Foto AGFK BW |
Wie groß muss die Verzweiflung über die Trägheit der Kommunen, Radwege entlang von Landstraßen zu bauen, sein, damit ein Verkehrsministerium mit Radfahrexpertise auf die Idee kommt, die Kommunen wenigsten zu so genannten Schutzstreifen zu drängen, weil sonst nix vorangeht? Alltagsradler:innen "brauchen rasch ein ein landesweites, lückenloses und attraktives Radwegenetz mit einer guten Qualität", heißt es auf der Internetseite des Verkehrsministeriums. Diese Radstreifen mit gestrichelter linken Seitenlinie dürften auch nur in Verbindung mit Tempolimits angelegt werden und der Bau eigenständiger Radwege habe weiterhin Vorrang. Sinnvoll oder nicht? Der ADFC lehnt das ab, eine Studie will zeigen, dass es hilft.
Reutlinger Str. Kemnat |
Bei Zürich, Schweiz |
Der ADFC widerspricht dieser Einschätzung vehement: "Aus wissenschaftlichen Studien zu Abstandsmessungen bei Überholvorgängen von Kfz gegenüber Radfahrenden ergibt sich z.B., dass auf schmaler Radinfrastruktur, zu der Schutzstreifen gezählt werden, ein sicherer Überholabstand (außerorts 2 Meter) bei den meisten Überholvorgängen nicht eingehalten wird. Die Wahrscheinlichkeit gefährlicher Überholvorgänge steigt also auf Straßen mit markierten Schutzstreifen." Das stellt übrigens auch die Studie fest: "Ist Radverkehr auf der Fahrbahn, wird der Schutzstreifen häufig als Orientierungslinie genutzt. Dies kann in der Folge eher zu engem Überholen des Radfahrenden führen."
Auf einer Landstraße radeln ist generell nicht angenehm. Es ist um so unangenehmer, je kurviger sie ist, je mehr Autos (und je mehr Schwerverkehr) auf ihr und je schneller sie fahren. Das einzig angenehme ist der bessere Asphalt. Weshalb viele Rennradler:innen auf der Fahrbahn bleiben und die parallelen Radwege meiden, die meistens hoppelig und zuweilen verdreckt sind. Bei Tag ist der Autoverkehr für Radfahrende wohl nicht gefährlicher als in der Stadt, bei Nacht aber schon. Wie eng Rennradler:innen auf Landstraßen überholt werden, kann ich nicht beurteilen. Der Schutzstreifen hat den Vorteil, dass er einen Raum für Radfahrende von mindestens 1,5 Metern definiert, und den Nachteil, dass Autofahrende den Bereich links daneben für ihren halten und meinen, sie müssten beim Überholen nicht mehr nach links rüber ziehen, sondern könnten an der gestrichelten Linie bleiben. Es spricht sich allerdings auch langsam herum, dass Überholabstände immer gelten.Wenn ein Auto eng am Radler vorbeifährt, entsteht dem Radler gegenüber ein Luftschub, gefolgt von einem Luftsog, der ihn durchschüttelt, je höher das Tempo des Autos, desto stärker. Das muss nicht gleich zum Unfall führen (kann aber!), aber Schreckmomente erzeugt es schon und damit Stress. Auf Straßen außerorts ist das Tempo der Autofahrenden höher als innerorts. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Schutzstreifen an einer - womöglich auch noch nachts unbeleuchteten - Überlandstrecke mehr Menschen ermuntert, ihren Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad zurückzulegen. Wenn sie bisher Auto fahren, erscheint ihnen die Situation der Radfahrenden am Straßenrand, auch auf dem Schutzstreifen, ohnehin lebensgefährlich. Wenn sie selber fluchen, weil sie runterbremsen und den Gegenverkehr abwarten müssen, bevor sie mit zwei Metern Entfernung überholen können und wenn sie es dann eben doch mal selber viel zu knapp tun, denken sie auch nicht: "Oh, das ist aber ein super Weg für mich, ab morgen fahre ich hier Fahrrad." Radeln sie dann doch, und erleben sie die ersten Schocks vorbeiknallender Autos, dann verwerfen sie die Idee schnell wieder, auf so einer Straße regelmäßig per Rad zur Arbeit und abends zu zurückzufahren, womöglich auch noch bei Dunkelheit. Der Freizeitradverkehr allerdings könnte sich ermutigt sehen, und der radelt da in der Regel nur einmal oder selten.
Andererseits denke ich mir, es wäre schon ganz gut, wenn auf so manchen Landstraßen überhaupt irgendwas wäre, das Autofahrenden klar macht, dass Radfahrende grundsätzlich auch hier Raum für sich beansprucen dürfen, am besten noch verbunden mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Wangen im Allgäu hat entlang seiner Haupt- und Ringstraßen hauptsächlich solche Schutzstreifen eingerichtet. Der Radverkehr nimmt auch dort zu, allerdings unabhängig von der Infrastruktur. Entlang der Außerortsstraßen gibt es traditionell Radwege oder Alternativstrecken. Die Radverbindung zwischen Wangen und Lindau ist - wenn auch etwas gestoppelt und teils über Gehwege - hergestellt. Eine durchgehende Radwegverbindung zwischen Wangen und Ravensburg (ca. 25 km) fehlt allerdings, Platz dafür ist im Seitenraum des entscheidenden Straßenabschnitts nicht. Eine Alternativstrecke über Dörfer und Feldwege bedeutet ein Umweg von vielen Kilometern. Die viel befahrende B32 führt durch Wald und über Kuppen, Radfahrende sind für Autofahrende oft erst sehr spät sichtbar. Nervenstarke Rennradler habe ich da schon gesehen. Schutzstreifen würden die absolute Raumdominanz des Kfz-Verkehrs immerhin schon mal optisch infrage stellen. Ob da ein Berufspendler radeln würde, sei dahingestellt, aber Radler:innen, die sich verirrt haben, kämen ohne Dauerherzklopfen weiter, und ab und zu würde man so eine Strecke dann vielleicht radeln.
Fazit: Es ist kompliziert. In Stuttgart ist die Gemeinderatsmehrheit derzeit gegen Schutzstreifen, abgesehen von kleinen Überbrückungsstrecken. Ob Schutzstreifen außerorts die Autos für Radfahrende gefährlicher machen als auf unmarkierten Fahrbahnen, scheint mir unentschieden. Radzeichenmarkierungen (zu denen auch Schutzstreifen gehören) auf Fahrbahnen zeigen immerhin der Autofahrerwelt, dass ihnen die Straße nicht alleine gehört und ändern die Windschutzsperspektive ein wenig.
Messungen von 2021 in Stuttgart zeigen, dass ein ein Viertel deutlich zu eng überholt (zwischen 0.5 und 1 Meter). Von den restlichen Dreivierteln hält ein Viertel den Mindestabstand ein und die Hälfte peilt so zwischen 1 und 1,5 Metern an (man hat ja auch kein Maßband dabei und muss schätzten). Ca. 2 Prozent fahren mit unter 50 cm vorbei.
eine brücke am ufer entlang.
AntwortenLöschenkarl g. fahr
Ich habe noch keinen Angebotsstreifen gesehen oder erlebt, der etwas zum Guten bewirkt hat (außer aus Autofahrersicht). Sie dienen ausschließlich dazu, Radfahrende an den Fahrbahnrand zu locken, damit sie von Autofahrenden illegal päp überholt werden können. Es gibt keinen Grund, außerorts auch nur die geringste Hoffnung auf Besserung zu haben.
AntwortenLöschenThomas aus Tübingen
Der Schutz- oder Angebotsstreifen in der Olgastraße in Stuttgart, den es schon sehr lange gibt, hat bewirkt, dass deutlich mehr Radfahrende dort bergauf fahren. Es herrscht wenig Autoverkehr, deshalb wird man dort meistens nicht eng überholt. Man radelt relativ stressfrei. In der Böblinger Str. bergauf war er fatal, weil die Autofahrenden wegen der Stadtbahnlinie keinen Raum zum Überholen hatten und es verboten war, was aber viele nicht eingesehen haben. Deshalb gibt es dort jetzt einen Radstreifen anstelle der Parkplätze.
LöschenWenn auf der Olgastraße sowieso so wenig KFZ-Verkehr ist, so benötigt es auch keinen Schutzstreifen. Und nur, weil mit Schutzstreifen mehr Leute Fahrradfahren heißt das noch lange nicht, dass die sich dabei sicher oder gar wohl fühlen.
LöschenJuhu noch mehr Radfahrergefährdungsstreifen!
AntwortenLöschenIch verstehe ehrlich den Sinn dieser Streifen nicht. Autofahrer und Radfahrer müssen sich mit und ohne Streifen gleich verhalten, wofür ist also dieser Streifen da? Damit Autofahrer denken es ist ein "Radweg" und der Überholabstand von 2m ist obsolet? Das dient dann mehr der Radfahrergeführdung.
AntwortenLöschenAnsonsten kosten Farbe und Arbeit Geld, es gibt aber für niemanden einen Mehrwert und es bringt auch niemandem mehr Sicherheit. Also was sollen diese Streifen?
Karin
Ganz so einfach scheint es mir dann doch nicht zu sein. Immerhin radeln dann mehr. Und Autofahrende sehen, dass Radfahrende unterwegs sein dürfen und können und unterwegs sind. Natürlich bin ich für extra Radwege oder breite Radfahrstreifen. Leider sind wir vielerorts in Deutschland noch weit entfernt von der Erkenntnis, dass Radfahrende überall sichere Infrastruktur haben müssen, also breit und mit wenig Berührungspunkten zum Autoverkehr und zu Fußgänger:innen. So ein Umbau einer traditionellen Verkehrsinfrastruktur (die nur Fußägänger:innen und Autofahrende kennt) dauert halt lang und ist mit vielen Kämpfen verbunden.
LöschenDie AGFK ist m.E. ein sehr seltsamer Verein. Bei uns wurden ringsum Kommunen mit dem Siegel "fahrradfreundlich" ausgestattet, obwohl es auf den Straßen nicht den geringsten Unterschied zu früher gibt.
LöschenIch verstehe auch nicht, warum die Verwaltungen nicht sagen, "wir waren und sind eine autofreundliche Kommune und wollen das auch bleiben". Das wäre wenigstens die Wahrheit.
Ich vermute es geht ums (Förder-)Geld?
Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern
und im Ergebnis sind Autofahrende dann der Meinung, dass auf Straßen ohne Angebotsstreifen Radfahrende überhaupt nicht fahren dürfen
LöschenThomas
"So ein Umbau einer traditionellen Verkehrsinfrastruktur (die nur Fußägänger:innen und Autofahrende kennt) dauert halt lang und ist mit vielen Kämpfen verbunden."
LöschenNur wenn man ihn in Wahrheit eigentlich nicht will.
Hier übrigens der Gegenbeweis, dass es schnell geht wenn man will:
Löschenhttps://www.aviewfromthecyclepath.com/2013/03/what-do-we-want-gradual-change-when-do.html?m=1
Jörg
AntwortenLöschenIn den Diskussionen der letzten Tage zu dem Thema ist mir aufgefallen, dass hauptsächlichlich Stadtmenschen ihre Stadterfahrungen zur Beurteilung anwenden.
Wenn die Mittellinie entfällt und Tempo 70 gilt, hilft das schon viel. Dann könnte man besser von Magstadt nach S Vaihingen radeln. So weichen einige in den Wald auf Schotter aus. Tempo 70 anstatt 100 ist eine Motivation für die Autofreundinnen eine extra Radweg anzulegen.
Ein großer Gefahrenpunkt von Schutzstreifen sind parkenden Autos. Die sind Überland verboten also keine Gefahr.
Träumt weiter davon das aktuelle 2m Abstand eingehalten werden und Radwege gebaut werden.
Ich bin viel mit dem Rennrad überland unterwegs. Für Stuttgarter Interessierte kann ich insbesondere die Strecke zwischen S-Büsnau / Katzenbacher / Unterführung A8 empfehlen ;-) Leider hab ich noch kein OpenBike-Sensor, mein Eindruck aber ist:
AntwortenLöschen- die Autos überholen zunehmend rücksichtsvoller
- für mich ist knappes Überholen weniger schlimm als das zu schnelle
- am Wochenende sind die hochmotorisierten Ausflugsfahrer das Problem, denen alles egal ist - ganz ehrlich, DA hab ich richtig Angst. Wenn man das Gefühl hat, hinter einem landet gleich ein Flugzeug. Da hilft vermutlich auch kein Abstandsstreifen
- wenn es Abstandsstreifen gibt habe ich schon den Eindruck, dass ich auf der Straße mehr akzeptiert werde
Es gibt einen Riesenunterschied zwischen Stadt- und Landstraßen.
LöschenAuf den Landstraßen ist Geschwindigkeit das größere Problem: wenn dort jemand mit 100 km/h an mir vorbeiheizt, ist es relativ egal, ob der Abstand 1 m oder 2 m ist.
Von daher freue ich mich über jede optische Verengung der Straße durch einen Radstreifen, denn der lässt die Autofahrer statt 100 nur 70 oder 80 km/h fahren.
Außerdem wird man generell auf einem Radstreifen nicht weggehupt. Für mich heißt der daher eher Anti-Hup-Streifen :).
Gruss - Matthias
Mir geht es inzwischen in der Stadt so, das ich vor allem samstags nicht gern auf der Fahrbahn radle, weil da komisch rücksichtslose (oder ungeübte) Autofahrende unterwegs sind, die hupen und zu eng überholen, weil sie es irgendwie eilig haben, warum auch immer.
LöschenSchutzstreifen funktionieren so gut wie Verkehrsschilder- es ist nur Farbe und ändert die Physik nicht.
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