2. Oktober 2021

Warum fährst du nicht Fahrrad?

Etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland steigt nie oder nur sehr selten aufs Fahrrad. Bei den Frauen sind es 55 Prozent, bei den Männern 46 Prozent
. Das sind die ersten Daten der RadAktiv-Studie der Uni München.

Die Forscher:innen wollen wissen, warum Menschen im Alltag nicht Rad fahren, obwohl sie ein Fahrrad besitzen (nur ungefähr 13 Prozent der Bundesbürger:innen haben kein Fahrrad). Angst, Ablehnung und Ortswechsel scheinen die Hauptgründe zu sein. Mehr Frauen als Männer radeln nicht, und je älter der Mensch, desto weniger nutzt er das Rad. Nach Einschätzung von Professorin Rau ist das ein Zeichen dafür, dass die Radinfrastruktur noch zu unsicher ist. "Der Frauenanteil wächst mit steigender Sicherheit", sagt sie

Das soziale Umfeld scheint eine große Rolle zu spielen.

Während ich gerade bobachte, wie unser Nachbar, der sich ein Lastenfahrrad gekauft hat, die Nachbarschaft mit der Idee infiziert, sich auch Fahrräder für den Alltag anzuschaffen, scheinen Menschen, die wenige oder keine Radfahrenden, dafür aber notorische Radhasser:innen in ihrer Umgebung haben, selber nicht aufs Fahrrad zu steigen. Gute Beispiele machen Schule, schlechte auch. Das ist vermutlich auch der Grund, warum das Fahrrad in bestimmten Stuttgarter Wohnvierteln weit verbreitet ist und sich dort immer mehr Menschen für Alltagsfahrten aufs Fahrrad schwingen, während in anderen Stadtteilen das Auto dominiert, das Interesse gering ist und demzufolge auch die Radinfrastruktur fast ganz fehlt, weil es für die nie Mehrheiten gibt. Dort ist das Auto noch Statussymbol, nicht das Fahrrad. Es sind übrigens die Stadteile, wo nicht die Wohlhabenden leben, die sich zum Auto noch ein oder zwei teure Pedelecs kaufen können. 

Der wichtigste Grund für einen Wechsel der Mobilitätsgeräte scheint aber ein Wohnortwechsel zu sein.  Umzüge versetzen Leute in fremde Umgebungen, die man meistens mit dem Auto leichter erobern kann als mit dem Fahrrad, vor allem dann, wenn die Radinfrastruktur fehlt oder nur schwer zu finden ist. Um in einer Stadt Rad zu fahren, muss man sich gut auskennen, denn Radfahrenden werden nicht annähernd so gut durch unbekanntes Terrain geleitet wie Autofahrende. Navis sind auf den Autostraßenverkehr optimiert, und Navis für den Radlenker können nur auf das Datenmaterial zurückgreifen, das vorliegt, und da sind gute Radführungen mal mit drin, mal nicht. Und so kann es sein, dass Menschen nach einem Umzug vom Fahrrad zum Auto zurückwechseln, weil die Wege anders sind oder plötzlich zu weit, und weil man sich auch gar nicht richtig auskennt. Umgekehrt ist das auch möglich. Man zieht irgendwo hin, wo in der Nachbarschaft das Radfahren üblich ist und man schöne Radwege sieht, und wechselt zum Fahrrad. Aber es gibt in Deutschland mehr Städte ohne gute Radinfrastruktur als solche mit. Also ist das weniger wahrscheinlich. 

Interessant wird die Studie, wenn die Wissenschaftler:innen uns sagen, welche Maßnahmen man ergreifen müsste, um die Nicht-Radler:innen zu Radler:innen zu machen. Wobei das, was dabei herauskommt, vermutlich keine Überraschung sein wird: Ein Angebot guter und durchgängiger Radstreifen und Radwege bringt viele Menschen aufs Fahrrad, die den Stellungskampf mit dem Autoverkehr nicht führen wollen. Im Gegenzug muss das Autofahren unbequemer werden. Dem Radverkehr muss also in der Stadt Platz verschafft werden und zwar so, dass man es im Auto auch sieht und bemerkt. Das Radfahren darf nicht kompliziert sein, die Radinfrastruktur darf nicht plötzlich aufhören, auf dem Fahrrad muss man über Kreuzungen finden und sicher durch Kreisverkehre kommen, die Radinfrastruktur muss kritische Situationen minimieren. Sonst probieren es die Leute ein Mal, stellen fest, hier kann man nicht radeln, da ist man seines Lebens nicht sicher, und lassen es für viele Jahre erst einmal sein. Kurz: Eine Angebotsplanung ist unerlässlich, also eine, die mehr Menschen einlädt, das Fahrrad zu nehmen. 

