29. März 2022

Zwanzig Argumente gegen Radwege

Parkplätze oder Radweg? Wir führen immer die gleichen Diskussionen mit den gleichen Argumenten. 

Und wir, die wir verstanden haben, dass im Zuge der Mobilitätswende der Radverkehr ausgebaut werden muss, sind immer wieder fassungslos und sprachlos.

Stets gibt es eine stille Mehrheit, die auf die Verbesserung der Radverkehrsanlagen wartet und sie gutheißt. Diese Mehrheit bekundet einmal ihre Zustimmung und bleibt der weiteren Diskussion dann fern. Diese Diskussion wird danach von einer lauten und emotionalen Minderheit beherrscht, die ihren Parkplatz retten will und typische Argumente benutzt. Sie beginnen immer so: 

Ein Radweg ist ja ganz nett, aber ..., Ein Radweg ist sicher notwendig, aber ..., Ich sehe ja ein, dass da etwas getan werden muss, aber ... Und schließlich: Ich fahre selber Fahrrad, aber ... 

Dann werden alle möglichen Argumente gegen den Radweg oder Radstreifen hervorgeholt, die zum Ziel haben darzulegen, dass Parkplätze zur Daseinsvorsorge einer Stadt gehören müssen.  

  1. Da wohnen Eltern, die ihre Kinder und Kinderwagen ein- und ausladen müssen, wo sollen die denn dann hin? Auf dem Radweg dürfen sie ja nicht halten. 
  2. Es gibt Geh-Eingerschränkte, die können ihr Auto nicht mehr benutzen, wenn sie hundert Meter zum Parkplatz laufen müssen.  
  3. Eltern mit Kindern und Gehbehinderte werden von der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abgeschnitten, wenn sie nicht mehr vor dem Haus parken können?  
  4. Da wohnen alte Menschen, die Pflegedienste brauchen. Wo sollen denn die Pflegedienste parken? 
  5. Wo sollen denn Handerker parken, die zu uns kommen? 
  6. Es kann doch nicht sein, dass eine Verkehrsart, das Fahrrad, Vorteile hat und wir Autofahrer:innen nur die Nachteile, das ist ungerecht. 
Hohenheimer Str.
Das mag im ersten Moment sogar einleuchten. Aber so könnten eben auch die Anwohner:innen der Hohenheimer Straße oder der Hauptstätter Straße oder von Teilen der Rotebühlstraße oder der Charlottenstraße argumentieren, denn die haben gar keine Parkplätze vor der Tür. Bei ihnen fahren Autos an der Haustür vorbei. Fahrendes Auto (fließender Verkehr) schlägt nun mal geparktes Auto und geparktes Auto schlägt dann eben den Radweg. 

Wenn dann eine Reihe von vernünftigen Argumenten für einen Radweg zu hören waren, geht es direkt gegen die Radfahrer:innen an sich, der Radverkehr wird zu einem gefährlichen Monster, viel gefährlicher als der Autoverkehr.  
  1. Radfahrer sind ja auch keine Engel, sie fahren immer ohne Licht und immer bei Rot und immer auf dem Gehweg.
  2. Wenn die Autos auf dem Gehweg parken oder halten müssen, denn irgendwo müssen sie ja hin, dann haben die Fußgänger kein Platz mehr, und wenn sie auf den Radweg ausweichen, werden sie umgefahren.
  3. Wenn da Radwege oder Radstreifen sind, kann man nicht mehr über die Straße gehen. Die Radler rasen, man ist seines Lebens nicht mehr sicher. Alte und Kinder befinden sich in Lebensgefahr. 
  4. Es ist also völlig unverantwortlich, hier einen Radweg oder Radstreifen anzulegen. 
Wenn man dann spürt, dass man sich doch etwas weniger radfeindlich und etwas kompromissbereiter zeigen sollte, kommen die konstruktiven Vorschläge:  
  1. Die Radfahrer wollen doch gar nicht hier an der Straße fahren, die fahren lieber durch die Nebenstraßen und den Wald. Das ist doch auch viel schöner.   
  2. Dann muss man hier eben Tempo 30 anordnen, dann braucht man den Radweg nicht. 
  3. Könnte man nicht die Stadtbahn unter die Erde legen, dann hätten alle Platz? 
  4. Der Radweg ist doch nur 500 Meter lang, dann hört er auf. Bevor man ihn anlegt, muss erst einmal die Fortführung und Hinführung geklärt sein.
  5. Dann muss die Polizei eben stärker kontrollieren (Tempo, Überholabstände, Durchfahrtsverbote), wenn sich alle an die Regeln halten, ist das doch gar kein Problem.  
Es sind keine neuen Argumente, die die Verteidiger:innen (übrigens meistens Männer) der Parkplätze immer wieder hektisch hervorziehen. Und immer wird wenigstens einmal Wort "Radlobbyisten" ausgespuckt und einmal das das Wort "idologisch" geschrien. Man selber hängt ja niemals einer Ideologie an und ist auch kein Autolobbyist, sondern Realist:  
  1. Stuttgart ist Stauhauptstadt, wir brauchen mehr Autostraßen, der Radverkehr erzeugt nur noch mehr Stau.  
  2. Manche Leute brauchen ihr Auto. 
  3. In Stuttgart kann man gar nicht Radfahren, es ist viel zu bergig. 
  4. Bei schlechtem Wetter fährt doch niemand Fahrrad. 
Ich kann es nicht mehr hören, und werde es dennoch - wie viele von euch auch - noch viele Jahre bei jeder Diskussion über Radweg oder Parkplätze zu hören bekommen. Und manchmal sind die Autolobbyisten und Autoideologen so laut und aggressiv, dass ein Teil der Politik den Mut verliert und die neue Radinfrastruktur scheitert

