23. Oktober 2023

Menschen sind ja nicht doof

Ich habe über das Phänomen der Traffic Evaporation, der (Auto-)Verkehrsverpuffung, schon mal berichtet. Das Difu hat internationale Untersuchungen gesichtet und bestätigt: Wenn man eine Straße oder einen Block für Autos sperrt, gibt es nicht mehr Staus rundherum, sondern weniger oder keine.

Der Text des Deutschen Instituts für Urbanistik empfehle ich all jenen zum Lesen, die behaupten, der Autoverkehr sei wie Wasser und suche sich immer und stur andere Wege, wenn man einen Durchgang blockiert. Menschen sind nicht wie Wasser. Sie haben einen Verstand, können sich entscheiden und ändern ihr Verhalten. Wenn es schöner und leichter ist, zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren, dann tun viele das lieber als mit dem Auto zu fahren. Die anderen fahren weiter mit dem Auto, haben es aber leichter, weil mehr Leute anders unterwegs sind.

Gute Maßnahemn können den Autoverkehr in umliegenden Straßen sogar halbieren.

Zitat: "Die Größenordnung der Verringerung liegt in den analysierten Verkehrsberuhigungsprojekten in der Fläche zwischen 15 und 28 Prozent, bei Innenstädten zwischen 25 und 69 Prozent und im Umfeld einzelner umgestalteter Straßen zwischen 4 und 52 Prozent. Die Zahlen variieren je nach Projekt und Bezugsrahmen. Und obgleich die Messungen durchaus Verlagerungseffekte in angrenzende Straßen zeigen, so sind diese meist moderat, der befürchtete Verkehrskollaps bleibt fast immer aus. Dies liegt daran, dass nachweisbar mehr zu Fuß gegangen oder Fahrrad gefahren wird. Sind weniger Autos unterwegs, so wird der verbleibende Verkehr flüssiger und führt damit zu einem Gewinn für alle Verkehrsträger."

Bleibt anzumerken, dass das Difu unter "Verkehr" auch nur den Autoverkehr versteht. Diese Beschränkung des Wortes "Verkehr" auf Autos, macht uns  auch blind dafür, dass wir die Verkehrsverpuffung beim Radverkehr bereits gut kennen. Wo es keine oder nur eine schlechte Radinfrastruktur gibt, radeln wengier Menschen als dort, wo es sie gibt. Als es die Fahrradstraße Tübinger Straße noch nicht gab, radelte kaum jemand die Hauptstätterstraße entlang und deutlich weniger fuhren durch die Tübinger Straße. Inzwischen hat der Radverkehr in der Tübinger Straße drastisch zugenommen und damit auch der Radverkehr auf den Zufahrtsstaßen etwa vom Lehen bergab, in der Möhringerstraße, die jetzt auch Fahrradstraße geworden ist, und so weiter. Radinfrastruktur erzeugt Radverkehr. Das Phänomen ist uns also vertraut.

Und Straßenneubau erzeugt Autoverkehr. Nimmt meine Straße raus aus dem Verkehrssystem, wird der Verkehr auch runderhum wenier. Nur bei Diskussionen über den Autoverkehr möchten viele nicht wahrhaben, dass weniger Straßen dazu führen, dass weniger Leute für kurze Strecken das Auto nehmen und statt dessen andere Verkehrsmittel wählen. Ist ja auch logisch, dass das so ist. Denn Menschen nehmen die Verkehrsmittel, die ihnen bequem und schnell erscheinen.

 

9 Kommentare:

  1. Der Homo Sapiens ist ein opportunistisches Lebewesen; dies ist vielen Menschen bekannt, nicht jedoch den meisten Verkehrsplanenden
    Thomas

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  2. Das "nicht" im Titel ist zu viel, wie dessen letzter Satz zeigt. In völligem Widerspruch zu belegbaren Fakten etwas zu tun, nur weil es einem bequem und schnell "erscheint", und dies dann in der Diskussion auch genauso zu begründen, wäre für mich die Definition von doof.

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  3. Vielleicht fahren auch viele nicht mehr die unnötigen Wege oder suchen sich andere Ziele. Hat man mal untersucht, warum sich der Verkehr eigentlich reduziert? Konnte man eine Erhöhung bei anderen Verkehrsarten feststellen? Oder wurde einfach nur weniger, also überlegter und eventuell gezielter gefahren? Oder werden andere Ziele plötzlich häufiger (z.B. statt Laden A nun Laden B) angefahren?
    Mit ist das etwas zu einfach mit der Argumentation. Jede Maßnahme hat irgendeine Folge und sei es an einer deutlich weiter entfernteren Ecke.
    Karin


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    1. Leider ist es für nicht einfach, konkrete Daten darüber zu finden, welche Mobilitätsform Menschen aus welchen Gründen wählen. Vermutlich auch, weil die Datenerhebungen dazu mangelhaft sind und die Umfragen nicht genau genug danach fragen. Es ist aber bekannt, dass Menschen auf andere Verkehrsmittel umsteigen, wenn das, das sie bisher benutzt haben, ihnen unbequem oder zu langsam erscheint, sie fahren mehr Bus und Bahn oder mehr Fahrrad. In Kopenhagen sieht man den Effekt sehr gut. Und die Innenstadt gewinnt dabei an Attraktivität. Es ist also nicht so, dass Ziele, die bisher von Menschen mit Autos angefahren wurden, dann seltener angefahren werden. Es sieht derzeit eher so aus, als worden dorthin, wo weniger Autos fahren, mehr Menschen mit dem Rad oder zu Fuß und mit Bahnen hinkommen.

