13. September 2023

Sozial wäre es wenn ...

Ich höre oft das Argument, es sei unsozial, wenn man Parkplätze verteuert oder eine City-Maut einführt, kurz das Autofahren teurer macht. Dann könnten sich arme Leute das Auto nicht mehr leisten. 

Kürzlich argumentierte eine Bürgerin in einem Fernsehbericht gegen Anwohnerparktgebüren von 300 Euro im Jahr damit, dass sich Rentner:innen, die von der Grundischerung lebten, das nicht leisten könnten. Die Grundrente beträgt derzeit ungefähr 1.100 Euro. Ein Kleinwagen kostet ungefähr 300 Euro im Monat, ein Mittelklassewagen 400, wenn man nicht mehr als 15.000 km pro Jahr fährt (darin eingerechnet, Werkstatt, Reifen, TÜV, Steuern, Versicherung etc.). Es dürften sich also nicht viele, die von der Grundsicherung leben, überhaupt ein Auto leisten können. Sie dürften sich aber sehr freuen, wenn der öffentliche Nahverkehr bezahlbar ist, erreichbar ist und vor allem oft genug fährt. Das Deutschlandticket kostet derzeit 49 Euro (Bonus-Card 24,50 €) im Monat. Ein Elektrodreirad ist in der Anschaffung zwar so teuer wie ein Gebrauchtwagen, aber im Unterhalt sehr viel billiger. Dafür aber bräuchte es eine Radinfrastruktur, die keine Angst macht. Auch die Krankenpflegerin würde sich freuen, wenn der ÖV auch nachts zuverlässig fährt, damit sie für die Nachtschichten kein Auto braucht, das viel von ihrem Einkommen auffrisst. Oder über sichere, gut beleuchtete und im Winter geräumte Radwege, damit sie den Weg mit dem Fahrrad zurücklegen kann. 

Mir kommt es so vor, als erinnerten sich die finanziell gut gestellten Leute immer erst dann der finanziell Benachteiligten, wenn sie selbst fürchten, ein Privileg zu verlieren, das mit ihrer Autonutzung zusammenhängt.

Unser Bundesverkehrsminister sagte kürzlich der Presse zur Verteidigung der teuren Dienstwagensubventionen, dass die Dienstwagenregelungen schon immer eine Chance gewesen seien, moderne Fahrzeuge schnell an den Markt zu bringen. So könne sich die Krankenpflegerin oder der Krankenpfleger, die zum Schichtdienst fahren müssen, bald ein gebrauchtes E-Auto zulegen. 

Äh ... nein, können sie nicht, es sei denn, sie haben von ihren Brutto-Jahresgehältern um die 39.000 Euro  bereits ein Jahresgehalt angespart oder können einen Kredit aufnehmen. Denn ein gebrauchter Dienstwagen dürfte sich nicht in Raten abzahlen lassen. 

Ich weiß nicht, wie viele Leute mit wenig Geld diese Verteidiger:innen der Subventionierung des Autobesitzes, der ihnen selbst zugute kommt, tatsächlich kennen. Meinen sie die alleinerziehende Mutter, die Arbeit sucht oder einen Minijob hat? Meinen sie den Familienvater, der als Paketzusteller arbeitet (ca. 32.000 Euro)? Die gehen zu Fuß und fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und vielleicht würden sie gerne das billige Fahrrad fahren, wenn es denn eine anständige Radinfrastruktur gäbe, eine die in ihrer Eindeutigkeit, Sicherheit und Bequemlichkeit diesen Autorouten gleichkommt. 

Und wenn sie dann für ihre Parkplätze in Haustürnähe arugmentieren, weil manche doch Auto fahren müssten und aufs Auto angewiesen seien, dann vergessen sie völlig, dass entlang der Hohenheimer Straße  oder Hauptstätter Straße auch Menschen wohnen, doch die haben keinen einzigen Parkplatz in ihrer Wohnstraße, die parken in den Seitenstraßen. Das Argument "unsozial" zieht bei mir erst, wenn man diesen Leuten, die an solchen Straßen wohnen, auch mal Lebensraum und Verkehrsruhe gönnt. Und wenn man alles tut, damit wir alle für unseren Alltag nicht aufs Auto angewiesen sind. 

Unser Verkehrssystem ist nämlich in höchstem Maße unsozial, es verbannt bestimmte Leute, die nicht viel Geld verdienen, an die viel befahrenen Straßen und gönnt denen, die sich teure Mieten oder Häuser leisten können, in Wohngebieten Ruhe und hunderte von Metern Straßenrandparkplätze. Diese Leute, die so schön wohnen, verlangen dann, dass sonst möglichst niemand durch ihre Straßen fährt, während Tausende von Menschen an mehrspurigen Fahrbahnen ohne Parkplätze wohnen müssen. Und nebenbei bemerkt: Wenn die Menschen, die Garagen haben, sie auch nutzen würden, dann könnten die, die keine haben stressfrei parken, das wäre dann mal sozial. Ohnehin zieht das Argument "unsozial" nicht, denn der Autobesitz schadet den Leuten selbst, die eigentlich kein Geld haben für ein Auto. Unsozial ist es, dass wir den Autoverkehr subventionieren und für Stellplätze auf der Straße kaum Geld (kanpp 40 Euro im Jahr fürs Parkraummanagement in Stuttgart) verlangen, während Leute ohne Auto Straßenbahn fahren und dafür monatlich bis zu 49 Euro zahlen müssen. 

