25. Mai 2022

Zweirad-Unfälle genau betrachtet

Die Allianz hat eine umfangreiche und differenzierte Studie zu Unfällen und Unfallrisiken von Zweiradfahrenden (Rad, Pedelec, Mofa, Motorrad, E-Scooter) vorgestellt. Demnach dominieren Alleinunfälle. Und Helme verringern das Risiko schwerer oder tödlicher Verletzungen. 

Die Sache mit den Helmen wurde sofort von den berichtenden Medien aufgegriffen, genauso wie die Häufigkeit von nächtlichen Trunkenheitsfahrten auf E-Scootern, deren Fahrer:innen von Helmen sehr profitieren würden, und dass die Unfallzahlen bei Pedelec-Radler:innen stark steigen. Die Studie von Allianz Zentrum für Technik positioniert sich zwar, belegt die Erkenntnisse aber durch statistische Analysen. Frappierend ist vor allem, dass sich bereits in den ersten zehn Monaten des Jahres 2021 die Zahl der mit E-Scooter Verunglückten gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 153 Prozent von 1.584 auf 4.001 erhöht hat. 

Grundsätzlich bergen überall hohe Geschwindigkeiten die größten Risiken. 

Vom Autoverkehr wissen wir, dass die Zahl schwerer Unfälle zurückgeht, wenn langsamer gefahren werden muss. Für Radfahrende gilt das auch, wo schnell geradelt werden kann, passieren mehr Unfälle, auf leeren Straßen zum Beispiel. Dann kommen Fahrfehler zum tragen. Bei allem Misstrauen in die Daten, die solchen Statistiken zugrunde liegen, scheinen die höheren Geschwindigkeiten der Radfahrenden (durch bessere Normalräder, gute Gangschaltungen und Bremsen, Pedelec-Motoren) auch zu mehr Unfällen zu führen. 

Pedelec-Radelnde haben ein um den Faktor 2,5 bis 4 höheres Risiko im Vergleich zu Standardradler:innen, bei einen Unfall getötet zu werden. Als Gründe sieht die Studie die flottere Fahrdynamik  und die Ungeübtheit und Sorglosigkeit mancher Nutzer:innen. Das Argument, das auch ich gerne benutze, die höheren Unfallzahlen bei Pedelecs lägen am höheren Alter ihrer Fahrer:innen scheint zu kurz zu greifen, denn ganz generell haben ältere Radfahrende (auch auf Normalrädern) ein höheres Unfallrisiko. Wobei das tödliche Unfallrisiko von Fußgänger:innen gemessen an den zurückgelegten Kilometern immer noch höher ist, und bei denen ist nicht ihre Geschwindigkeit das Problem, sondern die Geschwindigkeit von Autofahrenden.  


Alleinunfälle: Grundsätzlich sind die Verletzungen bei einem Alleinunfall meist schwerer als bei einem Unfall mit Beteiligung anderer. Dabei spielen ein schlechter Untergrund (Nässe, Schnee, Hindernisse) offenbar gar keine so große Rolle. 4 von 10 Alleinunfälle aller Verkehrsarten waren im Jahr 2020 die von Radfahrenden, 40 Prozent in Deutschland. Auf dieser von der Stuttgarter Zeitung erstellten Unfallkarte für 2021 sieht man (orangfarben) die Unmenge Alleinunfälle. Die Unfälle mit Pkw als Unfallgegner sind etwas häufiger. Unfälle mit Fußgänger:innen sehr selten. 

Es ist noch nicht so richtig erforscht, warum der Radunfall so häufig ein Alleinunfall ist und warum die Zahl steigt. Ein Grund ist - wie man vor allem an E-Scooter-Unfällen sieht - dass ein gewisser Prozentsatz zwar alkoholisiert nicht mehr Auto fährt, dann aber eben Fahrrad oder E-Scooter. Ein zweiter Aspekt sind Stürze wegen der Straßenverhältnisse, etwa bei Regen (9 %) oder wegen Hindernissen. Allerdings scheint das nicht der Hauptgrund zu sein. ¾ der Alleinunfälle ereignen sich bei Trockenheit. Dunkelheit oder Außerorts-Fahrten scheinen eine Rolle zu spielen, wobei der Verdacht besteht, dass die Radler:innen zu schnell (also mit nicht angepasster Geschwindigkeit) unterwegs waren. Wie groß das Sturzrisiko ist, weil Leute selten und nur mal am Wochenende radeln oder die Fitness und Regelkenntnis nicht reicht, ist nicht untersucht, genauso wenig wie Anfängerfehler und die Risikobereitschaft Jugendlicher. Es scheint mir aber offensichtlich, dass eine Gefahr darin steckt, dass man nur auf zwei Rädern fährt, nicht auf vier, also balancieren muss und sich Hindernisse, die eins von zwei Laufrädern aus der Spur bringen, dann eben zum Sturz führen. 

