15. August 2022

Eine gute Radinfrastruktur hilft gegen Regelverstöße

Autofahrende missachten sehr viel häufiger die Regeln als Radfahrende. Und wo es nur eine schlechte oder keine Radinfrastruktur gibt, verletzen auch mehr Radler die Verkehrsregeln.


Das ist das Ergebnis einer Studie im Auftrag der dänischen Regierung. Demnach verletzten nur 5 Prozent der Radfahrenden die Verkehrsregeln, während das 66 Proznet der Autofahrenden taten. 

Weil diese Radampel am Wilhelmsplatz sehr, sehr, sehr lange Rot zeigt, radeln die meisten über die parallele Fußgängerampel, die meistens Grün zeigt. Regelwidrig, aber gut begründbar und ohne Gefährdung anderer, ganz im Gegensatz zur Rotlicht- oder Gehwegfahrt im Auto, bei der man Fußgänger:innen und Radler:innen irre gefährdet. 

Rotlichtverstoß, Umfahren über den Gehweg
Für die Studie wurden wichtige Kreuzungen mit Videokameras beobachtet. Und sehr interessant, es hat sich (übrigens jetzt schon in der zweiten solchen Studie) auch gezeigt: Sind Radler auf Radwegen unterwegs, fuhren nur 4,9 Prozent regelwidrig, zumeist übrigens auf Gehwegen. Gibt es hingegen keine Fahrradinfrastruktur, dann stiegen die Regelverstöße der Radler/innen auf 14 Prozent.

Also: Will man Radfahrende, die sich an die Regeln halten, muss man ihnen Radwege und Kreuzungslösungen geben, die es ihnen auch möglich machen, sich an die Regeln zu halten. 

Ähnliches zeigen dem Bericht zufolge auch Studien in anderen europäischen Ländern. Das Bild des Kampfradlers, der immer bei Rot fährt, ist falsch. Eine Studie in London widersprach der Behauptung, dass die meisten Radler bei Rot an Ampeln weiterfahren. 84 Prozent der Radler hielten brav an. Das wären dann 16 Prozent, die bei Rot fuhren.

Motorradfahrer wendet übe die Fußgängerinsel
14 oder 16 Prozent Regelverstöße sind übrigens nicht viel im Vergleich zu den 66 Prozent dänischer Autofahrer/innen, die auf ihrer Fahrt die Verkehrsregeln missachten. Wie viele das wohl in Deutschland sind? Ich kenne keine ähnliche Studie für Deutschland, ich weiß nur von Hamburg, wo die Polizei mal stundenlang Radler (22) und Autofahrer (226) zählten, die bei Rot über die Ampeln fuhren. Sie kamen auf ein Verhältnis von 1 zu 10.  Die Zahlen nützen aber nicht viel, wenn wir nicht wissen, wie viel Prozent das jeweils waren. Dass in Dänemark deutlich über die Hälfte aller Autofahrenden auf ihrer Fahrt die Verkehrsregeln verletzen, finde ich schon bestürzend. Eine weltweit angelegte Befragungsstudie aus den USA legt nahe, dass in allen Verkehrsarten rund 90 Prozent mehr oder weniger oft gegen Regeln verstoßen, die Radfahrenden meist mit der Begründung eigener Sicherheit. 

Autofahrer biegt in Fußgängerzone ein
Autos sind groß, schwer, schnell und können bei Kollisionen tödlich für Radfahrende und Fußgänger/innen sein. Von ihnen geht eben eine erhebliche Betriebsgefahr aus, und trotzdem sind ihren Fahrern die Regeln egal. Von uns Radlern geht kaum Gefahr für andere aus, schon gar keine tödliche. Und dennoch stilisieren viele unser Verhalten zur großen Gefahr hoch. 

Der Artikel zitiert einen Verkehrspolizeichef von West Mitlands mit der Feststellung, dass die "Auswirkungen des Verhaltens, über das die Menschen schimpfen, vernachlässigbar sind. Wenn man sich die Statistiken ansieht, wenn man die tatsächliche Gefahr von Schäden betrachtet, stellen Radfahrer für niemanden ein Risiko dar."


15 Kommentare:

  1. Liebe Christine,

    Danke für den interessanten Beitrag. Wahrnehmung und Statistik liegen ja oft außeinander. Gut, dass man das immer mal wieder vor Augen geführt bekommt.

    LG
    Sebastian

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    1. Wobei das Dänemark ist, der Rest Europas ist ganz anders. Fahrt mal in Kopenhagen, und ihr werdet euch wundern, wie brav die Leute vor den Ampeln stehen. Da drängelt sich keiner vor. Und wenn jemand anhält, wird der Arm gehoben, damit die Nachfolgenden nicht auffahren.
      In Berlin und Amsterdam herrschen dagegen die pure Anarchie.

