1. März 2024

Liebe Eltern, chauffiert eure Kinder nicht!

Liebe Eltern, was tut ihr euren Kindern an? Ihr setzt sie schlaftrunken auf die Rücksitze eures Autos und fahrt sie in den Kindergarten oder zur Schule. 

Eure Kinder haben nur diese eine Kindheit, und die verschlafen sie auf den Rücksitzen von Autos. 

Sie kriegen nichts mit von ihrer Umwelt, sie sehen nicht nur nicht, was sich auf dem Weg zur Schule befindet, sie bekommen auch keine Vorstellung von ihrer nächsten Umgebung, von der Welt da draußen. Und sie bewegen sich nicht, sie erobern sich nicht ihre kleine Welt, sie lernen nicht, sich auch mal selbst zurechtzufinden und selbst eine Entscheidung zu treffen. 

Der ADFC listet unter dem Titel "Kinder aufs Rad" einen typischen Tag für ein Kind auf.

  • 6.30 Uhr Aufstehen
  • 7.15 Uhr Fahrt mit Mama oder Papa im Auto zur Schule (meistens dürfte diese Fahrt übrigens keine Viertelstunde dauern, weil die Wege ja eigentlich ziemlich kurz sind, 0,5 bis 3 km.)
  • 7.45 Uhr Schule
  • 13 Uhr Mittagessen in der Schule
  • 14 -16 Uhr Betreuung an der Schule (Hausaufgaben, Freies Spiel, AGs)
  • 16 Uhr Fahrt mit Mama oder Papa im Auto zurück
  • 17.00 Uhr einmal die Woche Fußball (Mädchen oft gar nichts), einmal die Woche Musikinstrument lernen, ansonsten Spielen zuhause
  • 18.00 Uhr Abendessen
  • 19.00 Uhr Film gucken (Sandmännchen o.ä.), Buch lesen
  • 20.00 Uhr ins Bett gehen
Kinder draußen spielen lassen, geht kaum noch. Es fehlen die anderen Kinder in der Nachbarschaft und die Gärten dafür. Zu Spielplätzen - eingezäunte kleine Flächen - müssten Eltern die Kinder wieder bringen. Die Folgen sind wenig Bewegung, kaum Erfahrungen mit Unternehmungen draußen ohne Erwachsenenbegleitung, wenig Erfahrungen als Verkehrsteilnehmer:in. Die mobilen Fertigkeiten wie Gleichgewicht, Koordination, räumliches Sehen und Reagieren werden schlecht entwickelt. Die Kinder bekommen außerdem zu wenig Tageslicht, ihre Augen leiden, sie werden kurzsichtig. Ihr Gehirn kriegt kaum was zu tun, es kann räumliches Sehen und Abschätzen von Entfernungen nicht entwickeln, es bekommt keine Impulse von einem sich bewegenden Körper. Und so verdämmern die Kinder auch den Schulunterricht. Radfahren macht besser in Mathe, will heißen, Bewegung vor der Schule macht besser in der Schule. 

Ein Kind, das immer zur Schule gefahren wird, hat kaum Chancen, Selbstbewusstsein und Selbstbehauptung im Straßenverkehr zu lernen. Ihm fehlen auch die verschiedenartigen (auch mal negativen) sozialen Erfahrungen mit Gleichaltrigen auf dem gemeinsamen Heimweg. Und es fehlt ihm völlig die innere Landkarte. Es hat keinen Begriff von den Wegebeziehungen im Stadtteil. 

Kinderhaus Sielwall, Bremen
Ja, stimmt, unsere Fahrradinfrastruktur in Stuttgart ist nicht vorbereitet auf radfahrende Kinder und Jugendliche. Aber es wird besser und wir diskutieren darüber. Und ja, Kinder verunglücken im Straßenverkehr. Aber in meiner Jugend waren die Verkehrsverhältnisse fürs Radfahren noch schlechter als heute, wenn auch weniger Autos unterwegs waren, dafür fuhren die alle viel schneller. Und wir sind trotzdem 1,5 km zur Schule gelaufen und später 4 km geradelt. Und wir sind zur Jugendfarm, zum Sport oder zu Freund:innen geradelt. Das Fahrrad vergrößert den Mobilitätsradius von Kindern und Jugendlichen. Es eröffnet ihnen kleine Freiräume. Das mag manchen Eltern nicht passen, ist aber wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung. 

Wichtig sind auch die kleinen Alleinunfälle mit dem Rad, also das Wegsrutschen und der Sturz auf einem Schotterweg, blutige Knie oder aufgeschrammte Arme. Kinder haben ein Recht auf Schrammen. Kidner wollen sich ausprobieren. Wenn sie sich nicht dabei nicht auch einmal verletzen, lernen sie nicht, Gefahren einzuschätzen, sie lernen ihre Grenzen nicht kennen, sie lernen nicht, Gefahren richtig abzuschätzen und mit den eigenen Fähigkeiten abzugleichen. 

Übrigens ist natürlich auch das Chauffieren von Kindern im Lastenfahrrad ein Chauffieren. Wenngleich es immerhin an der frischen Luft geschieht. Manchmal geht es nicht anders, weil zwei Kinder in kurzer Zeit in gegensätzliche Richtungen (Kita und Schule) gebracht werden müssen. Und Eltern, die Lastenräder fahren, haben eine andere Einstellung zum Radfahren. Sie kaufen ihren Kindern schnell Räder und lassen sie nebenher fahren und hoffentlich auch bald alleine zur Schule radeln. Für diese Kinder ist das Radfahren und sich Bewegen ein selbstverständliches Element in ihrem Leben. 