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  4. Die Sperrung der beiden Neckarbrücken in Bad Cannstatt hat vermutlich auch eine Kfz-Verkehrsvermeidung zur Folge. Für den Kfz-Verkehr stehen noch zwei Brücken zur Verfügung, eine Notwendigkeit die neu zu bauenden Brücken wieder für den Kfz-Verkehr zu konzipierem, besteht daher nicht - auch um die Klimaziele zu erreichen, zu der eine Verkehrswende unabdingbar ist.

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    1. Wenn die Mehrheiten im Gemeinderat so bleiben, wie sie gerade sind (und kein Rechtsruck eintritt), dann wird die Rosensteinbrücke eine Brücke für die Straßenbahn, Busse, Radfahrende und Fußgänger:innen (was einschließt, dass sie zur Not auch vom Autoverkehr befahren werden kann). Und die Wilhelmsbrücke wird eine Fußgänger- und Radfharerbrücke. Aber nach den nächsten Gemeinderatswahlen im kommenden Jahr kann sich das ändern.

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  5. Über den gut beschriebenen Zusammenhang hinaus ist es allerdings heutzutage (Klima/Umwelt) notwendig die Einengung auf den kleinen Untersuchungsraum umliegender Straßen oder auf die Ebene von Quartieren/Stadtteilen bzw. Kernstadt hinaus auf die Entwicklung der Gesamtfahrleistung des MIV zu richten.
    Es ist ja mittlerweile hinlänglich bekannt, dass die Beruhigung der Kernstädte in aller Regel mit weiteren Steigerungen der MIV Fahrleistungen (Stadt-Umlandverkehr) einhergeht, und auch die Gesamtautodichte nach Binnenverkehrsverlagerung leider nicht absinkt, sondern stattdessen sogar weiter steigt.
    Warum gibt es diese Rebound- und Backfireeffekte?
    Das wird oben richtig zitiert:
    "Sind weniger Autos unterwegs, so wird der verbleibende Verkehr flüssiger und führt damit zu einem Gewinn für alle Verkehrsträger."
    Es fehlt aber dasbei der Hinweis auf die Konsequenz, dass die Verlagerung des MIV nur auf den kurzen und fürs Klima (CO2) weitestgehend irrelevanten Strecken stattfindet, während bei den für Umwelt und Klima relevanten Streckenlängen der MIV fatalerweise sogar attraktiviert wird, da sich die Reisezeit (Antistau Effekt) verbessert.
    Leider überwiegt der Effekt des 'verbesserten' Mittel- und Langstrecken MIV die relativ sehr geringen Einsparungen im Binnenverkehr.
    Das erklärt auch schlüssig die steigenden Autodichten und Autofahrleistungen in den Niederlanden oder der Metropolregion Kopenhagen. Ist übrigens auch in der 'Fahrradhauptstadt Münster' zu beobachten.
    Es wäre doch langsam mal an der Zeit aus den Binnenstadt zentrierten Ansätzen der 80er Jahre des 20.Jhd. (llivable City) herauszukommen und sich endlich den existentiellen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen?
    Wir brauchen eine 'echte' Reduktion des MIV, und nicht etwa eine Optimierung für die besonders schädlichen mittleren und langen Distanzen a la Niederlande, Dänemark, Deutschland, USA, ..., ..., ..., ...
    Alfons Krückmann

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    1. Jörg
      Ich verstehe nicht wie Verkehr im Umland entsteht. Wenn in Cannstatt Brücken nicht befahrbar sind. Fährt der Sindelfinger weitere Wege, dafür wird die A81 sechspurig gebaut. Ist das richtig?

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    2. Der Spruch "Wer Straßen sät wird Verkehr ernten" gehört ja zu Recht zu den populärwiss. Transfers des Prinzips von 'induziertem Verkehr'.
      Straßenneubau schafft (von Ausnahmen wie dem Braes Paradoxon abgesehen) erhöhte Kapazität und verbessert damit - das ist der entscheidende Punkt - die Reisezeit, was sich im Durchschnitt nicht in Zeitgewinn, sondern linear in Ausweitung von Streckenlängen niederschlägt.
      Nicht im Einzelfall bei Onkel Herbert, aber eben, und darauf kommt es ja an, im Durchschnitt. Entfernungszunahmen der zurückgelegten Wege führen zudem zum Teufelskreis von stärkerer Zersiedelung, was wiederum die forderung nach Staureduktion laut werden lässt, was wiederum, etc.
      Entscheidend für den Effekt des induzierten Verkehrs ist dabei nicht die spezifische Form der Reisezeitbeschleunigung, also etwa die Frage ob dies durch Straßenneubau oder durch Stauentlastung mittels Rad oder ÖPV geschieht, sondern schlicht die Tatsache der Beschleunigung.
      Außer dort wo keinerlei Potential besteht wächst die Verkehrsmenge nahezu linear mit der Kapazität.
      Der grundlegende Wirkmechanismus lässt sich aus dem 'konstanten Reisezeitbudget' ableiten und ist mittlerweile auch international sehr gut empirisch bestätigt.
      Da ich keine langen Romane hier in den Kommentaren schreiben möchte, verweise ich auf eine gute und vor allem schnell und leicht lesbare Quelle dazu:
      http://www.verkehrswissenschaftler.de/pdfs/Pfleiderer%20-%20Das%20Phaenomen%20Verkehr.PDF
      Näheres zum 'konstanten Reisezeitbudget' findet sich auf dem Blog von Martin Randelhoff:
      https://www.zukunft-mobilitaet.net/5299/analyse/konstantes-reisezeitbudget-marchetti-konstante-verkehrsgenese-yacov-zahavi/
      Alfons Krückmann

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