28. Dezember 2024

Radbrücken sollten beheizt sein, das spart viel Geld

Foto Wikipedia
Bleiben wir beim Thema des letzten Posts: Winterglätte. Die Stuttgarter Zeitung hat sich Mitte Dezember mit der beheizten Radbrücke im Blauen Band von Tübingen beschäftigt. 

Sie weist in ihrem Artikel darauf hin, dass diese Heizung der Radbrücke die Show gestohlen habe. Statt die 360 Meter lange Brücke und eine tolle Radinfrastruktur zu feiern, hat man sich anscheinend bundesweit über die Bodenheizung das Maul zerrissen. Die Autorin zitiert einen Politiker der FDP/DVP mit den Worten, elektrisch beheizbare Radbrücken seien Ausdruck eines unglaublichen Anspruchsdenkens* beim Radverkehr und einfach viel zu teuer. Zum Radfahren im Winter gehöre Glättegefahr. 

Danke schön für diesen Zynismus. Und die Unwahrheit ist es auch noch. Ich vermute, dieser Landespolitiker ist nie im Winter frühmorgens mit dem Rad zur Arbeit gefahren, es hat ihn auch nie nach der ersten Frostnacht auf einer Brücke auf einer gefrorenen Stelle, die er nicht gesehen hat, das Vorderrad weggehauen. Bei Glätte auf einer Brücke kann man überhaupt nicht Rad fahren, da nützt es auch nichts, langsamer zu radeln. Zwei Räder sind keine vier, da bleibt man nicht senkrecht, in der Kurve fällt man. In Tübingen könnten dann die Sanitäter am Morgen nach der ersten Forstnacht eines Jahres von der in einer Schlangenlinie verlaufenden Brücke die Verletzten im Dutzend abklauben und in Krankenhäuser fahren. Und der Streudienst schüttet dann - wie das bei uns in Stuttgart auf unseren Brücken im Winter üblich ist - den Rollsplitt kübelweise aus. Darauf sollte man dann tunlichst auch nicht abrupt bremsen. Ist die Brücke zugeschneit, müsste die Stadt mit dafür geeigneten Räumfahrzeugen die Brücke abfahren, und das zu früher Morgenstunde, noch bevor sie die Autofahrbahnen säubert. Nimmt sie Salz zu Hilfe, dann schadet das Umwelt, den Rädern und dem Material der Brücke selbst. 

Kurzum: Eine Radbrücke, die sich selbst eis- und schneefrei hält, ist nicht nur für Radfahrende ein Glück, sondern vor allem für die Stadt: Sie spart Streumittel, Arbeitsstunden der Räumungsteams und Reparaturkosten an einer zu schnell korrodierten Brücke. Und sie erspart den Betrieben und damit der Gesellschaft Krankenkosten und Krankheitstage wegen Schenkelhalsbrüchen und kaputten Handgelenken. 

Die Radbrücke hat 16 Millionen Euro gekostet, was nach Einschätzung der Stadt nicht teurer ist als vergleichbare Bauwerke für den Radverkehr. Die Heizung habe davon fünf oder sechs Prozent ausgemacht. Und die erste beheizbare Brücke in Tübingen ist es auch nicht. Nur diese wird skandalisiert. Warum: Weil sie einen entscheidenden Fortschritt für den Radverkehr in Tübingen darstellt, wunderbar aussieht und ein zukunftsweisendes Projekt ist. Weil sie zeigt, wie man man den Radverkehr attraktiv macht und steigert, weil sie uns Radfahrende Lächeln macht. Positive Nachrichten für den Radverkehr aber möchten die Vertreter:innen einer autozentrierten Politik nicht haben. 

Bei dieser Gelegenheit sei außerdem daran erinnert: Radinfrastruktur kostet nur einen winzigen Bruchteil dessen, was Autostraßen, Autobrücken und Autotunnel kosten. Wer den Radverkehr ausbaut, spart irre viel Geld. Und er ist viel besser für die Stadt, die Umwelt und die Menschen selbst. Jeder geradelte Kilometer bringt einer Stadt Geld ein, jeder Autokilometer kostet eine Stadt Geld.

* Apropos Anspruchsdenken: Erheben Autobesitzende nicht ständig den Anspruch auf zahlreiche und billige Abstellplätze im öffentlichen Raum, erregen sie sich nicht immer wieder mit dem Wort "Abzocke" über Geschwindigkeitsmessungen, schimpfen sie nicht immer wieder über Radfahrende, die auf der Fahrbahn vor ihnen radeln, erheben sie nicht den Anspruch, so schnell wie möglich an Radfahrenden vorbeizukommen, und sei es auf Kosten des Sicherheitsabstands, erwarten sie nicht gute Straßen und Ampelschaltungen, die den Autoverkehr ständig flüssig halten, fordern sie nicht hier und dort extrem teure Autotunnel oder Umgehungsstraßen, bestehen sie nicht darauf, dass jede Straße von Autos befahren werden darf, skandalisieren nicht etliche von ihnen Superblocks, verkehrsberuhigte Straßen und Modalfilter, die eine Durchfahrt verhindern, verweigern sich etliche nicht einem allgemeinen Tempolimit auf Autobahnen für den Klimaschutz, wehren sie sich nicht gegen Tempo 30 in Städten zum Schutz der Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern, zahlen sie etwa mit ihren Autosteuern die Infrastruktur, die ihnen auf Kosten der ganzen Gesellschaft zur Verfügung gestellt wird? Wenn das kein Anspruchsdenken ist ... Dabei sind auch Autofahrende in unseren Städten die Minderheit, die meisten Menschen sind zu Fuß, mit Öffis und auf Fahrrädern unterwegs. Und die dürfen keine Ansprüche stellen? 