Immerhin: Mittlerweile wird auch das Bahnfahren subventioniert. Eine höchstens 5-köpfige Familie kann mit einem Gruppentagesticket für 11 Euro in der Zone 1 Bus und Bahn fahren (13€ 2 Zonen). Das entspricht ungefähr den Parkhausgebühren für vier Stunden in der Innenstadt (10 - 12 Euro). 

Wer hin und wieder ein Auto braucht, aber nicht ständig, kann sich einem Car-Sharing-System anschließen. Viele können auch ihre Wege zur Arbeit mit dem Fahrrad zurücklegen, auch reiche Leute könnten das. Wenn die auf ein eigenes Auto verzichten würden, das wäre dann mal sozial gehandelt. Zieht man all die ab, die kein Auto brauchen, die Garagen haben, die sich Car-Sharing-Autos leihen, dann bleiben nicht mehr viele Autos übrig, die am Straßenrand stehen müssen. Und für die würden wir dann Platz haben. Das wäre sozial. Das Argument "unsozial" wird, so wie ich das beobachte, immer gezogen, wenn man eigentlich meint, es dürfe sich nichts ändern, damit man selbst es bequem und billig hat. 


11 Kommentare:

  1. "Auch die Krankenpflegerin würde sich freuen, wenn der ÖV auch nachts zuverlässig fährt, damit sie für die Nachtschichten kein Auto braucht, das viel von ihrem Einkommen auffrisst."
    Schön war, wenn der ÖPNV dann auch sicher wäre. Ein Kollege von mir hat seiner Frau (Krankenschwester) ein Auto gekauft, dass Sie nach der Spätschicht in der Bahn nicht immer von Besoffenen, Bekifften und sonstigen lichtscheuen Gestalten belästigt und angemacht wird. Frauen brauchen nicht nur einen fahrenenden ÖPNV, sondern auch einen Sicheren. Mein Mann hat den ÖPNV aufgegeben, weil er nachmittags mitunter 3 Bahnen gebraucht hat, um überhaupt einen Stehplatz in einer Bahn zu ergattern, wodurch sich die Fahrtzeit unverhältnismäßig verlängert hat. Von dem herrschenden Gedränge ganz zu schweigen. Es ist nicht immer nur der Fahrplan, es sind auch die äußeren Umstände. Also ähnlich wie beim Radfahren. Da fehlt oft die Infrastruktur und bedrängt wird man von PKW und LKW.
    Karin

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    1. Öffentlichkeit nie sicher fühlen und sind es auch nicht. Deshalb fahren viele zu Zeiten, die ihnen unsicher erscheinen, lieber Auto. Wobei übrigens auch das Fahrrad nicht schlecht ist auch bei Extremschichten (habeich früher gemacht), aber manchmal sind die Wege halt zu weit. Andererseits könnte sich die Gesellschaft also wir auch mal entschließen, ernsthaft etwas zur Sicherheit der Frauen im öffentlichen Raum zu unternehmen.

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  2. Eine vernünftige Fahrradinfrastruktur würde auch die Situation im ÖPNV zumindest teilweise entzerren, denn der wird zum guten Teil auch von Leuten genutzt, die nicht Auto fahren können oder wollen, deren Strecken eine Fahrradnutzung erlauben würde, bzw. auf denen diese sogar bequemer und schneller wäre, die aber durch den MIV verhunzt werden.
    Natürlich genügt das nicht, der ÖPNV ist natürlich genauso wie der Rad- und Fußverkehr in Deutschland ein Opfer des Autolobbyismus. Wie es richtig geht kann man sich... tadaa... in den Niederlanden anschauen: landesweit integriertes ÖP(N)V-System mit einheitlichem Ticket und monatlicher Abrechnung, Taktung, Fahrradabstellplätze bis hin zur letzten Bushaltestelle...

    "Mir kommt es so vor, als erinnerten sich die finanziell gut gestellten Leute immer erst dann der finanziell Benachteiligten, wenn sie selbst fürchten, ein Privileg zu verlieren, das mit ihrer Autonutzung zusammenhängt."
    Das kommt nicht nur so vor, das ist "bürgerliche" Politik seit Menschengedenken. Aber wieviel von denen, denen da so ins Gesicht gepisst wird, wählen die Union, die FDP, die neoliberalenTeile der SPD und leider auch der Grünen (von der AFD ganz zu schweigen) trotzdem?!