Ausflugsradler:innen, West, auf dem Fußgängerüberweg
Andererseits ist es diese Hälfte notorischer Nicht-Radler:innen, die eine Politik zugunsten des Radverkehrs blockiert. Diese Leute können sich nicht vorstellen, Rad zu fahren, und bekommen Panik, wenn der Vorrang des Autoverkehrs vor allen anderen Verkehrsarten beschnitten werden soll, weil sie dann denken, sie kämen selber nicht mehr durch. Sie erklären dann immer, nicht jeder könne Rad fahren. Sie erzählen mir, niemand wolle an einer Hauptstraße entlang radeln wegen der Abgase, die Waldstrecke sei doch viel schöner. Oder sie verkünden, das Radfahren in Stuttgart sei lebensgefährlich. Und die Radfahrer halten sich ja eh an keine Regeln, kommt als Bonbon noch dazu, so als bräuchten sie deshalb auch keine Radinfrastruktur. Am ehesten radeln diese Leute noch in der Freizeit und dann suchen sie schöne Grünstrecken, vermeiden dabei den Kontakt mit dem Autoverkehr und suchen sich ihre Wege  auch gern über nicht freigegebene Gehwege (siehe Foto oben, typisches Ausflüglerverhalten am Rosensteinbunker). Je öfter sie bei solchen Ausflügen an der Infrastruktur scheitern, desto überzeugter sind sie, dass man im Alltag gar nicht Rad fahren könne in ihrer Stadt und - noch schlimmer - dass ein Alltagsleben ohne eigenes Auto überhaupt nicht funktionieren könne. Und so entscheiden sie sich in der Politik (als Funktionsträger:innen oder als Wähler:innen) immer wieder gegen den Radverkehr und für Parkplätze und Parkhäuser. 

Eigentlich aber sehnen sich viele danach, vom Auto loszukommen. Zu mir hat mal eine gesagt: "Ja, dann verbietet doch endlich das Autofahren in der Innenstadt, dann würde ich auch nicht mehr mit dem Auto kommen." Menschen erwarten, dass die Politik die Bedingungen so ändert, dass sie gute Alternativen zu einem bisher schädlichen Verhalten bekommen. Auch wollen sie nicht die einzigen Deppen sein, die mit dem Fahrrad fahren, während alle anderen in der Nachbarschaft morgens um halb 8 und am Samstag um 10 die Autos anlassen. Die Forderung nach mehr und besseren Radwegen ist in allen Umfragen stark, auch wenn sie unter Autofahrenden gemacht wird. Wenn die Radinfrastruktur so wäre, dass ich (und meine Kinder und Großeltern), sich darauf sicher und wohl fühlen könnten, dann würden wir doch alle Fahrrad fahren. Das ist ja auch viel schöner und eigentlich bequemer, es schafft ein größeres Gemeinschaftsgefühl und schafft die Befriedigung, dazu zu gehören zur eigenen Stadt und ihren Leuten. 

10 Kommentare:

  1. Ich verstehe die Zahlen nicht...sie widersprechen sich

    Etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland steigt nie oder nur sehr selten aufs Fahrrad. Bei den Frauen sind es 55 Prozent, bei den Männern 46 Prozent.

    Radfahrende sind zu 54 Prozent männlich, Nicht-Radfahrer/innen zu 55 Prozent weiblich - laut Prof. Rau...

    Außerdem fehlt der Wesentlichste soziologische Aspekt: Die völlige Sexualisierung des Auto- dagegen ist gerade für Männer, das Fahrrad zu 'weiblich' oder 'schwul'. Tiefgreifende Grundhaltung: Nur Auto ist wahrer Ersatz-Penis und Waffe.

    Wiederkehrendes Verhaltensmuster der Männer: Bei den männlichen Radfahrern beobachte ich auch dieses 'Aufrüsten & Aufmotzen' bei deren Bikes. Z.B. durch laute Klinken-Freiläufe-Analogie zum Klappenauspuff beim Auto.

    Ergo: Der Planet Erde hat ein massives Testosteron/Phallus-Problem. Die Studie ist daher viel zu oberflächlich.