15 Kommentare:

  1. "Die Autorin zitiert einen Politiker der FDP/DVP"

    Ignoranz 1st.
    Bedenken 2nd.

    Christian G. Fahr

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  2. Um die Diskussion über den Sinn der Beheizung mal auf ein technisches Nivea zu heben: Weiß jemand mit wie viel kW die Brücke beheizt wird bzw. wie viele kWh Strom pro Jahr für die Heizung in etwa gebraucht werden?
    Das Umweltargument mit dem eingesparten Streusalz würde ich zumindest für Tübingen nicht gelten lassen: Ich wohne dort. Hier wird gestreut was das Zeug hält. Selbst auf dem Parkplatz zwischen Tübingen und Bebenhausen wird gerade Salz in großen Mengen abgeladen. Da sind die drei beheizten Radbrücken leider vernachlässigbar.
    Ich selbst fahre im Winter mit Spikes. Auch wenn die drei Brücken jetzt eisfrei sind, auf allen anderen Strecken, speziell auf den Wirtschaftswegen, wird es immer mal glatt.

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    1. Davon mal abgesehen, was der Brücke nützt (und ob die mit Solarstrom beheizt wird oder nicht), es nützt uns Radfahrenden, wenn der Weg stets gefahrlos beradelbar ist und wir nicht auf Streueinsätze warten müssen. Und es ist mit Sicherheit billiger, man heizt so eine Brücke ja nicht wie ein Wohnzimmer auf 20 Grad, ein Grad über Null reicht ja.

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    2. Habe was in der NZZ gefunden:
      Die Stadt Tübingen rechnet mit 17 kWh/m² Stromverbrauch pro Jahr. Laut NZZ ist die Brücke 365 m lang und 4 m breit - macht 1460 m² zu beheizende Fläche. Damit ergeben sich 39420 kWh Stromverbrauch pro Jahr. Bei 0,35 € pro kWh wären das ca. 14.000 € Stromkosten pro Jahr.
      Ich hoffe ich habe mich nicht verrechnet.
      Quelle: https://www.nzz.ch/panorama/eine-deutsche-stadt-will-wie-kopenhagen-sein-tuebingen-setzt-auf-den-radverkehr-und-goennt-sich-beheizbare-bruecken-ld.1854055

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    3. 27 kWh/m² pro Jahr nicht wie oben 17 (=Tippfehler). Der Rest der Rechnung sollte aber stimmen.

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    4. Die nzz ist ein Oligarch*innenkampfblatt, das Springer in nichts nachsteht. Denen würde ich nichtmal glauben, dass eins und eins zwei sind.
      -Tim

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    5. Die Rechnung wird so passen und der Energiebedarf wird von der Stadt in dieser Höhe geschätzt. Der Strom ist demzufolge auch billiger als Salz plus Personal. Dazu hält die Brücke bedeutend länger.
      Zusammengefasst: Wer so eine Brücke ohne Heizung baut, kann einfach nicht rechnen.
      Thomas

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  3. Es geht nicht um Logik, es geht um Domination (und deren Zwilling, Diskriminierung).

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  4. Noch einen anderen Aspekt:
    Als Stuttgart 21 gestartet wurde war ich dafür. Ich fand das damals auch schon etwas übertrieben. Aber dachte, wenn man schon ein sehr teures Presteigeobjekt baut, dann lieber für den öffentlichen Verkehr als für den Autoverkehr. Beim Volksentscheid habe ich dann aber dagegen gestimmt: Zu dem Zeitpunkt kam bei mir die Befürchtung auf, dass für Stuttgart 21 zu viel ausgegebene Geld fehle zukünftig bei anderen nötigeren Bahnprojekten. Sicht heute ist nach meiner Meinung genau das passiert.
    Bei diesen beheizten Radbrücken - so nützlich sie für den Radverkehr auch sind - habe ich ähnliche Bedenken. Die dafür in Tübingen ausgegebenen 16 Mio. € werden zukünftig für andere nötigere Maßnahmen in Sachen Radverkehr fehlen. In den Medien lese ich, dass viele Radverkehrsbeauftragte ihren Job gerade sinnlos finden, weil aktuell keine Mittel für Baumaßnahmen mehr vorhanden sind. Bei 2 % schrumpfender BW-Wirtschaftsleistung wird die Lage zukünftig bestimmt nicht besser. Und gerade der Tübinger OB jammert in den Talkshows, wie schlecht der städtische Haushalt gerade aufgestellt ist. (Wolle wir mal nicht hoffen, dass die Tübinger demnächst kein Geld mehr für den Strom zum beheizen der Brücke haben ;-))

    Was ich damit sagen will: Bei Presteigeprojekten wie diese Brücke sollte man immer genau hinschauen, ob sie am Ende wirklich der Sache dienen.