Leider sind bei all diesen Konferenzen und Diskussionen diejenigen, die für den Radverkehr eintreten, gut mit Argumenten ausgestattet, kommen aber nicht so oft zu Wort und sind weniger laut. Uns erscheint es so selbstverständlich, dass wir uns oft auch gar nicht mehr anstrengen, zu argumentieren. Zumal auch wir  immer wieder die gleichen Argumente wiederholen: 
  1. Wenn weniger Autos fahren, wird es leiser. 
  2. Und sicherer: Kinder können gefahrlos auf der Straße unterwegs sein, wenn es sichere Radwege gibt. Sie müssen nicht überall mit dem Auto hingefahren werden. 
  3. Radverkehr ist sozial ingegrativ und bringt Menschen zusammen.
  4. Radfahren ist gesund und spart Krankenkassenkosten für alle.
  5. Radfahren macht Spaß und gute Laune. 
  6. Radfahrens spart Krankeheitstage in einem Betrieb.
  7. Radfahren trägt zur CO2-Reduktion bei.
  8. Radfahren ist billiger, man spart Sprit und kann das Geld für was anderes ausgeben.
  9. Radverkehr hilft dem lokalen Handel, denn Radfahrende gehen vor Ort einkaufen.
  10. Wo weniger Autos und mehr Radfahrende sind, sind auch mehr Fußgänger:innen, Innenstädte beleben sich wieder. 
  11. Mehr Radwege bringen mehr Menschen aufs Fahrrad, es finden weniger Autofahrten statt. Deshalb brauchen wir eine gute Angebotsplanung. 
  12. Ein gutes Radwegenetz macht das Auto in der Stadt unnötig. Man kann das eigene Auto abschaffen und für notwendige Fahrten auf Carsharing zurückgreifen. 
  13. Die Zahl der schweren und tödlichen Verkehrsunfälle geht zurück, wenn mehr Leute Rad fahren.
  14. Mindestens ein Drittel der Straßenrandparkplätze kann eingespart werden, wenn die Autos wieder in Garagen und auf Grundstücken abgestellt werden, statt davor.
  15. Wo es keine Parkplätze gibt, hört der Parkplatzsuchverkehr auf, der etwa ein Drittel des Verkehrs in der Innenstadt ausmacht. 
  16. Viele Menschen wünschen sich, das Auto abschaffen zu können, vermissen aber gute Rad- und Gehwege. 
  17. Das Auto ist wie eine Droge, es beherrscht unser Denken und Fühlen, wir müssen endlich unabhängig vom Auto werden.
  18. Aus geopolitischen Gründen brauchen wir eine Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und eine energiesparende Mobilität. 
  19. Radfahren bringt einer Stadt Geld ein, Autofahren kostet die Allgemeinheit viel Geld.
  20. ...

8 Kommentare:

  1. Es ist eben immer einfacher für den Status Quo zu argumwntieren und dann halt einfach nichts zu tun, als für eine Verbesserun.

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  2. Ich denke, es ist einfacher mit sinnlosen und irrationalen Arguementen für den Sstatus Quo zu argumentieren und damit durchzukommen, und es ist schwierig, mit rationalen Argumenten Erfolg zu haben , wenn es um eine sinnvolle Änderung geht. Die Menschen sind komisch.

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  3. Eigentlich sind es doch immer die gleichen "dummen" Einwände. Radfahrer halten sich an keine Regeln, fahren bei Rot , Führerschein, Kennzeichenpflicht usw. Wir brauchen eine Strategie,eine Argumentation wie damit umzugehen ist. Ansonsten drehen wir uns immer im Kreise da stets diese Wiederholungen kommen und wir sofort in der Defensive sind und uns verteidigen müssen. Das eigentliche Thema bleibt auf der Strecke.