      Wenn wir wirklich viel mehr Radverkehr wollen, müssen wir auch was an der eigenen Disziplin ändern. Mir geht das in Berlin auf den Wecker, wenn ich dort mal fahre. Da gilt das Recht des Stärkeren, da wird gedrängelt, geschnitten und rumgemotzt.
      Es ist auch eine Frage der Zahl. Je mehr Radverkehr, desto weniger tolerant ist das System gegen Regelverletzungen.

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    2. ich denke, dass wir erst dann ernsthaft etwas an unserer eigenen Disziplin ändern können, wenn Radfahrende nicht mehr das Gefühl haben, in einer regellosen Umgebung zu radeln, wo sie meinen, sich aus Sicherheitsgründen irgendwie retten zu müssen und dann auf Gehwege flüchten oder bei Rot fahren und so weiter. Es geht erst, wenn es durchgängige Bahnen für Räder, auf denen dann so viele radeln, dass alles das Gefühl haben, wir müssen uns an Regeln halten, Arm rausstecken und Nachfolgenden anzeigen, dass wir anhalten wollen etc.

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  2. Mir sind als Hauptregelverstösse bei Radfahrern aufgefallen: auf dem Gehweg/Fußgängerzone fahren, entgegen der Fahrtrichtung fahren egal wo (Gehweg, Radweg, Schutzstreifen, Einbahnstraße), Umfahren von Ampeln, Falsches Abbiegen- oder Vorbeifahren (quasi Linksverkehr). Es sind im Verhältnis aber eigentlich relativ wenige.
    Es nervt mich nur, dass ich auf dem Rad auf alle um mich rumfahrenden (Id..... ) aufpassen muss, weil die rumfahren als ob sie alleine auf der Welt wären. Am meisten nervt es mich, wenn ich zu Fuß unterwegs bin. Da bin ich schon zweimal fast und einmal richtig angefahren worden. Als Fußgänger habe ich wirklich keinen Bock mich vor jeder Aktion noch nach irgendwelchen Regelbrechern umzusehen. Da will ich entspannt laufen und kucken und nur auf Leute achen müssen, die ähnlich langsam wie ich unterwegs sind.
    Ich kann mich doch auch an die Regeln halten. Dann sollen die anderen das auch. Ich verlange ja nichts, was ich nicht selbst zu leisten bereit bin.
    Karin

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  3. Wer Gehwehradwege säht wird Gehwegradler ernten! Davon abgesehen muss man immer mit schnellerem Verkehr auf Gehwegen rechnen da Kinder bis 10 Jahren dort fahren dürfen bzw. bis 8 Jahren müssen und Nutzer unmotorisierter Tretroller gelten auch als Fußgänger.
    Was ich in dem Zusammenhang interessant finde sind Feld- und Waldwege. Die werden bei uns mit Zeichen 260 beschildert, sind also eigentlich normale Straßen die für KFZ gesperrt sind. Für Fußgänger heißt das außerorts einzeln hintereinander am linken Rand zu laufen. Machen die das? So viel zur Regeltreue wenn die Gesetze nicht zur Praxis passen...

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    1. Ich kenne auch Feldwege, die mit dem allgemeinen Durchfahrtsverbot beschildert sind und für Fahrräder freigegeben werden. Feldwege sind ja eigentlich für Traktoren und Feldmaschinen, weshalb es da auch gerne Konflikte gibt, weil wir heute gar nicht gewohnt sind, zu akzeptieren, dass Erde und Schmodder auf den Wegen liegt oder Traktoren über den Weg wenden und so weiter. Ich muss mal recherchieren, ob es wirklich bedeutet, dass Fußgänger im Gänsemarsch links gehen müssen.

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  4. Auch in der offiziellen duetschen Verkehrsunfallstatistik kann man jährlich nachlesen das Radfahrer Verursacher von 50-55% der Unfälle mit Fahrradbeteiligung sind , PKW-Führer aber zu über 80% Verursacher von Unfällen mit PKW-Beteiligung.
    Wobei sie eine wesentlich größere Gefahr für Andere sind. Denn der Anteil von Alleinunfällen bei PKW-Fahrern liegt bei unter 20% der von Ihnen verursachten Unfälle, bei Radfahrern bei knapp 50%.
    Wobei zu fragen ist ob die oftmals "exzellente Qualität" von Radverkehrsanlagen auch zu den Alleinunfällen beiträgt.

