11. Februar 2023

S-Pedelecs könnten der Mobilitätswende wirklich nutzen

Belgien ist das einzige EU-Land, in dem immer mehr Menschen Speed-Pedelecs fahren. Die Zahl stieg von 1.800 im Jahr 2016 auf ca. 52.000 im Jahr 2021. 2022 dürfen noch mal 10.000 dazugekommen sein. 

Denn in Belgien hat man sich die schnellen Pedelecs, die bis 45 km/h beim Treten eine Unterstützung bekommen, genauer angeschaut und freundliche Regelungen für sie gefunden. In allen anderen Ländern Europas setzt man sie einfach mit Mopeds gleich und vergisst sie komplett. Das bedeutet auch bei uns in Deutschland, dass man mit einem S-Pedelec nicht auf einem Radweg oder Radfahrstreifen fahren darf. Auch entlang einer Landstraße darf man nicht den parallelen Radweg nehmen. Man muss immer auf Autofahrbahnen radeln. Zwischen Stuttgart und Cannstatt gibt es beispielsweise keinen direkten Weg für S-Pedelecs. Die Radwege am Leuze sind verboten, die Cannstatter Straße und der Schwanenplatztunnel sind Kraftfahrstraße und auch verboten. Der Umweg führt über andere Stadtteile. Über diese Probleme für S-Pedelec-Fahrer.innen habe ich schon letztes Jahr berichtet. Blogleserin Anja, die mich damals anschrieb, hat inzwischen mit dem lesenswerten und informativen Blog pro-s-pedelec begonnen und dort auch auf einen Podcast-Beitrag, in dem sie in Tübingens OB Palmer zu Wort kommen, und politische Initiativen oder Studien und  verlinkt. 

S-Pedelecs sind eigentlich ideal für Menschen, die Pendler-Wege im Umkreis von 20 km zur Arbeitsstätte zurücklegen und das nicht mit dem Auto tun wollen.  Die wenigsten fahren dabei tatsächlich 45 km/h, aber schon mit 30 bis 35 km/h kommt man in einer Stunde recht weit. Auch 40 km ein Arbeitsweg sind damit machbar. Doch die Aussicht, auf einer Landstraße zu radeln, ist nicht ermutigend, und manche machen das nur ein paar Mal und verwerfen die Idee wieder,  mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. S-Pedelecs sind verglichen mit einem eigenen Auto billig, zuverlässig und gesund. S-Pedelec-Radler:innen berichten aber, dass sie für Autofahrende wie normale Räder aussehen und auf den Radweg gehupt werden. Zugleich unterschätzen Autofahrende die Geschwindigkeit des S-Pedelcs bei Überholvorgängen und scheren zu früh wieder ein. Und natürlich radelt die Angst immer mit, dass man gar nicht gesehen oder feindselig eng überholt und von der Straße gecrasht wird. 

Mit schlechtem Gewissen fahren sie dann doch auch mal die verbotene Radinfrastruktur, auch weil man anders plötzlich nicht mehr weiterkommt. Manche tun das mit abgeschraubtem Kennzeichen, das man dann aber wenigstens in der Tasche dabei haben sollte, damit man die Versicherung nachweisen kann, sonst macht man sich strafbar. 

Manche Gemeinden geben Radwege per Zusatzschild für Mopeds frei. Man kann sie auch per Zusatzschild und Geschwindigkeitsbegrenzung für S-Pedelecs freigeben. Das macht Tübingen, weil OB Palmer selber S-Pedelec fährt und gegen alle Widerstände aus Berlin Mittel gefunden hat, dort ein S-Pedelec-Radnetz anzulegen. Darüber berichtet er ausführlich in dem Podcast, Fahrrad - immer ein Teil der Lösung. Die meisten anderen Städte aber kümmern sich überhaupt nicht darum. Anders in Belgien, wie das Speed Pedelec White Paper darlegt. Dort dürfen S-Pedelec-Radelnde zwischen Fahrbahn und Radstreifen wählen, wenn die Geschwindigkeitsbegrenzung 50 km/h beträgt, und sie müssen auf dem Radweg oder Radstreifen fahren, wenn Autos schneller als 50 fahren dürfen. Auf Fahrradstraßen müssen sie eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h einhalten (in Belgien gibt es offenbar Fahrradstraßen, in denen keine Autos fahren). Eine Gemeinde kann bestimmt Radwege auch für S-Pedelecs verbieten, wenn sie befürchtet, dass Fußgänger:innen und andere Radfhahrende gefährdet werden. S-Pedelecs haben spezielle Nummernschilder, anhand derer sie von Mopeds der Klassen A und B unterschieden werden können. 