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    1. Jörg
      Du kannst nächstes mal Fragen, warum stehen so viele Blitzer hier oder dort. Es wird immer veröffentlicht wie viele tausend Autofahrer geblitzt wurden. Warum wird für solche Leute eine Autobahn erweitert. Für die vielen Falschparker müsste man zur Strafe Parkplätze abbauen. Einfach umdrehen. Privat kommt da keiner mehr gegen diese Argumente an. Warum gibt es Blitzerampeln? Weil Autofahrer nicht über rot fahren?
      Dann kann man noch Fragen: Soll solange ein Radfahrer ohne Licht fährt, kein Radweg angelegt werden?

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    2. Meistens werden die immergleichen "Argumente" bewusst oder unbewusst gebracht um eine Diskussion sofort zu ersticken. Das klappt vielleicht weniger gut, wenn wir fordern die Argumente zu untermauern weil sie sonst eher persönliche Meinung oder Hörensagen sind. Das kann auch so gehen, dass man nachfragt wie genau Kennzeichen die Situation besser machen sollen (und dabei kann man dann auf die Probleme kommen, weil immer noch eine Person ermittelt werden muss, die auf einem Rad oder zu Fuß sogar viel leichter zu erkennen ist). Oder warum ein geforderter Führerschein, den praktisch so gut wie jeder kriegt besser sein soll, als der Fahrradführerschein aus der Grundschule. Rückfragen, welche Regeln, welche Ampeln denn unter welchen Vorraussetzungen für Radverkehr gelten. Fahren "alle Radfahrer" vielleicht gar nicht immer bei rot sondern meistens einfach noch beim nicht vorhandenen gelb und vielleicht noch in der für Fußgänger berechneten Räumzeit.

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  4. Lieber Rainer, ich fürchte, wir kommen nicht drum herum, unsere Argumente immer wieder aufzuzählen, vor allem in Privatgesprächen. Ich antworte auf das Argument "Radfahrer halten sich an keine Regeln" in der Regel mit dem, was in diesem Post steht: https://dasfahrradblog.blogspot.com/2019/05/eine-gute-radinfrastruktur-hilft-gegen.html
    Weil wir von der Autogesellschaft als Minderheit angesehen werden (was wir nicht sind), müssen wir eben, wie jede Minderheit, immer wieder bekräftigen, dass wir nicht böse sind, sondern so menschlich wie die Menschen in Autos auch. Diese Tatsache, dass wir momentan noch einen Argumentationsnachteil haben, müssen wir akzeptieren, auch wenn es mich genauso ärgert wie dich. Wobei wir ja inzwischen wenigstens politische Mehrheiten haben, jedenfalls oft.

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  5. Jörg
    Gestern habe ich es live im Rathaus zu Stuttgart gehört. Der CDU Mann sagt, das Auto ist wichtiger als Fahrräder. Radwege an Hauptstraßen solle es nicht geben. Fahrrädern sollen durch die 30er Zone fahren (Anmerkung: Da wird er uns auch nicht mögen). Mit anderen Worten, so wie es an der Hohenheimer Straße ist, ist es gut.
    Autos sollen Bitteschön an Kreuzungen weiterhin bevorzugt werden. Das widerspricht geltenden Vorschrift wie der HBS und RAST. Selbst diese alten Vorschriften reden von Gleichberichtigung, die ja leider in Stuttgart nicht gelebt wird. So steht dort geschrieben, wenn Autos in einem Ampelumlauf über die Kreuzung kommen, muss das auch für Fußgänger und Radfahrer möglich sein. Die Vorschriften werden in Stuttgart sehr selektiv angewandt. Gewisse Passagen fallen irgendwie immer wieder hinten runter.

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    1. Der CDU Mann ist sich sicher nicht bewusst, dass er nur von einem Bruchteil eines Bruchteils der Bevölkerung gewählt wurde, und auch nicht, dass seine Wahl nur eine Vertretungsfunktion hat. Er plappert halt nur einfach seine persönliche Meinung raus, ohne sich im geringsten drum zu kümmern, was die, die er "vertritt", mehrheitlich eigentlich wollen. Ein uraltes Problem unserer Vertreter-Kultur, quer durch die sog. Parteien.

      Ein (irrationales) Gefühl sagt mir, dass wir längst viel weiter wären, würde tatsächlich der gesellschaftliche Mehrheitswille interessieren. Die Masse ist vermutlich sehr viel klüger als ein par Partei-Soldaten.

      Umso erstaunlicher, dass sich niemand dafür interessiert. Im 21. Jahrhundert wäre es technisch eine leichte Übung, den Mehrheitswillen zu erfragen... wenn man sich denn nur dafür interssieren würde?

      S.Schwager, Fürstenfeldbruck, Bayern

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