längste Fahrradbrücke Europas (Bild 4). Sie kostete 6,6 Millionen Euro (nicht viel), ist 800 Meter lang und aus Holz gebaut. Über dass Projekt hat im Vorfeld die Süddeutsche Zeitung berichtet. In Venedig arbeitet man daran, einen 7 km langen Rad- und Fußgweg entlang der Via Pordelio fertig zu stellen, der teils frei über dem Wasser der Lagune schwebt, Kosten 12,5 Millionen Euro. Und auch in Deutschland ging mal etwas Gigantisches, allerdings im Kleinformat: Neckartenzlingen freute sich 2018 über eine knapp 100 Meter lange Fahrradtalbrücke

Und in Zukunft? Die spanische Seite The MonoPolitan meldet, ein Schweizer habe eine schwebende Radbrücke erfunden und fährt fort: "Se espera que muy pronto se construya la primera ciclovía de Urb-x en Stuttgart, Alemania. (Es wird erwartet, dass bald der erste Radhighway von Urb-x in Stuttgart, Deutschland, gebaut wird)". Interessant. Allerdings habe ich das vom Konstrukteur selber  auch schon gehört. Derzeit gebe es ein Wettrennen zwischen Stuttgart und München, wer den Highway als nächster baut. Allerdings nicht, wie von mir vorgeschlagen zwischen Schlosspark und Cannstatter Straße, sondern als Radschnellweg im Neckartal. Mal sehen, ob das was wird. Das Schweizer Unternehmen hat immerhin in Basel am Bahnhof bewiesen, dass man die Radbrücke bauen kann und vor allem, dass man sie von den Behörden auch genehmigt kriegt. 

Jetzt kann man sagen: Erst Mal die Radinfrastruktur auf dem Boden lückenlos ausbauen, bevor man auffällige Radbauwerke in die Stadt setzt. Andererseits kann eine Radbrücke dem Radverkehr auf einer längeren Strecke eine unverhoffte Bequemlichkeit und Sicherheit bescheren und ihn als ernstzunehmende Verkehrsart deutlich sichtbar aufwerten, auch wenn noch nicht alle Lücken in der Radinfrastruktur geschlossen sind. Wenn wir nämlich auf die Lückenschlüsse warten wollen, werden wir in Jahrzehnten nichts bauen, was den Radverkehr auf einer Stadtquerung oder zwischen Ortschaften rasant verbessert. Teuer ist das alles nicht im Vergleich zu dem, was uns Autoverkehrsanlagen kosten. Und dem hat man ja immer wieder Brücken und Schneisen durch ganze Städte gegönnt. 

13 Kommentare:

  1. Wichtiger wäre der Rückbau der Autoinfrastruktur. Sicher arbeitet V. Wissing schon intensivst daran.

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  2. Mir wär ja schon geholfen, wenn man allgemein bei Verkehrsprojekten den Rad- und Fußverkehr mit berücksichtigen und nicht regelmäßig "vergessen" würde. Oder wie jetzt bei uns jetzt geschehen, mitplant und dann wegen "Parkplätze" Geschrei wieder aus der Planung nimmt. Da wird die Sanierung einer Straße geplant, die derzeit wirklich grottig schlechte Radwege hat und weil ein paar Parkplätze weichen sollen und die Anwohner laut schreien, wird jetzt nur die Fahrbahn saniert und der Rest bleibt so grottig wie bisher. Diese ganzen großen "Fahrradprojekte" alles nur Augenwischerei in Alibifunktion.
    Karin

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    1. Dito. Seit 25(!) Jahren wird an der B2 durch Fürstenfeldbruck geplant, jetzt ist die Planung des bayerischen Strassenverkehrsbauamts fertig:

      Es wird eine LKW-Trasse für 40-Tonner, Rad- und Fußverkehr wird auf (schon jetzt, lt. ERA2010) untermaßigen gemeinsamen Rad- und Gehwegen abgewickelt. Der Stadtrat hat es abgenickt, "denn sonst passiert auch weitere 10 Jahre nichts". Feiglinge!

      Es sollen 5 Kurzparkplätze wegfallen, der Einzelhandelsverband hat deshalb einen Brandbrief an den OB geschrieben: "Die Innenstadt wird sterben." Aber nicht wegen der LKWs, wegen der Parkplätze!

      Eine Planung aus den 1970ern für die nächsten 3 Generationen. So siehts in D außerhalb der großen Städte aus.

      Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern


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  3. Ich glaube solch teuer Kunstbautenn können die Radinfrastruktur nur punktuell verbessern und sollten sehr gut geplant werden. Allgemein sollte abgeklärt werden, ob so was von den Radfahrern / Fussgängern auch angenommen. Z.B., gibt es in Zürich am Bucheggplatz eine grosse Fahrradbrücke über dem Autokreisel, der von den Radfahrern / Fussgängern nur ungern benutzt wird: Es geht steil auf die Brücke hoch und runter, der Weg ist länger, im Winter ist es eisig und windig kalt und es kann bei Bedarf nicht wirklich ein Halt gemacht werden auf der schmalen Brücke. Die meisten benutzen dann doch lieber die Zebrastreifen mit Ampeln, trotz Wartezeit.
    Ähnliches beobachte ich bei der Unterführung unter der Konrad-Adenauer-Str bei der Oper: Die meisten benutzen lieber den ebenerdigen Zebrastreifen 100 m weiter südlich als die Unterführung. Also ich glaube kaum dass die Fahrrad fahrer gross Lust hätten in London durch U-Bahn Tunnels zu radeln.
    Wir brauchen sichere Fahrradwege auf den ebenerdigen Strassen, die direkt an den Geschäften / Zielorten vorbeiführen. Die Autos sollen in die Tunnel und auf die Brücken!
    Grüsse Andreas S

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    1. Jörg
      Gerade an der B14 könnte man je eine Spur der Hoch und Runter Tunnelstrecke als protected Bike Lane installieren. Den Zugang gibt es an den Fussgängerampeln.
      Warum dürfen wir nicht unter der Planie Durchradeln? Bei der Critical sieht man da nur eine Spur vom Cahrlottenplatz zur Kriegbergstraße führt.

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    2. Warum dürfen Radfahrer nicht durch den Planietunnel (was definitiv eine illegale Anordnung darstellt)? Weil niemand dagegen klagt.

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  4. Jörg
    Brücken und Tunnel erlauben viel entspannteres Fahren ohne Auto Kontakt. Beobachten wir da mal den Pragsattel: Der Überweg über die Ampel ist von Norden her in Richtung Killesberg kürzer und dauert bei Ampelstop genauso lange wie über die Samarastege, bei grün geht es schneller. Trotzdem fährt die Mehrheit über die Stege. Fussgänger brauchen für den Umweg länger außerdem kommen sie per Ampel direkt zur Haltestelle.
    Der liebe Autoverkehr ist uns was leib und teuer. 27 Mio.€ für eine Ersatzbrücke da redet man nicht drüber, das läuft einfach. Vielleicht meckert man über die Baustelle. https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/stuttgart/gumpenbachbruecke-kornwestheim-sanierung-100.html

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    1. Ich denke, es ist gar kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Natürlich hat es keinen Sinn, eine große Radbrücke igendwo hinzustellen, wo es keine guten Zu- und Abgänge gibt, oder sie so schmal und schlecht zu machen, dass man nicht radeln mag. Und nicht auf jeder Radbrücke müssen auch Fußgänger:innen gehen, es darf auch mal was nur für Radfahrende geben. Wichtig für Radfahrende ist eigentlich eine ampelfreie Strecke, also eine, mit möglichs wenigen Halts, schon gar keinen langen. Daran wird sich immer entscheiden, ob Radfahrende die Strecken auch annehmen, die an ihnen gönnt, was auch für Radfahrstreifen entlang einer ampelreichen Fahrbahn gilt.

