22. Dezember 2024

Zweierlei Maß bei fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr?

Ein Freiburger Gericht hat einen jungen Radfahrer zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er ohne Licht unterwegs war und dabei einen Fußgänger anfuhr und tötete. 

Wie der SWR berichtet war der der gemeinsame Geh- und Radweg stockfinster, eine Straßenbeleuchtung gab es nicht. Der Zusammenstoß ereignete sich im Juni 2023 in Kirchzarten im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald. Das Gutachten bescheinigte dem Radfahrer, zu schnell gefahren zu sein. Der Richter meinte, der Tod des Fußgängers hätte vermieden werden können, wenn es eine Straßenbeleuchtung gegeben hätte und wenn der Radfahrer nicht schneller als 15 km/h gefahren wäre. Der 23-Jährige Radfahrer bestritt und beschönigte nichts. Der Richter verhängte eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten und eine Geldstrafe von 4000 Euro. Die Angehörigen des Fußgängers hatten eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung gefordert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 

Als diese Meldung kam, stellte sich in Radfahrkreisen die Frage, ob Radfahrende strenger bestraft werden als Autofahrende, die jemanden töten. Dass bei einem Todesfall im Straßenverkehr hauptsächlich Geldstrafen und Bewährungsstrafen ausgesprochen werden, bestürzt uns regelmäßig sehr. Aber "fahrlässige Tötung" im Straßenverkehr wird bei uns in der Regel so bestraft. Auch bei Autofahrenden. Es gibt allerdings auch erstaunlich milde Strafen gegen Lkw-Fahrer, die einen Menschen auf dem Rad getötet haben. 

Im November wurde - wie der ADFC berichtet - ein Lkw-Fahrer vom Amtsgericht Hamburg mit einer Geldstrafe auf Bewährung verwarnt. Er hatte die beim Abbiegen erforderliche Schrittgeschwindigkeit nicht eingehalten und dabei eine Radfahrerin, die auf einem sogenannten Schutzstreifen geradeaus fuhr,  überfahren und getötet. Laut Gerichtssachverständigem hätte der Zusammenstoß vermieden werden können, wenn der Lkw-Fahrer nicht 18 km/h, sondern die gebotenen 5 - 7 km/h gefahren wäre (und wenn er geguckt hätte). Der Richter sprach von einer Verkettung unglücklicher Umstände und Tragödie und verhängte eine Geldstrafe von 4200 Euro, die aber zur Bewährung auf zwei Jahre ausgesetzt wurde. Die Angehörigen der getöteten Radfahrerin, die ein dreijähriges Kind hinterlässt, kündigten Rechtsmittel gegen das Urteil an. 

Im September verurteilte das Hamburger Amtsgericht einen Lkw-Fahrer zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten und einer Geldstrafe von 2500 Euro, der einen 15-Jährigen Radfahrer beim Abbiegen getötet hatte. Das berichtete der NDR. Außerdem durfte der Lkw-Faher zwei Monate lang nicht fahren. Er hatte mit seinem 19-Meter langem Gespann eine Abkürzung nehmen wollen, und zwar quer über den Parkplatz eines Discounters (auf dem Lkw verboten sind). Er bog auf den Parkplatz ein und stieß mit dem jugendlichen Radler zusammen, der auf dem Radweg geradeaus fuhr. Ein Sachverständiger erklärte, der Lkw-Fahrer habe offensichtlich nicht geguckt. Der Richter hielt dem Angeklagten außerdem vor, er sei zu schnell gefahren. Das sind drei Verstöße. Der Radfahrer im erstgenannten Fall hatte zwei (kein Licht und zu schnell) begangen. 

Im April wurde in Berlin ein Lkw-Fahrer mit einer Geldstrafe von 4500 Euro und einem Monat Fahrverbot verurteilt, der beim Abbiegen einen Radfahrer überfahren und getötet hat. Der Radfahrer hatte auf seinem Radweg grün. Der Berliner Kurier meldete im September leicht erbittert, dass der "Täter" mit seinem "milden Urteil" nicht zufrieden sei und nun in Berufung gehe. 

