Über die Sprache, mit der wir in den Medien Kollisionen im Straßenverkehr beschreiben, habe ich schon oft geschrieben.
Hinter diesem Link verbirgt sich die Stichwortsuche zu dem Thema in meinem Blog.
Jetzt haben Fachleute des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RiFS), des Centre for Development and Environment der Universität Bern und des Instituts für Sprachwissenschaft der Universität Wien sowie Expert:innen von Polizei, Mobilitätsplanung und Medien die Unfallberichterstattung analysiert und einen Leitfaden entwickelt. Darüber berichtet die Seite Utopia. Den von ihnen entwickelten Sprachkompass gibt es hier als pdf.
Für diejenigen, die meine Blogartikel regelmäßig lesen (z.B. diesen), bietet er keine wesentlichen neuen Erkenntnisse. Aber er hat eine größere Reichweite als meine Artikel, und das ist gut. Grundsätzlich gilt, dass man Zusammenstöße nicht als Schicksal, sondern als menschengemacht darstellen muss. Also nicht "Unfall", sondern "Kollision", "Zusammenstoß" oder "Crash". Das "Auto" sollte nicht für den Autofahrer oder die Autofahrerin stehen. Ein Auto "gerät" nicht einfach so auf die Gegenfahrbahn, es sitzt ja jemand drin, der es lenkt, und dieser Mensch "fährt" auf die Gegenfahrbahn (egal ob absichtlich oder unabsichtlich). Auch die üblichen Konstruktionen wie "es kam zur Kollision", lenken davon ab, dass in oder auf den Fahgzeugen Menschen saßen, deren Handeln den Zusammenstoß verursacht hat. Und wenn wir lesen "die Fußgängerin wurde angefahren", erfahren wir eben nicht, wer sie angefahren hat, wer also aktiv war. Eine aktive Sprache, die Handelnde klar benennt (ohne sie vorzuverurteilen), ist die bessere Wahl: "Autofahrer tötet Fußgängerin/Radfahrer/E-Sooterfahrer."
Und wer sich als Berichterstatter:in von der Formulierung "sie hatte ihn übersehen" nicht lösen kann, kann immerhin sprachlich deutlich machen, dass er/sie die Perspektive der Autofahrerin übernommen hat und zwar so: "Die Autofahrerin sagte, sie habe ihn übersehen", besser noch: "habe ihn nicht gesehen."
Und warum ist das wichtig? Weil die Art und Weise, wie wir über etwas sprechen, unser Verständnis der Realität beeinflusst. Utopia zitiert Dirk von Schneidemesser mit den Worten: "Sprache prägt das Bewusstsein. Wir sprechen aber nicht über die Gefahrenquellen. Täten wir das, würden wir, glaube ich, eine größere Unterstützung für Mobilitätswendemaßnahmen sehen, wie zum Beispiel niedrigere Geschwindigkeiten oder die Umnutzung von Straßenflächen." Die strukturelle Gewalt unseres Straßenverkehrs muss deutlich werden, damit wir auf die Idee kommen, dass an Strukturen auch etwas geändert werden kann. Verkehrsunfälle sind kein individuelles Schicksal, das man nicht ändern kann, sie sind kein notweniges Übel unserer Verkehrswelt, sondern Symptome eines Systems, das Tote und Verletzte erstaunlich gleichmütig in Kauf nimmt. 3000 Menschen werden in Deutschland jährlich totgefahren oder fahren sich selbst zu Tode. Kämen sie an einem Tag beim Untergang eines Kreuzfahrtschiffs ums Leben, dann würden wir tagelang aufgeregt in allen Medien über Gefahren und wirkungsvolle Sicherheitsmaßnahmen diskutieren.
Übrigens beobachte ich in den redaktionell bearbeiteten Meldungen der Stuttgarter Zeitung über Zusammenstöße (Unfälle) seit längerem das Bemühen, diese Empfehlungen, die es ja schon lange gibt, zu beherzigen. Auch wenn es nicht immer gelingt, vor allem in den Titeln nicht. Es fällt den Journalist:innen immer noch schwer, von den Passivkonstruktionen zu Aktivkonstruktionen zu wechseln, also statt" Einjähriger wird von Auto überrollt" zu "Autofahrer überrollt Kleinkind." Es sträubt sich nämlich in den meisten Menschen, die auch Auto fahren, alles dagegen, das Autofahren (das sie selbst betreiben) als todbringend darzustellen. Wird das Kleinkind durch die Satzkonstruktion ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, dann denkt man sofort: "Wieso hat die Mutter nicht aufgepasst?" Ist der Autofahrer als aktives Person Zentrum der Meldung, dann denkt man: "Wieso passt der nicht auf?"
Hier ein aktuelles Beispiel der elenden Sprache in Polizeimeldungen:
AntwortenLöschenhttps://www.presseportal.de/blaulicht/pm/117677/6126458
Thomas
Unfassbar.😡
LöschenSeit ca 7 Jahren meine „Lieblings“-Meldung aus der NOZ:
LöschenRadlerin prallt gegen Fahrertüre
...war eine ___jährige Frau ohne Helm auf einem Fahrrad unterwegs, als sie in Höhe ____ gegen eine geöffnete Fahrzeugtür eines geparkten Mercedes Sprinter fuhr. Sie kam daraufhin zu Fall und zog sich schwere Kopfverletzungen zu. Sie kam zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus. Es entstand ein Sachschaden von ca. 1300€
Anstatt zu schreiben:
Lieferwagenfahrer verletzt Radfahrerin
...ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten, öffnete er die Fahrertür seines Wagens und verletzte dabei eine ____-jährige Radfahrerin so schwer, dass sie zur stationären Aufnahme in die Klinik verbracht werden musste.
Ja, ein typisches Beispiel. Wobei es der Presse generell schwer fällt, Autofahrende (oder auch nur Autos) als Verursachende zu benennen. Etwa heute beim Zusammenstoß eines Autofahrers, der illegal nach links abbog, mit einer Stadtbahn. Da heißt es dann "Stadtbahn kollidiert mit Auto". Es liegt sicher daran, wie untenstehender Kommentar auch sagt, dass mit der Perspektive von Autofahrenden geschrieben wird. Alle wissen, dass sowas ihnen auch passieren kann und versuchen es, irgendwie auszublenden. Deshalb sind immer die anderen Verkehrsarten diejeigen, die mit dem Auto kollidieren.
LöschenDie Sprache könnte auch damit zusammenhängen, das Diejenigen, die diese Meldungen schreiben ( Journalisten und Polizisten ) beruflich bedingt überdurchschnittlich viel Auto fahren
AntwortenLöschenBesonders ärgerlich finde ich, dass die gleichen Journalisten durchaus in der Lage sind anders zu formulieren, denn Radfahrer fahren ohne auf den fließenden Verkehr zu achten auf die Fahrbahn, ....
AntwortenLöschenDaher ist das Argument, keine voreiligen Schlüsse zu verbreiten einfach nicht richtig, denn Radfahrer kann man handeln lassen, nur Autos machen sachen immer ohne Fahrereinfluss, oder stehen als Hindernisse rum und werden von Radfahrern (mit Todessehnsucht) angefahren.