    Claudia

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Leider beginnt die Studie ja erst, deshalb gibt es noch keine detaillierten Erkenntnisse. Und die beiden Zahlen-Paare beziehen sich auf etwas Unterschiedliches. Unter den Radfahrenden teilt sich das anders auf, als unter den nicht Radfahrenden. Kurz, es radeln eher weniger Frauen als Männer. Und wenn Männer ihr Rad so toll finden, wie sie andernfalls ihr Auto toll finden würden oder finden, ist das ja auch okay. Es gibt aber auch Frauen, die ihre Auto stark emotionalisieren, genauso wie ihre Fahrräder. Eine interessante Frage trotzdem. Hast du da Studien oder Material dazu?

      Löschen
    2. Die Studie hat 2018 begonnen und sollte im Juni 2021 fertig sein.

      Löschen
    3. Laute Klinken-Freiläufe? Ich lach mich kaputt, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass das Gesurre jemand toll findet und es extra lauter stellt, anderseits ist es diese Gesurre, dass Fußgänger bereits frühzeitig warnt und weniger aufdringlich als eine Klingel klingt. Und die lautesten Surrer sind am Ende nicht lauter als ein fast geräuschloses Elektroauto.

      Löschen
  2. Hi,

    aus meiner Sicht wäre die Lösung in weiten Teilen einfach: flächendeckend Tempo 30, und zwar auch auf innerörtlichen Hauptstraßen sowie Einführung von gemeinsam genutzen Flächen (also nicht den Radverkehr an den Straßenrand drängen, sondern als gleichberechtigten Verkehrsteilnehmer vorsehen). Und dann konsequente Geschwindigkeitsüberwachung machen .... das würde funktionieren.

    LG Guido

    AntwortenLöschen
  3. Forschen, forschen, forschen...
    kann man auch zuviel.
    Ok, der verlinkte Artikel bezieht sich auf eine damals noch laufende Studie, Ergebnisse findet man bei einer kurzen Suche noch keine.

    Aber nahnbrechend werden die kaum sein, all das, was da beschrieben wird ist doch bekannt. Wenn man sich ein bisschen mit dem Thema befasst, dann tauchen all diese Dinge, Geschlecht,Alter, Wohnumfeld, soziales Milieu etc. sehr schnell auf dem Radar auf. Das riecht schon sehr nach einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Geografen. Und nach einer Dosis Chauvinismus, nach dem Motto, es ist schon alles erforscht aber noch nicht von uns (Deutschen). Es werden doch aber auch nicht die Ergebnisse der Teilchenphysik überprüft, ob die auch in Deutschland gültig sind....

    Ich hab' es schon bei der Schaffung dieser "Fahrradprofessuren" gesagt, bei derlei handelt es sich nur um ein Auf-die-lange-Bank-Schieben. Im Autoland Deutschland ist verstärkter Fahrradverkehr, der NUR durch Beschränkung des motorisierten Verkehrs kommen kann, politisch nicht gewollt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Fahre so viel oder so wenig, so weit oder nicht so weit wie du willst. Hauptsache, du fährst.

      Löschen
  4. Jörg
    Köln hat einem Jahrzehnt von 10% auf 20% Radanteil erhöht. Mein kurzer Besuch hat mir durchgängige schlechte Infrastruktur gezeigt. Manchmal war es auch mal mäßig, gute Sachen werden jetzt erst geschaffen.
    Das scheint ein Weg zu sein schnelle einfache Lösungen. Schade - in Stuttgart geht es langsamer als man von den Schweizern erwartet. Da müssen wir gleich für richtige Lösungen einstehen.

    AntwortenLöschen
  5. Jörg
    Das mit dem erkunden der Umgebung mit dem Auto kann ich gar nicht nachvollziehen. Mit dem Bike kann man sich so schön treiben lassen. Man kommt in jeden Winkel, Entfernungen werden mühelos überwunden.
    Hilfsmittel zur Orientierung in der Fremde gibt OSMAnd oder meinetwegen Google Maps das Handy hat mittlerweile jeder immer am Mann oder an der Frau. Alle finden wieder nach Hause.

    AntwortenLöschen
  6. Eine fremde Stadt erkunde ich lieber mit dem Fahrrad, denn nur mit dem Fahrrad hat man die Freiheit, an jeder Stelle seine Fahrt zu unterbrechen und einen neuen Weg zu suchen. Mit dem Auto mal nicht sofort den richtigen Weg zu finden, löst unter gewissen Autofahrern ja panikartige Hupkonzerte aus- wer kennt es nicht. Das die Radfahrer von dem Titelbild den Z-Übergang nutzen, liegt vermutlich auch daran, dass die wenigsten Radler den 12 Millimeter breiten Radweg an der Stelle ausmachen. Infrastruktur aus der Hölle halt. Oder zumindest nicht intuitiv.

    AntwortenLöschen