Als Paukenschlag (also überraschend streng) bezeichnet der Kölner Express ein Urteil gegen einen Lkw-Fahrer, der beim Rechtsabbiegen eine Radfahrerin tötete. Sie war die dritte von drei Radlern, die geradeaus fuhren, als sie grün bekamen. Der Lkw-Fahrer guckte nicht, er sei "blind losgefahren". Er bremste ab, als er mit der vorderen rechten Ecke das Hinterrad des Fahrrads gerammt hatte, checkte aber offenbar nichts, guckte auch nicht, sondern fuhr wieder an und überrollte die Radfahrerin, die vor den Lkw gefallen war. Die Amtsrichterin verhängte eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die auf Bewährung ausgesetzt wurde (das ist der Paukenschlag.) Außerdem muss der Fahrer 2000 Euro an die Verkehrswacht zahlen. Die Staatsanwaltschaft (also der Ankläger) hatte nur auf eine, wenn auch mit 9900 Euro hohe, Geldstrafe plädiert. Die vom Gericht verhängte Strafe ist immer noch milder als die für den Radfahrer, bei mehr Handlungsmöglichkeiten, die der Lkw-Fahrer gehabt hätte, um den Tod der Radfahrerin zu vermeiden. 

Ein mildes Urteil sprach das Amtsgericht Berlin aber auch über einen Radfahrer, der in Gedanken über eine rote Ampel fuhr und dahinter eine hochbetagte Fußgängerin anfuhr. Wie der Tagesspiegel berichtet, stürzte sie und starb drei Wochen später im Krankenhaus. Der Radler hatte seine Fehler zugegeben und die Dame auch im Krankenhaus besucht. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 1600 Euro. 

Wird mit zweierlei Maß gemessen, werden Radfahrende strenger bestraft als Autofahrende, wenn sie einen Fußgänger töten? Schwer zu sagen. Es müssen jeweils komplexe Situationen beurteilt werden. Die paar Fälle, die ich in einer schnellen Internetrecherche gefunden habe, reichen für eine Aussage nicht aus. 

Für alle Angehörigen wird es erschütternd sein, wenn sie einen Menschen verloren haben und dann sehen und hören, dass der Täter oder die Täterin "nur" zu einer Geldstrafe verurteilt wird. Auch die Haftstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird, dürfte sie nicht befriedigen. Die Presse fragt dann gern, ob ein Menschenleben nur 2000 oder 4000 Euro wert sei. 

Und wir fragen uns immer wieder leise, ob der sorglos- fahrlässige Umgang mit schnellen und schweren Fahrzeugen, vor allem dieses nicht Gucken, wer kommt, nicht beinahe einem Vorsatz gleicht. Offensichtlich ist Lkw-Fahren (aber auch Autofahren) überfordernd, und dieser Tatsache tragen die Urteile Rechnung. Ein kleiner Fehler hat große Auswirkungen, was typisch ist für den Straßenverkehr.  Dabei gibt es immer wieder Versuche, die Verantwortung an die Opfer zu delegieren. Im eigenen Interesse sollten sie doch aufpassen und die Fehler, die Autofahrende machen, ausgleichen, indem sie warten und zurückstehen. Dieser Aufkleber auf dem Lkw verdeutlicht diese Haltung. Dabei gibt es gar keinen toten Winkel, wenn die Spiegel richtig eingestellt sind und die Fahrer:innen auch gucken, bevor sie die Richtung wechseln.  

Unser Rechtssystem ist nicht auf Rache aus. Die Urteile, die ich hier in einer schnellen Recherche im Internet aufgespürt habe, wurden in erster Instanz an Amtsgereichten gefällt, deren Richter:innen unabhängig voneinander urteilen. Alle Richter:innen haben die Situation ausführlich gewürdigt. Wie die nächsten Instanzen geurteilt haben, habe ich nicht so einfach herausfinden können. Was mir allerdings auffällt: Die beiden Radfahrer, die verurteilt wurden, waren einsichtig und teils extrem reuig, während sich einige der hier betrachteten Autofahrer trotz eigentlich milder Urteile noch zu hart verurteilt fühlten, also weder einsichtig und reuig waren. Auch der Mann, der den Radaktivisten Natenom auf einer Landstraße angefahren und getötet hat, hat gegen einen Strafbefehl, der auf eine reine Geldstrafe hinauslief,  zunächst Einspruch eingelegt, den dann aber zum Jahresende doch wieder zurückgenommen. 


1 Kommentar:

  1. Auf swr.de gibt es gerade den Beitrag "Unfälle zwischen Radfahrern und Fußgängern in BW häufen sich".
    (https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/unfaelle-fahrrad-fussgaenger-100.html)
    Wenn ich die Zahlen dort anschaue, dann habe ich nicht unbedingt den Eindruck, dass sich da etwas häuft - obwohl der Radverkehr und auch bestimmt das durchschnittliche Alter sowohl der Radler (schlechtere Reaktionszeit) wie auch der Fußgänger (schlechtere Reaktionszeit und höhere Verletzungsfolgen) zugenommen hat.
    Ansonsten ist diese Artikel meiner Meinung aber gut und wohlwollend in Richtung Radverkehr geschrieben...

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