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    1. Ja, das ist ein gutes Beispiel, das zugleich, angesichts der schwachen Nutzungszahlen des ÖPV in den Niederlanden, deutlich macht, dass dieses ewige 'mehr davon' im Rahmen der Politik von 'pull ohne push' zwar insgesamt mehr Verkehr erzeugen kann, aber keineswegs den Autoverkehr zu reduzieren in der Lage ist (was übrigens in den rechts-liberalen NL, wie auch in der gesamten EU politisch genau so gewollt ist).
      Die Wahlfreiheit für Einzelne kann zwar so - immerhin - etwas erhöht werden, aber das Grundproblem der nicht nur viel zu hohen, sondern auch noch stetig weiter ansteigenden Blechkistenflut lässt sich so (leider) nicht angehen.
      Ohne Restriktionen gegen den MIV wird es nicht gehen. Die Chancen dafür stehen allerdings denkbar schlecht.
      Stattdessen werden im Zuge des offenbar politisch breit akzeptierten Klimaumbruchs die Küstendämme erhöht, die EU-Grenzen angesichts der zu erwartenden Klimaflüchtlinge stetig weiter militarisiert und eine neue Hochrüstungsspirale angestoßen, was ebenfalls die Treibhausgase weiter in die Höhe treibt, usw. usw. usw. ...
      Harte Zeiten.
      Alfons Krüclmann

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  3. Es ist und bleibt ein Märchen, dass die Pauschalversteuerung von Dienstwagen einen finanziellen Vorteil (aka Privileg) ist. Dies lässt sich einfach ein ein paar Beispielen zeigen (leider hinter Bezahlschranke):
    https://www.faz.net/aktuell/finanzen/dienstwagen-steuerlich-nicht-attraktiv-vor-allem-teure-limousinen-18271605.html
    Kein Steuerberater fährt übrigens einen Dienstwagen - die wissen warum!

    Mercedes Testa Rossa

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    1. Vielleicht mal die Zeitung wechseln?

      https://taz.de/Massive-Subventionen-in-Deutschland/!5871777/

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    2. Natürlich ist ein Dienstwagen ein Privileg. Ich habe selbst einen.... für wenige tausend Euro bekomme ich ein Auto, das ich selbst nur schwer finanzieren könnte. Dienstwagen sind politisch gewollt, weil sie das Rückgrat des deutschen Automobilabsatzes sind. Sie sind Teil des Entlohnungsmodells besser und gut bezahlter Jobs, hat nichts mehr damit zu tun ob man wirklich das Auto für seine Arbeit benötigt. Ökologisch macht dies natürlich keinen Sinn...
      Gruss Frank

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  4. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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    1. Was ich schlimm finde ist, dass die Frau Testa Rossa es anscheinend für legitim hält, Sachbeschädigungen zu begehen, um das eigene Anliegen durch zu bringen.

      Ich persönlich finde, dass es generell nicht in Ordnung ist, absichtlich Straftaten in einer Demokratie wie Großbrittanien oder Deutschland zu begehen. Aber was soll ich sagen, es gibt auch andere Gruppen, die andere Ziele haben und teils auch andere Straftaten begehen.

      Der springende Punkt aber ist, dass im Gegensatz zu den "Blade Runners" die letzte Generation zum Beispiel das Anliegen hat, das Fortbestehen der Menschheit zu sichern, während die "Blade Runners" einfach nur für sich selber mit qualmenden Fahrzeugen durch London fahren wollen und keinen Wert auf Wissenschaft oder Demokratie legen. Und das finde ich zutiefst eklig.

      Als kleine Erinnerung: "Die Leute" (Zitat) in London sind in erster Linie eine inkonsistente Gruppe, wovon aber die Mehrheit einen Bürgermeister gewählt hat, der aus diesem Vorhaben auch kein Geheimnis gemacht hat. Den Satz: "Oh nein, ich habe die Grünen gewählt und habe gedacht, die machen etwas anderes. Jetzt habe ich einen Radweg vor der Tür!" wirst du wahrscheinlich auch nicht hören (kleiner Verweis an die letzten Wahlergebnisse in Stuttgart).

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  5. wobei das stuttgarter sozialticket mit Bonus-Card nur im vvs netz gilt fuer 24,50 €

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  6. Problematisch sehe ich, dass kaum jemand in der Lage/willens ist sich eine andere Lebensumwelt vorzustellen.
    Unsere Politikerkaste lebt ganz anders als wir und wählen sie, weil wir glauben,cdass sie unsere Nöte/Bedürfnisse kennen. Trugschluss, denn unsere mangelnde Fantasie ist da Problem. Wenn wir als Masse eine positive Idee und Vorstellung von der Zukunft haben, dann bewegt sich etwas. Solange immer nur Verlustängste bedient werden, werden wir gefangen bleiben im Status quo, das ist sehr bedauerlicherwrise so, bis zur Katastrophe. Dann kommt das Hauen und Stechen.

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