Unfälle mit Beteiligung anderer: Radfahrende haben unverschuldete Unfälle zu 77 Prozent mit Pkw, zu 13 Prozent mit Fahrrädern und zu 4 Prozent mit Fußgänger:innen. Wenn Radfahrende einen Unfall selber verschuldeten, dann hatten sie ihn zu 55 Prozent mit einem Pkw, zu 29 Prozent mit einem Fahrrad und zu 12 Prozent mit einem Fußgänger. Radfahrende verursachen also mehr Unfälle mit Fußgänger:innen als diese mit ihnen verursachen. Da sollten wir doch mal in uns gehen. 

Bei den Unfällen mit Autos ist nach wie vor der Richtungswechsel das Problem. Unfälle im Längsverkehr sind selten. Der Autor der Studie meint sogar, mangelnde Überholabstände führten so gut wie nie zu Unfällen. Wobei die tatsächlichen Abstände oft unklar seien. Die Studie nennt einen Fall eines 90-Jährigen, der im Moment des Überholtwerdens in Richtung des Pkw zog, also unsicher fuhr. Ein Grund, warum Überholabstände wichtig sind. Schon ein Windstoß reicht ja, um einen Radfahrer von der Fahrlinie abzubringen (S.44 der Studie). Ich habe gelesen, dass Ende März 2022 auf einer Landstraße bei Kaiserslautern im Dunkeln ein Radler von einem betrunkenen Autofahrer so eng überholt wurde, dass er stürzte und später seinen Verletzungen erlag. Und vor nicht ganz einer Woche las ich auf Twitter diesen Post: "Berlin. Platz vor dem Neuen Tor. Linke Schulter lädiert. Ursache: zu enges Überholen bei Gegenverkehr. Froh, einen Helm getragen zu haben. Sauer, wegen der scheiss Infrastruktur und Rücksichtslosigkeit." Es kommt also durchaus vor.  

Eine australische Studie berichtet wiederum, dass mit Einführung einer Abstandsregelung zwar größere Abstände eingehalten wurden, aber gleichzeitig eine negative Einstellung und aggressives Verhalten gegen Radfahrende stieg. Daraus kann man, denke ich, nicht gleich schließen, dass zu enges Überholen kein wichtiges Thema sei. Nur scheint die Gefahr für uns Radfahrende nicht so groß wie an Kreuzungen. 

Bei Abbiegeunfällen durch Lkw dürfte der sogenannte tote Winkel gar nicht so oft dafür verantwortlich sein, dass die Fahrer:innen den Radfahrer rechts nicht sehen (6 Prozent), sondern tatsächlich eher geringe Achtsamkeit, Überforderung, Mutwille, Ablenkung, Alkohol oder Sehschwächen. Eine Datengrundlage dafür fehlt allerdings, denn meistens werden Abbiegeunfälle als Tote-Winkel-Unfälle dokumentiert, also als Unfälle, die der Lkw-Fahrer im Grunde nicht hat vermeiden können. Ob das aber so stimmt, ist eben ungewiss. Nach Auswertung der AZT-Studie waren 10 Prozent der Radunfälle solche Abbiegeunfälle, ohne dass ganz klar wäre, worin der Fahrfehler des Kfz-Lenkers oder der Lenkerin bestand. Eine Sensibilisierung der Bevölkerung könnte helfen, die Aufmerksamkeit für Radfahrende zu fördern (S.49), meint die Allianz