12 Kommentare:

  1. Liebe Christine,
    vielen Dank für diesen Beitrag! Zu diesem Thema habe ich wissenschaftlich gearbeitet, und ich kann dir nur vollkommen zustimmen.
    Thomas

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    1. Danke. Gibt es noch Ergänzungen deinerseits?

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    2. Oft wird gleich die Frage gestellt, wie ein Kind in den Kindergarten oder die Schule gebracht wird. Diese Frage ist aber leider nicht die wichtigste und auch nicht die erste. Als erstes muss immer gefragt werden, wie das Kind sein Ziel unbegleitet und sicher erreichen kann. Und falls dies nicht geht, dann muss man fragen: warum nicht? Beim Blick auf einen Schulweg, welcher von Kraftfahrenden gefährdet wird, sollte insbesondere der Zielbereich ins Auge gefasst werden. Die dortige Gefährdung wird oft besonders stark wahrgenommen und hat oftmals zur Folge, dass ein Kind mit dem Auto gebracht wird. Daraus kann sich ein sich selbst verstärkender Prozess entwickeln. Dabei ist es an einer Schule/einem Kindergarten besonders einfach, für sichere Verkehrsverhältnisse zu sorgen: Park- und Haltverbote (welche durchgesetzt werden!), allgemein ein insgesamt geringer Parkkomfort, am besten mit gebührenpflichtigen Parkplätzen.

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  2. Ganz davon abgesehen, dass die Kinder morgens viel fitter in der Schule ankommen, wenn sie schon Rad gefahren sind, und nachmittags nach der Schule erst mal den Kopf ausgelüftet haben, bevor die zuhause ankommen...
    Morgens kurz vor 8h an der Märzschule findet der Gipfel des Elternbringwahnsinns statt... Ich fahre da regelmäßig mit dem Rad vorbei. Die SUVs blockieren die Stadtbahn beim Abbiegen zum Ausladen ihrer Kinder, die Waldebene Ost ist für Radler zu der Zeit lebensgefährlich zu befahren. Dabei haben fast alle Autos stuttgarter Kennzeichen und die U-Bahn hält direkt vor der Schule...

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    1. Deshalb kann man nicht genug dafür werben, die Kinder anders zu Schule zu bringen. Wobei man dazu sagen muss, es kostet die Eltern halt mehr Zeit, wenn sie mit ihren Kindern hingehen oder hinradeln, und wenn sie weiter zur Arbeit müssen (oft halt die Frauen), dann müssten sie alle früher aufstehen. Das ist mir bewusst, dennoch wäre es für die Kinder sehr viel besser, wenn man sich die Zeit nehmen würde.

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  3. Hallo beisammen. In manchen Städten - in unserer zum Beispiel - , fehlt es zuallererst an sicheren Schulwegen. Keine Ampeln, nicht mal Zebrastreifen direkt vor der Schule, und schon gar nicht auf dem Weg dahin. Stattdessen eine stark befahrene Hauptstraße ohne jede Möglichkeit, diese sicher zu überqueren.
    Ich radel mit meinen Kindern gern in der Freizeit an der Isar entlang, oder auf den (lückenhaft) vorhandenen Radwegen. Aber der Schulweg ist hier definitiv nicht geeignet, Straßenverkehr zu lernen.
    "Früher" gabs in unserer Stadt ganze 4 Pkw, und wenn ich als jugendlicher Radfahrer gestürzt bin, war kaum Verkehr und es gab Schrammen. Wenn eins meiner Kinder im morgendlichen Berufsverkehr nur einen Fahrfehler macht, hab ich schlimmstenfalls 1 Kind weniger und ein Verfahren wegen meiner Aufsichtspflicht am Hals.
    Melanie Franz

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    1. Das ist wirklich ein Problem. Immerhin radelst du mit deinen Kindern, das ist ja schon mal sehr gut. Nicht immer geht ja, was das beste für die Kinder wäre. Das ist leider so.

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  4. Na ja, das mit dem "dann müssen alle früher aufstehen" funktioniert ja nicht, denn da sind dann weder die Schule noch der Kindi geöffnet. Man wird die Kinder sicher nicht vor der Schule stehenlassen. Auch "und wenn sie weiter zur Arbeit müssen (oft halt die Frauen)" kann ich so auch nicht bestätigen.

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    1. Es sind ja auch oftmals die Männer, aber es sind immer noch mehr Frauen als Männer, die viele Wegstücke hintereinander zurücklegen und dabei Kinder transportieren oder bringen, danach zum Job, dann Einkaufen, dann Kinder abholen und so weiter. Oftmals liegen Kindergarten und Grundschule aber gar nicht so weit entfernt vom Zuhause, und mit dem Rad ist man schnell zurück gefahren oder man fährt mit dem Rad weiter zu Arbeit. Geht nicht immer, aber geht ja oftmals auch.

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  5. https://www.derstandard.at/story/3000000209397/die-wiener-radkinder-die-nicht-fuer-autos-bremsen
    So würde es auch gehen...

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    1. "Anselm hat das Wichtigste vergessen. "Mein Helm", schießt es dem Zehnjährigen ein."

      Tja, da les' ich halt gleich nicht weiter....

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    2. haha, besser hätt' ich's nicht sagen können!
      danke, liebes murmeltier!
      karl g. fahr

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