Die EU-Regelungen, die 2016 nach sicherlich nicht gründlicher Beschäftigung mit der selbstaktiven Elektromobilität getroffen wurden, verhindern derzeit auch die Entwicklung von anderen leichten Elektrofahrzeugen, die eigentlich gut als Alternative zum Pkw (auch zum schweren E-Auto) taugen würden. Die Verkehrsministerium der EU und der Länder sollten sich dringend mit alltagstauglichen Verkehrsregeln für leichte Elektrofahrzeuge und S-Pedelecs beschäftigen und sie in einer besonderen Fahrzeugkategorie zusammenfassen. Es gibt keinen Grund, sie für gefährlicher zu halten als Autos. Auch S-Pedelecs werden fast nirgends so schnell gefahren, wie sie können, genauso wenig wie ein Porsche. Mit dem darf ja auch durch eine verkehrsberuhigte Straße fahren (obgleich der 300 km/h fahren kann). Auch dazu Überlegungen von Anja auf ihrem Blog. 

Die Gefahr besteht allerdings, das Kräfte, die das Radfahren als Gefahr definieren wollen, auch gegen Pedelecs zu agieren beginnen. In Ludwigsburg wurde vom Gemeinderat im Januar äußerst knapp ein E-Lastenradverleihsystem verhindert: Lastenräder seien gefährlich (für wen auch immer), fanden CDU, FDP und FW. (Drei Regio-Lastenräder gibt es aber immer noch.) 

15 Kommentare:

  1. Kleine Korrektur: Der Schwanenplatztunnel ist keine Kraftfahrstraße, dort gibt es nur ein Fahrradverbot. Mit dem S-Pedelec darf man da also durch.

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    1. Ich habe mir jetzt diese Detaillierung erspart. Stimmt aber schon, man könnte mit dem S-Pedelec da durch radeln - ist ja kein Fahrrad. Allerdings ist die Frage, wie das die Autofahrenden und die Polizei sieht. Man muss ihn über die Werastraße an- und abfahren, also stadtwärts im Tunnel (bei Tempo 50 für Autos) auf die ganz linke Spur wechseln. Da braucht es schon starke Nerven.

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    2. Darf ich dann auch mit dem E-Scooter durc?

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    3. Nein, Fahrradverbote (VZ 254) gelten auch für E-Scooter.

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    4. ....aber wenn ich mich recht erinnere darf man zu Fuß durch. Aber Theorie und Praxis und so...

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    5. Wirklich nicht? Da hängt ein Verbotschild für Fahrräder, aber nicht für Fußgänger. Und da es auch keine Kraftfahrstraße ist darf man dann doch zu Fuß durch, oder hab ich da was übersehen?

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  2. Ich bin 6 Jahre lang mit einem S-Pedelec zur Arbeit gependelt (14 km einfach) bis letzten Dezember der Rahmen gebrochen ist. Danach bin ich wieder auf ein normales Pedelec umgestiegen. Hier zur Diskussion meine Erfahrungen:

    Das Befahren von Radwegen, Wirtschaftswegen oder Waldwegen mit einem S-Pedelec war nie ein Problem. Während meinen 30.000 km habe ich kein einziges Mal Probleme bekommen. Ich weiß aber nicht, was bei einem Unfall passiert wäre: Wenn mir z.B. einer der vielen unangeleinten Hunde ins Rad gelaufen wäre oder ich eine Fußgänger angefahren hätte... Daher hatte ich immer ein etwas mulmiges Gefühl.

    Das Nummernschild hatte den Vorteil, dass man bei einem nicht benutzungspflichtigen Radweg auf der Straße fahren kann, ohne von Autofahrern bedrängt zu werden. Wenn ich jetzt mit meinem normalen Pedelec die selbe Strecke mit ähnlicher Geschwindigkeit fahre, dann werde ich auf einmal weg gehupt und bedrängt.

    Der Zeitvorteil durch ein S-Pedelec ist nur dann gegeben, wenn man auf Wirtschaftswegen über Land fährt. Dann schafft man eine Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 35 km/h. Bei ernsthaften Steigungen, in der Stadt mit vielen Ampeln/Kreuzungen oder auf einem kombinierten Fuß-/Radweg ist man nicht wirklich schneller als mit einem normalen Pedelec.