Nicht entschieden werden kann mit jetziger Datenlage, ob man auf dem Fahrrad nun sicherer auf einem Radweg oder Radstreifen oder im Mischverkehr unterwegs ist. Aber Radwegbau ist nicht allein die Lösung. Entscheident scheint zu sein, wohin die gesamte Infrastruktur die Augen des Autofahrers lenkt, und ob er seine Aufmerksamkeit auf querende Radfahrende richten muss oder eben nicht. 
Ich vermisse schon lange Studien dazu, wohin Autofahrende eigentlich gucken, wenn sie fahren, und warum sie manches überhaupt nicht sehen, zum Beispiel Verkehrszeichen oder Stadtbahnen

Die AZT-Studie listet die Häufigkeit und Art der Unfälle im Kreuzungsverkehr auf (S.62). Demnach kommt es am häufigsten zu Radunfällen, wenn der Autofahrende dem von rechts auf einem Radweg kommenden Radler Vorfahrt gewähren müsste, es aber nicht tut (15 Prozent), nimmt man die Missachtung der Vorfahrt eines von links auf einem Radweg kommenden Radler noch dazu, erhöhen sich die Unfälle durch Missachtung der Vorfahrt durch den Autofahrer/in auf 22 Prozent, gefolgt vom klassischen Abbiegeunfäll mit einem Radler auf einem Radweg (9,2 Prozent). Kurzum: wenn wir auf Radwegen einem Autofahrer in die Quere kommen, dann ist unser Risiko am höchsten. Radwege sind also wirklich nicht immer die sichersten Radführungen.


An solchen Abbiege-/Einbiege- und Kreuzungsunfällen sind verschiedene Fahrradtypen verschieden oft beteiligt, auch wenn die Datenlage hier unvollkommen sein dürfte, weil die Polizei vermutlich nicht immer den Radtyp notiert. Sportfahrräder fuhren überdurchschnittlich häufig ohne ausreichende Beleuchtung. Dass bei diesen Unfällen die Pedelecs unterdurchschnittlich vertreten sind, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Pedelec-Radlende überdurchschnittlich oft Alleinunfälle haben. Und auf Herrenfahrrädern sitzen auch Frauen und auf Damenfahrrädern auch Männer (S.64). 

Ältere Menschen verunglücken nicht mehr, aber öfter tödlich mit dem Fahrrad als jüngere. In Deutschland waren 2020 unter den Getöteten über 59 Prozent älter als 65 Jahre und unter den Schwerverletzten machten sie 28 Prozent aus, obgleich sie oftmals gar nicht so viele Kilometer radeln wie jüngere (ihr Bevölkerungsanteil liegt bei 21,5 Prozent). Betrachtet man aber auch die Unfälle mit Leichtverletzten, verringert sich der Unterschied zu Jüngeren, die demzufolge nicht weniger Unfälle erleiden als Ältere, sie gehen nur glimpflicher aus. 

Schulkinder verunglücken auf dem Schulweg am ehesten mit dem Fahrrad (48) und als Mitfahrer:innen im Auto (16,3 Prozent). Aber Kinder sterben im Auto, nicht in oder auf einem Lastenfahrrad. Auch wenn uns der Transport von Kindern im Lastenrad (vor allen, wenn wir im Auto sitzen) irre gefährlich erscheint, ist er das nicht. Im Jahr 2019 starb in Deutschland kein einziger Mitfahrer auf/in einem Fahrrad, aber 13 Kinder als Mitfahrer:innen in einem Auto. Von 554 schwerverletzten unter 6-Jährigen saßen 506 in einem Auto, 19 auf einem Normalfahrrad und eine/r auf einem Pedelec. Allerdings liegt das auch daran, das die Kinderbeförderung im Lastenrad lange nicht an die Masse der Beförderungen im Auto herankommt. In Pkw machen Kinder nur 6 Prozent der Unfallopfer aus, auf Fahrrädern als Mitfahrende aber bereits 50 Prozent (S. 57 der Studie). 