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    1. Die 16 Millionen wurden nicht für die Heizung ausgegeben, sondern für eine Radverbindung über den Neckar. Und das ist wirklich wenig Geld, gemessen an Infrastrukturprojekten für Bahn oder Auto. Wenn man die lässt und statt dessen eine wirklich gute Radinfrastruktur herstellt, gewinnt man viel mehr Leute fürs Radfahren als wenn man sie auf die derzeitige lückehafte Infrasruktur schickt und das rechnet sich letzlich für die gesamte Gesellschaft. Übrigens sind staatliche Investitionen immer sinnvoll, besonders in Zeiten einer nicht so guten Konjunktur, denn sie schaffen bleibende Werte und kurbeln die Wirtschaft an. Dass Städte zögern, wir den Radverkehr Geld auszugeben, ist eher einer ideologischen Verblendung geschuldet. Man sieht den Autoverkehr als das Wichtigste an und hält den Radverkehr für ein marginales Thema. Dabei zeigt Kopenhagen, wie unendlich gut es der Wirtschaft und Attraktivität einer Stadt tun, wenn die Hälfte der Leute mit dem Rad in der Innenstadt herumfährt und die meisten dort zu Fuß gehen, während die Autos eher draußen bleiben.

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    2. Wenn das ca. 5% der Gesamtkosten ausmacht ist das im Vergleich zu anderen Straßenverkehrsprojekten eher eine homöopathische Dosis, und die Nutzen/Kostenrechnung mit Sicherheit sehr deutlich positiv.
      Einfach mal nachschaun für welche Projekte wie viel Geld ausgegeben wird, und das dann ins Verhältnis setzen.
      Gesparte Unterhaltskosten, Unfallrückgänge und Attraktivitätsgewinne für den Radverkehr bringen sowohl kommunal als auch gesamtvolkswirtschaftlich ein deutliches Plus (im krassen Gegensatz zu von Korruption und obrigkeitsstaatlichen Fake-News Kampagnen durchdrungenen Megaprojekten wie S21).
      Alfons Krückmann

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  5. Wir übersetzen die Aussage vom "Ausdruck eines unglaublichen Anspruchsdenkens beim Radverkehr und einfach viel zu teuer" der Autofahrerpartei FDP/DVP in den Autofahreralltag Autobahn A8 Richtung München am Albaufstieg:
    Räumfahrzeuge und Personal vorhalten das ganze Jahr über, nur um an wenigen Tagen die Eis- und Schneedecke von der Autobahn zu kratzen, ist viel zu teuer und unglaubliches Anspruchsdenken. Sollen die Autofahrenden und LKW-Fahrenden doch Schneeketten und Salzlösungen mitbringen und bei Bedarf montieren bzw. selber streuen.
    Wenn dann bei Schnee oder Glatteis der eine oder andere Auto-bzw. LKW-Fahrer zu spät bremst kommt es eben zu den unvermeidlichen Leitplankencrashs oder Massenkarambolagen, macht ja nix, sind alle ordentlich angschnallt...

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  6. Lassen Sie sich nicht von anderen die Diskurse aufzwingen.
    Es ist absurd, dass gerade eine selbsternannte liberale Fortschrittspartei technische Innovationen in Frage stellt, die das Problem von kostenintensivem Wartung und Betrieb auf die nachfolgenden Generationen abwälzt.
    Gleichzeitig zerstört die gleiche Partei ähnlich der vielgenannten schwäbischen Hausfrau den Wohlstand eines ganzen Wirtschaftsstandorts mit der absurden fundamentalistischen Auslegung ihrer Schuldenbremse.
    Und sogleich entschuldige ich mich bei allen rechtschaffenen, solide haushaltenden schwäbischen Hausfrauen. Sie machen das besser, als die alten weißen Männer der DVP!
    Also:
    Auf zur offenen Feldschlacht beim Dreikönigstreffen in der Stuttgarter Oper und lassen Sie uns den Diskurs in deren Heim tragen!

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  7. Jörg
    Nicht weit entfernt von der "Stromfresser Brücke" wird bald ein Tunnel gegraben. Der Schindhau Basistunnel wird womöglich tags und nachts beleutet und belüftet werden. Das verbraucht Strom. Da wird wohl kaum jemand drüber reden. Baukosten 330 + x mio. € https://rp.baden-wuerttemberg.de/rpt/abt4/b27-28/
    Und die meisten werden sagen da fahren viele Autos durch das ist OK, der Tunnel ist wichtig. Es wird hier gerne mit zweilerlei Maß genessen. Das ist schade.

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