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  5. Meine Meinung: Derartige Prestige-Projekte können wir uns sparen, denn der Autoverkehr, wie wir ihn heute kennen, wird sowieso verschwinden:

    Die Energieeinsparung durch das EU-Glühlampenverbot ist ein Kinderfurz gegen die Energieverschwendung, die momentan durch den MIV stattfindet. 95% der dafür verbrauchten Energie verpufft in Wärme und in die Bewegungsenergie der Fahrzeuge. Für den Transport der *Menschen* bräuchte man nur ca. 5% der heute benötigten Energie, damit auch nur 5% der CO2-Emissionen. Das gilt (fast) gleichermaßen für Verbrenner und Stromer. Seltsamerweise ist das bis jetzt ein absolutes Tabu-Thema.

    Zur Einordnung: Mit der heute benötigten Energie zur Bewegung der MIV-Fahrzeuge in D könnte man *im Minutentakt* eine Ariane-5-Rakete in die Umlaufbahn der ISS transportieren!

    Wenn jemand was von Energiesparen faselt, kann man eigentlich nur laut lachen.

    Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern


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  6. ehrlich gesagt, sind mir profane plastikbojen lieber, als all die leuchtturmprojekte.
    die tun's mir.

    karl g. fahr

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  7. ​Mich erinnert die Diskussion an die Visionen der 70er Jahre, damals für den Autoverkehr.
    Was dann gebaut wurde will man heute oft für viel Geld wieder loswerden, siehe Friedrichswahl oder Kulturmeile.
    Eine aufgeständerte Radroute, weil man "unten" keinen Platz hergeben will, ist für mich ähnlich fehlgeleitet.
    Ich finde es nur punktuell sinnvoll als Brücke über Flüsse, Bahnlinien oder Autoschneisen, wenn man so Umwege vermeiden kann.

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  8. Ich finde das mit diesen teuren Schnapsideen/Leuchttürme eigentlich eine Superidee, mit einem immensen Nutzen: die Stadt Stuttgart muss ja einen gewissen Haufen Geld für die Radler verbraten und bislang geht das vor allem mit vielen Einzelprojekten, überall und viele davon unerwartet (gerade für die Nutzer). Wenn man jetzt eine teure Schnapsidee hat, geht das ganze Geld dafür drauf -- und wir Radler werden versäumt von den unzähligen Fehlplanungen und Laubsägelösungen für Details ("Was will mir diese Verkehrsplanung sagen? Ist das ernsthaft ein Angebot für Radler? Sollen die plattzufahrenden Radler sich hier sammeln? Wie schafft man es, soviel Geld komplett nutzlos zu verbauen?). Und ein weiterer positiver Effekt: das oder die Teufelchen der Stadt Stuttgart, die die auch vorhandenen guten Lösungen sabotieren, werden nicht mehr gebraucht und können die Personalnot der Kommunen lindern. Beispiele für diese Fehlplanungen findet man am schnellsten im Radbericht 2021 (Anlage 1 zur GRDrs 892/2021), meine Lieblingsstelle ist die Nr. 81.

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  9. Ja, es gibt gelegentlich mal Radverbindungen der 3.Dimension, die nicht nur für Marketing und als Greenwashing-Optimierung Sinn machen (etwa Umweg Reduktionen mittels Flussbrücken), aber im Regelfall passiert das, was auch schon beim 'Hovenring' zu konstatieren war:
    diese Bauwerke führen zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit des weiter wachsenden Autoverkehrs.
    Dass ausgerechnet das 'Automonster' Hovenring, dessen Planungsziel ja die Erhöhung der MIV-Leistungsfähigkeit war, allen Ernstes als Radwegeleuchtturm' vermarktet werden konnte offenbart m.E. einige verkehrswissenschaftliche Defizite der 'Radbubble', bzw. die Bereitschaft sich 'blenden' zu lassen ohne zu fragen was denn am Ende im Hinblick auf den Gesamtverkehr dabei rauskam.
    Nahezu immer gilt:
    wer in die dritte Dimension ausweicht will dem Autoverkehr zusätzliches Wachstum bescheren.

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