E-Sooter im Straßenverkehr - eine verheerende Bilanz. Von 2020 auf  2021 erhöhte sich die Zahl der mit E-Scootern Verunglückten um 153 Prozent von gut 1.500 auf 4.000 (S.60). Die Hälfte sind Alleinunfälle, in über 70 Prozent waren die S-Scooterfahrer:innen schuld. Sie fahren zu oft auf Gehwegen, oder betrunken. Von denen, die Fahrrad fahren, nutzen nur 3 Prozent gelegentlich einen E-Scooter, bei den Pedelec-Radler:innen sind es 6 Prozent. Wie viele auf einen E-Scooter steigen, die nie oder nur selten Rad fahren, ist nicht bekannt. Die meisten (70 Prozent) sind zwischen 18 und 44 Jahre alt, die meisten davon zwischen 25 und 34. 

Helme nützen. Der Autor der ATZ-Studie befürwortet eine Helmpflicht für E-Scooter-Fahrer:innen und Pedelec-Radelnde. In Deutschland sind zu 50 Prozent Kopfverletzungen für tödliche Unfälle verantwortlich, der Anteil liegt deutlich über dem der Zufußgehenden und Pkw-Fahrenden, so die Allianz-Studie. Eine genauere Analyse ergibt, dass ohne Helm Kopfverletzungen um das 2,5-fache häufiger sind. In Deutschland tragen etwa 26 Prozent der Radler:innen außerorts und 23 Prozent innerorts einen Helm, bei den Älteren sind es schon rund 43 Prozent. Die Helmquote steigt derzeit um 1 Prozent pro Jahr. Aus der Schweiz und aus Österreich weiß man, dass während der Coronazeit Menschen aufs Fahrrad stiegen, die auch Helm trugen (S.52) Eine Metanalyse (Høye 2018: Bicycle Helmets - to wear or not to wear) zeigt, dass sich Fahrradhelme Kopfverletzungen um 48 Prozent und schwere Hirnverletzungen um 60 Prozent und die Zahl der Getöteten um 34 Prozent verringern können. Mit anderen Worten, Helme verhindern 6 von 10 schwere Kopfverletzungen (S.53). Bei Hals- und Gesichtsverletzungen gibt es keinen statistisch signifikanten Unterschied. Radfahrende hatten 2015 gegenüber Fußgänger:innen ein 1,85-fach höheres Risiko an einer Kopfverletzung zu sterben, auch gegenüber Motorrad und Pkw-Nutzer:innen war das Risiko höher. 
Es gibt auch Unterschiede je nach Fahrradtypen. Nachts verunglücken mehr Radler:innen ohne Helm, unter den 18 bis 24-Jährigen sind es ebenfalls mehr als beispielsweise unter den Sportradler:innen. Auch etliche Mountainbiker verunglücken ohne Helm. 

Rund 70 Prozent der Deutschen würden eine Helmpflicht akzeptieren, die Pedelec-Radler:innen sogar zu 85 Prozent. Nicht belegen lässt sich wohl die These, dass eine Helmpflicht vom Fahrradfahren abhalte, die statistischen Grundlagen sind nicht ausreichend, was auch für die von mir gern angeführte australische Studie von Robinson gilt. Derzeit lässt sich also nicht sagen, ob weniger Menschen mit Pedelecs radeln würden, wenn es für Pedelecs eine Helmpflicht gäbe. Bei E-Scootern scheint mir das gewiss, denn die Verleiher müssten mit den Scootern auch Helme verleihen oder die Nutzer:innen müssten mit Helmen unterwegs sein. Und auch Pedelec-Verleih-Systeme müssten das Problem lösen, dass mit dem Pedelec ein Helm ausgeliehen wird.

Beim Motorradfahren sind Helme als Schutz auch vor den Folgen von Alleinunfällen inzwischen akzeptiert. Und wir sprechen bei Motorradfahrenden auch nicht davon, dass die Straßenverhältnisse Unfälle begünstigen und verbessert werden müssten, damit es nicht zu Unfällen kommt. Wenn Motorradfahrer:innen wegrutschen oder aus der Kurve fliegen, dann waren sie ganz klar mit der Geschwindigkeit unterwegs, die man nicht angepasste Geschwindigkeit nennt. Wir neigen aber dazu, bei Fahrradunfällen die unzweifelhaft oft schlechte Bodenbeschaffenheit der Radwege mitverantwortlich zu machen. 

In Kopenhagen oder Rotterdam ist die Radsicherheit nicht wirklich besser. Auch die These, dass eine gute Radinfrastruktur das Unfallrisiko verringert, scheint wohl derzeit nicht ohne weiteres haltbar. Es ist zumindest komplizierter, als wir das gerne denken wollen. Wenn Radfahrende schnell auf einem Radweg unterwegs sein können, erhöht sich das Unfallrisiko wieder gegenüber einer langsamen Fahrt auf einem von Fußgänger:innen bevölkertem Parkweg. An Kreuzungen herrscht Gefahr durch den Autoverkehr, auf Gehwegen kommt es zu Konflikten mit Fußgänger:innen. Und je aggressiver wir als Verkehrsteilnehmende drauf sind, desto mehr eskalieren die Konflikte, wenn sich die Verkehrsarten treffen. Und irgendwo treffen sie sich immer. Wichtig für eine Stadtgesellschaft scheint zu sein, dass eine Verkehrsart nicht eine andere dominiert und mehr Wegerechte hat als eine andere. In Deutschland dominiert immer noch das Auto, gefolgt vom geförderten Radverkehr, der nun ebenfalls (wie der Autoverkehr) auf schelle und hindernisfreie Fahrt pocht: Die Fußgänger:innen haben beiden Verkehrsarten gegenüber das Nachsehen. 

Kritisch sieht der Autor auch die Radfreigabe von Gehwegen
, und zwar deshalb, weil Radfahrende daraus ableiten, dass sie überall auf Gehwegen radeln könnten. Und das erhöht die Konflikte mit Fußgänger:innen. Als 
Beispiele nennt er Kopenhagen oder Rotterdam. In den Fahrradparadiesen leiden die Fußgänger:innen unter dem Vorrang des Radverkehrs, dessen Bahnen die Fußwege durchschneiden. "Der Anteil verunglückter Radfahrer stieg von 40 Prozent aller verunglückten Kopenhagener 1999 und auf 58 Prozent 2019, was nicht allein durch den Modalshare des Rads zu erklären ist", heißt es in der AZT-Studie (S.92) Auch die sicheren Kreuzungen aus den Niederlanden, deren Bilder wir immer wieder bewundernd ansehen, müssten wohl noch evaluiert werden. Im Grunde stellt sich bei jeglicher Radführung die Frage, wie schnell die Autos unterwegs sind, wie schnell die Radfahrenden unterwegs sind und ob sie von den anderen Verkehrsteilnehmenden, deren Wege sie kreuzen, rechtzeitig erkannt werden können, wie also die Blickführung für Autofahrende ist. In den Niederlanden scheinen Radfahrende jedenfalls nicht sicherer unterwegs zu sein als in Deutschland (um die unterschiedlichen Kilometerleistungen bereinigt) (S.92). 

Verkehrsarten trennen, Zugänge beschränken, das Sicherheitsbedürfnis anderer akzeptieren. Letztlich wird man sich in einer fußgänger- und radgerechten Stadtplanung genauer überlegen müssen, wo man die Fahrräder entlang führtt und wo man sie nicht haben will und Räume dem Fußverkehr vorbehält. Genauso wie Autofahrende müssen auch Radfahrende akzeptieren lernen, dass sie irgendwo nicht fahren dürfen (was unserer Stuttgarter Autofahrer:innen nun gerade gar nicht können, die fahren überall rein, wo kein Sperrgitter steht), weil sich Fußgänger:innen dort sicher fühlen wollen. Ein insgesamt langsames Fahrtempo (auch für Fahrräder) in Innenstädten scheint unausweichlich zu sein, ansonsten müssen die Bahnen von Fußgänger:innen, Radfahrenden und Autofahrenden getrennt werden. Stoßen sie an Kreuzungen aufeinander, müssen alle Fahrgeschwindigkeiten drastisch verringert und die Kreuzungen übersichtlich gestaltet sein. 

Oder wie der Autor der AZT-Studie es formuliert: "Das Prinzip der defensiven Verkehrsbeteiligung - unbeschadet der Vorfahrt - muss stärker in das Bewusstsein zurückkehren." Also ein Miteinander, statt ein auf den eigenen Geschwindigkeitsvorteil bedachtes Gegeneinander müssten wir pflegen lernen. 