    Wenn man einen 35 km/h Schnitt fährt, ist der Akku doppelt so schnell leer wie bei einem normalen Pedelec. Mit 600 Wh hat man da eine Reichweite von nur ca. 30 km.

    S-Pedelecs werden vom Land BW nicht als Dienstrad unterstützt. Regulär bekommt man sie selten unter 4 bis 5 T€. Man zahlt also ca. doppelt so viel wie für ein normales Pedelec, obwohl der wesentliche technische Unterschied lediglich eine andere Software ist. Bestimmte Komponenten darf man bei einem S-Pedelec nicht tauschen bzw. nur gegen solche tauschen, die für Geschwindigkeiten > 45 km/h zugelassen sind. So etwas wird aber nur relevant, wenn das Fahrrad nach einem Unfall zu einem Gutachter muss, was wie bei den Radwegen ein mulmiges Gefühl verursacht.
    Denn die meisten Autofahrer sind ja mit Verkehrsrechtsschutz ausgestattet. D.h. im Fall eines Unfalls wird die gegnerische Seite diesen Umstand wohl nutzen...

    Aktuelle S-Pedelecs sind mit oft über 30 kg noch schwerer als die inzwischen bulligen normalen Pedelecs mit ca. 27 kg. Solche S-Pedelecs kann man eigentlich nicht mehr eine Treppe hoch tragen und bei der Reparatur benötigt man fast schon eine Hebebühne.

    S-Pedelecs darf man nicht (mehr) im Zug mitnehmen. Beim Fernverkehr war das schon immer so. Im BW-Nahverkehr sind sie inzwischen auch nicht mehr erlaubt. Hier habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Schaffner das auch durchsetzen.

    Fazit:
    Ich bin aufgrund der o.g. Nachteile wieder auf ein normales Pedelec umgestiegen. Meine Fahrzeit für die 14 km hat sich dadurch um ca. 5 Minuten verlängert (30 Minuten statt 25 Minuten). Dafür habe ich 2-3 T€ gespart, brauche keine Versicherung und kann bei Bedarf das Fahrrad auch mal im Zug mitnehmen.
    Allerdings muss ich zugeben, dass der Fahrspaß mit einem normalen Pedelec schon ziemlich durch die Abregelung bei 25 km/h begrenzt ist. Aber ein Chip-Tuning kommt für mich aufgrund der rechtlichen Folgen auf keinen Fall in Frage - dann lieber doch mit einem S-Pedelec auf dem Radweg.
    Meiner Meinung nach wäre die optimale Lösung Pedelecs auf 30 km/h statt 25 km/h zu limitieren.
    Bis das passiert, müssen wir aber noch ca. 10 Jahre warten:
    Zum Glück wird der Umgangston mit China ja immer rauer und die öffentlichen Kassen immer leerer. Deswegen spekuliere ich hier mal auf einen mittelfristigen Niedergang von Daimler und Co., wenn die ihre Protzkarren nicht mehr nach China verkauft bekommen, und hierzulande das Dienstwagenprivilleg nicht mehr finanzierbar ist. Denke, erst dann wird sich substantiell in der Verkehrspolitik etwas ändern.
    Ach ja, von einem Verkehrsminister, der für Porsche e-Fuels eintritt, erwarte ich inzwischen auch rein gar nichts mehr...

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    1. Alexander Müller12. Februar 2023 um 14:13

      Zur Mitnahme in der Bahn: Ein durchschnittlicher Zugbegleiter kann ein 25er nicht von einem 45er Pedelec unterscheiden. Einziges Merkmal ist idR das Nummernschild. Hier habe ich den Tipp von einem S-Pedelec-Pendler bekommen: man montiert das Nummernschild einfach ab und packt es in eine Satteltasche. Schon sieht es für den Schaffner aus wie ein 25er.
      Bei einer Polizeikontrolle (zu der es eh nie kommt) sagt man, dass es gerade eben erst abgefallen ist und man es deswegen in die Tasche gepackt hat.

      Grundsätzlich darf man schonmal die Frage stellen, wieso die Geschwindigkeit von Motorrollern genauso wie von eBikes auf 25 bzw. 45 km/h begrenzt wurden, obwohl die üblichen Geschwindigkeitsbeschränkungen 30 oder 50 km/h betragen. Ist hier ein konstanter Überholdruck schon unbemerkt in das Gesetz mit eingeflossen?
      Ein Schelm wer böses denkt.

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    2. Toller Kommentar, genau darum gehts beim S-Ped-Fahren.

      Ich bin von 2013 bis 2020 mit dem S-Ped gependelt, je 30 km eine Strecke, bis die Pandemie und das Homeoffice kamen.
      Mich wundert allerdings, dass die Autofahrer mittlerweile das Mofaschild am Rad respektieren. Ich hatte das damals für 2-3 Monate probiert und wurde gnadenlos weggehupt. Seither fahre ich mit dem Schild im Rucksack und habe keine Probleme mehr: Mein S-Ped wird als normales Pedelec angesehen.

      Ich kann es zudem problemlos im Zug mitnehmen. Welchen Sinn dort der Unterschied zu einem Pedelec macht, wissen die Götter. Die Akkus sind dieselben, die Motoren so gut wie, die Räder auch, ergo: Das ist ein typisch deutscher Anflug von juristischer Selbstbefriedigung.
      Und sollte wirklich mal ein Durchblicker von der Rennleitung das Kennzeichen sehen wollen, nun, das hab ich dabei. Würde 15 Euro Ordnungswidrigkeit kosten, ist mir in den letzten 10 Jahren aber nie passiert.

      Man glaubt wirklich nicht, wie viel Energie man mit dem S-Ped braucht, ich bin am Anfang mit 2 Akkus gefahren, bis das Laden in der Firma endlich erlaubt war. Der Luftwiderstand verdoppelt sich zwischen 30 und 40 km/h, daher kommts. Ich bin meine Strecken weitgehend über Bahnradstrecken und Feldwege gefahren, dann kann man mit dem S-Ped richtig Speed machen. Auf die 30 km war ich letztlich 1/4 Stunde langsamer als mit dem Pkw. Über die Jahre bin ich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 32 km/h gefahren, das ist schneller, als es jetzt so klingt.

      Nichtsdestotrotz wäre ich bei Tempo 30 für alle Pedelecs sofort dabei. Das passt zu Tempo 30 in den Städten und wäre den Autofahrern gut zu vermitteln. Plötzlich kann man intuitiv in den Straßen mitschwimmen, ich merke das in Esslingen beim Kolonnefahren auf dem Altstadtring :).
      Mal schauen, vielleicht kommt das in Stuttgart ja auch noch, ist ja nur noch 10 km/h langsamer als heute auf der B14.

      Gruß - Matthias

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    3. Vielen Dank euch beiden für eure ausführlichen Schilderungen eurer Erfahrungen mit S-Pedelecs. Ich fand auch schon immer, dass die normalen Pedelecs bis 30 km/h Kraftunterstützung haben müssten, damit wir organisch in den Tempo-30-Verkehr passen. Ob das aber bei der allgemeinen Angst vor Radfahrenden jemals dazu kommt ....

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  3. Es gibt keine "Autofahrbahn".

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    1. Ich weiß, liebe Anonyma, aber ich verwende das zur Unterscheidung zwischen Radinfrastruktur und dem Bereich, den man den Autos zuteilt. Zwar ist ein Radfahrstreifen kein Teil der Fahrbahn (für Autos, wohingegen der Autostreifen kein Teil der Fahrbahn für Radfahrende ist), aber ein Schutzstreifen ist es dann wieder. Gibt es keine Radinfrastruktur, gibt es auch keine Autofahrbahn. Ein S-Pedelec-Fahrer muss halt, wenn es einen Radfahrstreifen gibt, auf der Fahrbahn fahren (auch ein Schutzstreifen ist nicht erlaubt). Weil viele Leute nicht mal Radweg, Radfahrstreifen und Schutzstreifen unterscheiden können, wähle ich manchmal Wörter, die uns beim Lesen sofort verorten.

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  4. Prinzipiell gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Niemand wird sich beschweren, wenn ein S-Ped-Radler nicht mit 45kmh auf der Landstraße "herum tuckert", statt dessen den Radweg nutzt. Das überhaupt unter den Fahrrad-Typen unterschieden wird, ist so richtig typisch deutsch.

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  5. Vielen Dank für die Verweise auf meine Webseite. Gerne sind Andere dazu eingeladen, sich meinen Aktivitäten anzuschließen, um die Situation der S-Pedelec-Nutzenden zu verbessern.

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