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    1. Die Qualität der Radverkerhsanlage hat wirklich Auswirkungen au die Alleinunfälle. Hier in Heidelberg, "Alleinunfall" auf einer Brücke, Ursache war ein "Bordstein" zwischen Geh und Radweg. Der Verletzte wollte Geld von der Stadt. Die Polizei hat gesagt "kein Unfallschwerpunkt, selbst dran schuld". Nach einem Aufruf in der Zeitung haben sich ca. 30! Leute gemeldet, die an der gleichen Stelle gestürzt sind, aber nicht so schwer verletzt waren und keine Anzeige gemacht haben. Die Stelle wurde dann entschärft. Seitdem gab es dort keine "Alleinunfälle" mehr.
      Und, jeder Unfall hat eine Ursache und sei es nur, dass man woanders hingeschaut hat.
      Karin

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  5. Jörg
    Der entscheidende Punkt der Studie: Gute Radinfrastruktur erhöht die regeltreue der Radfahrenden. => Macht / fordert gut Radinfrstruktur!
    Schlechte und ungünstige Wegesituationen und massenhaftes Fehlverhalten anderer ist keine Entschuldigung noch eine Ausrede für eigenes Fehlverhalten. Gebt den Anständigen eine Chance. Die Störenfriede im Schuh, auf dem Rad im Auto oder auf dem Feuerstuhl muss man immer verfolgen, das liegt in der Natur des Menschen.

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    1. Ich vermute, da meinst du einiges auch ironisch. Es gibt nämlich auch eine Verhältnismäßigkeit. Menschen in Autos sind irre gefährlich für andere, denn mit Autos kann man gleich mehrere auf einmal töten, von Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern geht so gut wie keiner ernste Gefahr aus. Wir neigen aber in Deutschland dazu, die Hochmotorisierten und Reichen (in teuren Autos) machen zu lassen, während wir auf die Gruppen, die nicht dazugehören größeren Druck ausüben. Das halte ich für verkehrt. Ich bin zwar wirklich gegen das Gehwegradeln, sehe manchmal aber auch tatsächlich keine andere Möglichkeit, weiterzukommen (selten aber durchaus), aber Radfahrende sind ja wirklich harmlos verglichen mit Autofahrern, die über Gehwege oder auf Gehwege fahren und mal kurz eine Schülerin dabei umnieten.

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  6. also ich weiss nicht wie es ihnen geht, aber ich finde, die fahrradinfrastruktur in stuttgart bietet nichts von dem, was benötigt wird.
    im gegenteil: im besten fall halbgare sachen, die über jahrzehnte verschlimmbessert werden und in der regel sind die sachen einfach nur unbrauchbar und sei's nur (oder vielmehr: vor allem), weil anschlüsse fehlen.
    wir fahren trotzdem rad.

    aber auf meiner steuererklärung kann ich nirgends was ankreuzen.

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    1. Deshalb schreibe ich ja auch immer noch in meinem Blog. Die Radinfrastruktur in Stuttgart ist extrem lückenhaft, und in den Lücken müssen wir Radfahrenden improvisieren. Niemand kann all die Regeln kennen, gegen die man dabei auf dem Rad nicht verstoßen dürfte, vor allem, wenn man sich auf die Beschilderung auch nicht verlassen kann, weil immer mal wieder Verbote irgendwo vergessen werden oder falsch stehen. Es dauert halt lange, bis man die 30 Jahre Rückstand auf die Niederlande oder Kopenhagen aufgeholt hat, vor alle, wenn ein Teil der Entscheidungsträger:innen es auch gar nicht wollen.

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  7. In Mannheim wurde eine Umfrage gemacht und es kam heraus, dass sich 90%(!) der Beteiligen eine durchgängige(!) Radinfrastruktur wünschen. Also ehrlich, wer hätte das gedacht. Ich dachte immer Radfahrer wollen dieses Stückwerk, das sie präsentiert bekommen. Wer kann denn annehmen, dass die was durchgängiges wollen.
    Entschuldigung, aber ab und an geht es mit mir durch.
    Karin

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    1. Ich vermute mal, die Umfrage wurde unter Radfahrenden gemacht. Ich habe schon Umfragen gelesen, in denen sich eine deutliche Mehrheit aller für mehr Radwege (etc) aussprach, denn eigentlich wünschen sich das Autogfahrende (wenn sie klar denken) und Fußgänger:innen auch: Dann wissen nämlich alle, wo die Fahrräder unterwegs sind, und es ist leichter, ihnen klarzumachen, wo sie nicht unterwegs sein dürfen. Schlecht ist das nur für schnelle und routinierte Fahrbahnradler:innen, die sich nicht durch langsame Radler:innen auf Radwegen fädeln wollen.

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    2. Vorschriftsmäßig angelegte Radhauptrouten sind so breit und mit so großen Kurvenradien etc., dass schnelle Radfahrer, die die Entwurfsgeschwindigkeit von 35km/h und mehr auch ausnutzen wollen, langsame Radfahrer gefahrfrei überholen können. Die entsprechenden Entwurfsprinzipien von RIN und ERA können natürlich erst dann Anwendung finden, wenn der Radverkehr so professionell geplant wird, wie das beim Kfz-Verkehr selbstverständlich ist: dort wird schließlich eine Vorrangstraße entsprechend der verkehrlichen Bedeutung anders geplant als eine nachrangige Route.

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