19 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die Studie und die umfassende Analyse. Ich gebe Dir und den Autoren recht, dass an manchen Stellen durchaus für den Radverkehr gesperrt bleiben sollte (bspw. Königsstraße) und dass auch angemessene Geschwindigkeiten in Fußgängerzonen eingehalten werden müssen (wobei die HRR1 durch mehrere gelegt zu haben, ist, gelinde gesagt, eine Frechheit.

    Bei der unangepasste Geschwindigkeit und Unfallursache kommt es mir so vor, dass man u.U. nicht ganz die Qualität der Wege, Längs- und Querkanten (insbesondere kleine, fast unsichtbare, die den Radweg begrenzen) berücksichtigt bei den Alleinunfällen: das ist schon die eigene Schuld, aber vor jeglichen Hindernissen dieser Art steht für Autos/Motorradfahrer eine Warntafel, Radfahrer müssen damit rechnen. Im Gegensatz zu Autos haben aber Fahrräder nicht generell Federung und Stoßdämpfer, die das Unfallsrisiko massiv reduzieren. Nicht umsonst sind kaputte Stoßdämpfer/Federn ein Grund durch den TÜV zu fallen. Deswegen wird man mit dem Fahrrad deutlich schneller ausgehoben als mit einem Auto, fährt oftmals aber noch auf den schlechteren Strecken.

    Gerne sind ja auch Auffahrten abgesenkt für Autos, während man dann für Radfahrer eine Kante in den Radweg baut; die Autos haben eine Federung.

    AntwortenLöschen
  2. Die zitierte Helmstudie ist eine Metastudie , also nur so gut wie die ihr zugrunde liegenden Einzelstudien.
    Der Zeitraum 1989 - 2017 bedeutet, dass sogar die unsägliche Thopson-Rivara-Thompson Studie drin sein könnte.
    Es gibt meines Wissens keine Studie auf Bevölkerungsniveau die einen nenneswerzen Sicherheitgewin durch Helme nachgewiesen hätte.

    Und: Diese AZT-Studie stammt von einem Versicherer. Deren Job ist, den Versicherten möglichst viel Mitschuld aufzuhalsen. Also Vorsicht.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ralph Gutschmidt25. Mai 2022 um 15:54

      Keine Sorge, ein fehlender Helm führt zu keinem Mitverschulden, nützt der Versicherung also nicht.

      Löschen
    2. Noch. Das Urteil des BGH von 2013 (VI ZR 281/13) hat ein Mitverschulden zwar verneint. Aber zwischen den Zeilen liest man: Wenn die Helmtragequote so hoch wird, das man Helmtragen als "normal" betrachtet, ist zu erwarten, das das Gericht bei einem neuen Fall anders entscheidet. Und wenn eine Versicherung glaubt, diese Schwelle ist erreicht, wird es einen neuen Fall geben.

      Löschen
  3. Du schreibst von unverschuldeten und verschuldeten Unfällen. "Schuld" ist eine juristische Kategorie. Ich vermute, es geht um die polizeiliche Ersteinschätzung: Das wären "nicht selbst verursachte Unfälle" und "selbst verursachte Unfälle"? Ich finde die Unterscheidung wichtig und halte es auch für fragwürdig, wenn die Polizei in Pressemeldungen Schuldzuweisungen vornimmt ("... hat übersehen ...", "... hat missachtet ..."). Zumal, wenn die Ermittlungen noch laufen: Besteht da nicht die Gefahr einer Zeugenbeeinflussung?

    Eine Frage wäre, was die Kriterien für "Ursache" sind. Hier kriegt der Radfahrer(!) ein Verwarngeld von 55 Euro:
    https://twitter.com/StgtMartin/status/1451489062750142464
    https://twitter.com/StgtMartin/status/1451506974709927942

    Das steht vermutlich als vom Radfahrer verursacht in der Statistik? Deutlicher kann die Behörde dem Autofahrer auch kaum signalisieren, daß seine Fahrt korrekt ist. Das steht im krassem Gegensatz zu Deinem letzten Abschnitt:
    "Oder wie der Autor der AZT-Studie es formuliert: "Das Prinzip der defensiven Verkehrsbeteiligung - unbeschadet der Vorfahrt - muss stärker in das Bewusstsein zurückkehren." Also ein Miteinander, statt ein auf den eigenen Geschwindigkeitsvorteil bedachtes Gegeneinander müssten wir pflegen lernen."

    AntwortenLöschen
  4. Das Thema Alleinunfall sollte mal mal näher untersuchen. Wer in Schienen gerät und stürzt ->Alleinunfall, verursacht aber durch Infrastruktur (ist hier auch schon mehrfach passiert). In Heidelberg gab es mal einen spektakulären Fall. Ein Radfahrer ist an einer Kante zwischen Rad- und Fußweg bei einem Ausweichmanöver gestürzt, war schwer verletzt, wollte von der Stadt Schmerzensgeld. Polzei: Alleinunfall, Kante kein Unfallschwerpunkt, warst halt ungeschickt. Veröffentlichung in der Zeitung-> 30 Rückmeldungen, alle auch gestürzt, z.T. auch verletzt, aber ohne Meldung bei der Polizei. Also Alleinunfall und verursacht durch Infrastruktur- Ergebnis:Kante wurde abgeschliffen, seitdem gab es dort keine Alleinunfälle mehr.
    Gerade Straßenbahnschienen sind mordsgefährlich. Es gibt da doch auch Sicherungssysteme siehe z.B.: https://seal-able.com/velogleis
    Da könnte man schon viel Sicherheit erzeugen, gerade an Stellen, wo Radfahrer neben oder zwischen den Schienen fahren müssen. Dann gäbs da auch keine "Alleinunfälle" mehr.
    Wie sieht es denn aus mit Unfällen an Schaglöchern, Kanten, schiefen Verkehrsschildern, mangelhaften Baustellen, in Wege ragende Baustellenfüße (selbst schon fast gestürzt), mangelhafte Umleitungsführungen mit Kanten, Absätzen etc. im Weg. Oder auch der Radfahrer, der im Graben gefunden wurde, ohne Unfallbeteiligten oder auch Unfallflüchtigen, oder abgedrängt?
    Bei Sturz alles Alleinunfall, obwohl sehr wohl durch Fremde verursacht. Mich würde wirklich mal interessieren, was die Ursache solcher Alleinunfälle ist.
    Und bei diesem Infrastrukturverursacher-Anteil sollte sich sicherlich auch etwas machen lassen.
    Karin

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Infrastruktur kann nie Ursache sein, weil es diese Option auf dem "standardisierten Unfallerfassungsbogen" gar nicht gibt, ab etwa 41:20:
      https://vdmo.clubdesk.com/?b=1000222&c=ND1000026

      Löschen
    2. Dann sollte man das mal schleunigst einführen. Wie soll denn eine Unfallstatistik gescheite Auswertungen ermöglichen, wenn man nicht gescheit differenzieren kann.
      Karin

      Löschen
  5. Jörg
    Das die Fußgänger weniger Schuld haben als Radfahrer wundert mich bei den hunderten Kilometer Radwegen die eigentlich Fußweg Rad frei sind nicht.

    AntwortenLöschen
  6. Jörg
    Es gibt eine laufende Studie zu Radiunfällen und beinahe Unfällen. Einen beinahe Unfall habe ich schon melden müssen. Christine hatte auf die Studie hin gewiesen.
    Ja wir brauchen Radproffessuren und Studien.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Radprofessuren = auf die lange Bank schieben.

      Löschen
    2. Ketzerische Frage: Will man da auch (Beinahe-)Unfälle erfassen, die Radfahrer auf "sicheren Radwegen" haben, weil Autofahrer sie dort "übersehen". Oder nur (Beinahe-)Unfälle , wo Radfahrer auf der "gefährlichen" Fahrbahn zu eng überholt werden ?

      Löschen
    3. Jörg
      Wenn ihr Ungeduldigen und Nörgler "Studie = lange Bank, Wir wissen sowie schon was der Professor raus kriegt" in die weiterführenden Schulen des Stuttgarter Umlands kommt und dort die Schüler überzeugt ihre Autos ab zu geben, dann seid ihr gut. Wenn ihr das nicht schafft haltet bitte das Tempo der Gesellschaft aus. