Decatlon meint, Autofahrende verstünden das Radfahren nicht und stellt ein E-Rad für diese Leute vor.
Vielleicht kennen sie das Fahrradfahren noch aus ihrer Kindheit und Jugend und erinnern sich an Ketten, platte Reifen, quietschende Felgenbremsen und Gefummel beim Abschließen. Für ihr Erwachsenenleben erscheint ihnen das Fahrrad zu - sagen wir mal - robust und körperlich herausfordernd. Decathlon hat nach eigenen Angaben ein Magic Bike gebaut, das den Gewohnheiten von Autofahrenden näher kommen will. Es gibt aber auch noch weitere Vorschläge.
Tatsächlich ist das Fahrrad ein Verkehrsmittel, dem man Mechanik und Statik noch ansieht: Kurbel, ölige Kette, Kabel für Bremszüge, Rahmen. Reinfassen kann man überall und Hosenbeine können hängen bleiben. Während Autos unisex sind, kommen Räder als Damen- und Herrenrad zusätzlich mit unterschiedlichen Rahmengrößen daher. Wenn ein gewohnheitsmäßiger Autofahrer (oder eine Fahrerin) auf ein Fahrrad (auch Pedelec) steigt, begibt er/sie sich in eine andere Mobilitätswelt, die ziemlich umständlich erscheint. Während er/sie das Auto mit einem Druck auf den Funkschlüssel zu- und aufschließt, muss er/sie beim Fahrrad extra schwere Ketten-, Kabel- oder Bügelschlösser dazukaufen und irgendwie mitnehmen und sich beim Ab- und Aufschließen immer bücken und mit zwei Händen fummeln. Die Nachtbeleuchtung ist eine Funzel, ein Fernlicht für dunkle Feldwege gibt es nicht. Vorm Abbiegen muss er/sie den Lenker samt Bremse loslassen und die Hand rausstrecken. Und vor Regen geschützt ist er/sie auch nicht. Damit das Fahrrad was transportieren kann, muss er/sie sich über Taschen, Boxen und Spanngurte und Regenschutz Gedanken machen. Und mal schnell jemanden auf dem Rad mitnehmen, geht auch nicht.
Das Magic Bike ist ein Prototyp, der Ideen liefern soll, wie man das Radfahren den Erwartungen von Menschen anpasst, die die bequeme Funktionalität von Autos gewohnt sind. Aber ist das wirklich so?
Decatlon wirbt mit- einem Tiefeinstieg: Autofahrende sind nicht unbedingt die Verrenkungen gewöhnt, die wir machen, um auf das Diamantrad zu kommen. Dank der E-Technik sind die Rahmen genauso stabil wie Diamantrahmen eines klassischen Herrenrades. Okay, passt.
- anderen Bremsen: Es gibt - analog zum Bremspedal - nur einen Bremshebel, der beide Bremsen, hinten und vorn, aktiviert. Von einem ABS-System ist hier nicht die Rede wie es Bosch anbietet. Es könnte aber sein, dass Decathlon es eingebaut hat. Die Bremszüge sind übrigens versteckt. Sehe ich kritisch: Wir bremsen ja gezielt mit dem Vorderrad oder gezielt mit dem Hinterrad, wenn es glatt ist. Und wenn die rechte Hand beschäftigt ist (Abbiegen anzeigen, verbotene Aktionen mit dem Handy), dann ist der Weg zur Bremse weit.
- einem geschlossenen Getriebe: Das Rad hat Automatikgetriebe, Antrieb und Zahnriemen sind komplett abgedeckt. Da bleiben keine Hosenbeine oder Mantelschöße in den Zahnrädern hängen. Ein in den Lenker integriertes Display, also ein wohltuend cleanes Cockpit, liefert die Daten zur Fahrt. Klingt gut, allerdings ist die Frage, wie gut die Automatik zu meinem Fahrstil passt.
- Licht: Es gibt ein starkes Frontlicht und ein Bremslicht hinten. Allerdings, wenn schon, dann hätte man ein Fern- und Abblendlicht für finstere Waldfahrten oder Stadtverkehr einbauen können. (Solche Lichtanlagen gibt es für Fahrräder, aber bisher nicht fest installiert.
- Es gibt Blinker an den Lenkerenden. Sie sind zwar nach derzeitiger Rechtslage in Deutschland nicht erlaubt (man muss immer noch Handzeichen geben), aber ich finde, da könnten wir endlich mal per Gesetzgebung aus dem verstaubten Prinzip der Handzeichen herauskommen. Also: gut. Es erfordert nämlich fahrerisches Können, auf einer Bergabstrecke (wo man beide Hände an den Bremsen hat) die Hand vom Lenker zu nehmen und einen Richtungswechsel anzuzeigen. Bei einem Rad mit nur einem Bremshebel geht das beim Rechtsabbiegen gar nicht. Deshalb ist ein Blinker hier notwendig.)
- einem variablen Akku mit integriertem Landegerät: Der Akku steckt im Unterohr, kann aber rausgenommen werden. Das Ladegerät ist in den Akku integriert, sodass man ihn überall aufladen kann, ohne ein Ladegerät mitgenommen haben zu müssen. Darüber, wo das Kabel untergebracht ist, das man zur Steckdose legt, habe ich nichts gelesen. Der Akku besteht außerdem aus drei Modulen, die für je 30 km Reichweite Strom liefern. Wer weniger Reichweite braucht oder will, spart sich ein oder zwei Module und damit Geld und Gewicht. Gute Idee, denn auch viele Radstrecken sind nicht länger als 10 km und man braucht gar keinen so großen Akku.
- automatischer Entriegelung: Das Rad erkennt durch die Verbindung mit dem Smartphone automatisch, wenn der Besitzer sich nähert und entsperrt dann den elektrischen Antrieb. Klappt man den Fahrradständer nach der Fahrt aus, schaltet sich die Sperre wieder ein. Das klingt gut, vorausgesetzt es funktioniert pannenfrei. Ein externes Schloss scheint allerdings immer noch vonnöten, wenn man das Rad anschließen möchte und auch muss, damit die Versicherung bei Diebstahl zahlt. Wobei die Idee einer smarten Entriegelung so neu nicht ist. Smarte Schlösser mit Fingerabdrucköffner und Bluetooth-Verbindung zu Handy-Apps gibt es inzwischen einige. Fingerabdrucksensoren funktionieren bei Regen aber nur unzuverlässig. Dann sollte man eine Alternative fürs Öffnen haben (Code, Schlüssel oder Bluetooth-App). Aufladen muss man die Schlösser immer extern, sie sind nicht an die Elektrik der Pedelecs angeschlossen. Das ilockit-Rahmenschloss schließt und öffnet sich per Bluetooth übers Handy, per Chip am Schlüsselbund oder mit einem Code. Man kann einstellen, ab welcher Entfernung vom Rad es sich schließen und wieder öffnen soll. Der Akku soll ein halbes Jahr reichen, die App und das Schloss selber warnen vor niedrigem Ladestand. Aufladen muss man es mit Powerbank am Fahrrad, weil man es dafür ja nicht einfach abschrauben kann. Alles zusammen kostet 180 Euro.
- einfachem Klicksystem für die Gepräckträger vorn und hinten (Kindersitz, Taschen etc). (Dazu noch ein Video mit viel Gequatsche. Nun ja.
Ich finde, man hätte konsequenter sein können. Vielleicht fehlt den Herren Entwicklern noch der weibliche Blick auf die Alltagstauglichkeit und technische Bequemlichkeit von Fahrrädern. Ich vermisse echte Innovationen. Zum Beispiel:
Wo ist die Funkverriegelung? Autofahrende verriegeln ihr Fahrzeuge mit nur einer Hand und per Knopfdruck auf einen Funkschlüssel, den man zur Not mechanisch einsetzen kann. Die Batterie hält jahrelang. (Am Handy ist nämlich kein Schlüssel, der noch mechanisch funktioniert, wenn das Handy entladen oder verloren ist.) Ich frage mich schon lange, warum beim Fahrrad nicht geht, was beim Auto problemlos möglich ist. Pedelecs haben eine Elektronik, die man für eine Lenkersperre und -entsperrung (eine Hinterrad oder Rahmensperre etc.) mit Funkschlüssel einsetzen könnte. So kann man das Rad schnell abschließen, wenn man nur kurz in einen Laden geht. Schlimm genug, dass man das Rad für lange Nächte immer noch anschließen muss, und echt kurios, dass wir Radfahrende unsere Schlösser extern mitschleppen, um Rohre wickeln, an den Rahmen klemmen, in Taschen tragen, um den Leib schlingen. Könnte man sich nicht mal Gedanken machen über serienmäßig mitgelieferte sichere integrierte Fahrradschlösser, mit denen man Räder anschließen kann?
Aber liebe Designer:
Ja, kann man alles machen. Damit gehen dann aber so ziemlich alle Vorteile des Fahrrades im Bezug auf Resourcenschonung bei Herstellung und Betrieb verloren. Wenn man Zweiradautos baut vermeidet man konsequent eine Diskussion über die eigentlichen Ursachen unserer Welt, die Sucht nach grenzenlosem Komfort und die Unfähigkeit falsche Verhaltensmuster zu verändern.
AntwortenLöschenMein erster Gedanke beim Lesen wurde schon von meinem Vorposter ausgedrückt. Auf französisch könnte man sagen, "Nous sommes divorcés du monde physique", wir haben uns aus der physischen Welt verabschiedet. Wir können, wir wollen nicht mehr wahrhaben, dass wir Teil dieser Welt sind, mit allen Vor- und Nachteilen, und dass wir aich nur als integrativer Teil, als eine Art unter vielen und nicht irgendwie was besonderes, in dieser Welt überleben können.
AntwortenLöschenNicht das Fahrrad muss sich emanzipieren, wir müssen uns emanzipieren, von einer Ideologie, die aus völliger Eigennützigkeit heraus unsere wahre Natur als physische und soziale Wesen leugnet. Das richtige französische Vorbild ist nicht Decathlon, sondern Pierre Rabhi und seine "sobriété heureus", seine glückliche Genügsamkeit".
Dass ich Elektronisierung des Radfahrenes kritisch sehe, wisst ihr vermutlich, und es geht auch aus dem Artikel hervor. Ich fahre allerdings eben ein Pedelec, das ich für die typischen Alltags- und Erledigungsfahrten durch die Stadt so nutze wie andere Leute ein Auto. Und Pedelecs gehen ohne Elektronik nicht. Es hat sich bereits vom ursprünglichen Fahrrad entfernt. Niemand würde heute sagen, wir müssten noch mit dem Dreigangrad meiner Jugend fahren, weil das ehrlicher und technisch weniger aufwändig sei. Ich finde schon, dass sich Fahrräder den Bedürfnissen anpassen dürfen. Gerade die Pedelecs helfen vielen, aufs Fahrrad umzusteigen, besonders in Stuttgart mit seinen Steilstrecken. Und ich mag es ja nicht, wenn etwas umständlich ist, wenn es auch einfacher ginge, etwa bei den vielen Handgriffen, die man zum Abschließen eines Rades machen muss. Oder der schlechte Werkstattservice für Fahrräder oder die schlechten Sortimente bei Fahrradkleidung insbesondere für Frauen und Regen etc. oder die Frage, wie man Menschen, Gegenstände oder Einkäufe unkompliziert und ohne Zusatzausrüstung transportiert. Fahrräder sind technisch einfacher als Autos und sollen es auch bleibe, keine Frage. Je mehr Menschen auf Räder umsteigen wollen, desto vielfältiger muss aber auch das Angebot werden, finde ich.
AntwortenLöschenVieles von dem, was der Artikel als erstrebenswert darstellt, widerspricht einfach dem, was das Fahrrad als energieffizientestes Fahrzeug ausmacht.
AntwortenLöschenIch will nur zwei Beispiele herausgreifen, zuerst die geforderten pannensicheren Reifen. Pannenchutzschichten u. dgl. erhöhen den Rollwiderstand enorm, das kann bis zu 20% (!)ausmachen. Eine der einfachsten Verbesserungen an einem neuen Fahrrad kann es sein, die steifen Originalreifen durch geschmeidige Reifen (im Aufbau wie eine Rennradreifen) zu ersetzen. Ich fahre solche Reifen in Breite 38 seit vielen Jahren, auf allen möglichen Untergründen, ohne dass sich die Pannenhäufigkeit irgendwie erhöht hätte. Ein-, zweimal im Jahr eine Reifenpanne zu beheben ist jederfrau/mann in 10 Minuten möglich. Dass in Deutschland Reifen wie der Schwalbe Marathon so populär sind, scheint an einer Art Vollkaskomentalität zu liegen, die das Risiko einer Reifenpanne völlig überschätzt.
Zweitens die Idee, beim Anhalten mit beiden Beinen auf dem Boden stehen zu wollen. Das passt eben mit einem effizienten Pedalieren einfach nicht zusammen. Man muss halt beim Anhalten wie schon neulich hier beschrieben, aus dem Sattel gehen, ein Bein auf die Erde setzen, das andere Pedal nach vorne oben drehen, und sich beim Anfahren wieder in den Sattel heben. Ein wahrlich geringfügiger Aufwand für einen enormen Gewinn an Effizienz.
Man könnte noch vieles anderes annführen, eine komplett wasserdichte Kleidung etwa führt unweigerlich zum Schwitzen etc. pp.
Natürlich kann man das alles mit 250W glattbügeln, und dann noch alles Mögliche an das Rad bauen, bis es 30 Kilo wiegt, aber das ist dann halt eine anderes Verkehrsmittel...
Ganz grundsätzlich ist der Ansatz, in unserer Gesellschaft irgendetwas von unseren aktuellen Gewohnheiten her zu denken, der völlig falsche.
Lieber marmotte27, du sprichst mir aus dem Herzen!
LöschenIch hatte schon vermutetet, dass diejenigen, die es super einfach finden, eine Reifenpanne zu beheben, auf das klassische Fahrrad schwören. Interessanterweise sind es nur Männer, die das hier erklären. Es gibt aber wirklich viele andere Sorten von Radfahrenden, die man genau damit aufs Fahrrad kriegt, dass sie nicht mit einem platten Reifen irgendwo herumstehen und keine öligen Hosenbeine kriegen und so weiter. Und die meisten stehen tatsächlich mit einem Bein auf dem Boden und bleiben im Sattel sitzen. Und sie finden das weniger stressig, als erneut aufsteigen. Es gibt eben Vielfalt. Was für den einen passt, passt für die andere nicht.
LöschenIch glaube es ist ein bisschen sexistisch, Frauen die Fähigkeit abzusprechen, einen Platten zu reparieren. Ich kenne eine Reihe, die das sehr gut können, und die gerne einen vernünftig eingestellten Sattel haben.
LöschenUnd nochmal: es darf also nicht die kleinste Anpassung geben müssen, das Erlernen irgendeiner neuen Fähigkeit, um sich an geänderte Verhältnisse anzupassen? Dann können wir auch gleich alles so lassen wie es ist und ins Auto steigen wie alle Anderen anstatt uns hier die Köpfe heißzureden.
LöschenName zu vorherigem Kommentar: Thomas
AntwortenLöschen"Vielleicht fehlt den Herren Entwicklern noch der weibliche Blick auf die Alltagstauglichkeit und technische Bequemlichkeit von Fahrrädern."
AntwortenLöschenIst denn bekannt, dass am Entwicklungsprozess nur Männer beteiligt waren?
Liebe Christine,
AntwortenLöschendein Artikel spricht mir aus der Seele.
Warum ich als Radfahrer keinen zeitgemäßen Komfort bekomme, ärgert mich schon lange. Vor zwanzig Jahren habe ich ein einfaches Fahrrad mit einer tollen Lichtautomatik gekauft. Funktionierte viele Jahre super. Ich dachte natürlich, das sei nun Standard und war entsetzt, als es das beim letzten Fahrradkauf vor fünf Jahren überhaupt nicht mehr gab. Ok, beim Auto ist es jetzt Standard.
Warum mich ein praktisches Schloss von der monde physique abkoppeln sollte, ist mir ein Rätsel.
Bald werde ich sogar auf ein weiteres elegantes Sicherheits- und Komfortfeature verzichten müssen: den Rücktritt. Den gibt es kaum noch. Natürlich nicht wegen irgendwelcher Nachteile, sondern nur, weil er "typisch deutsch" ist und nicht cool.
War gerade ein Kommentar von mir.
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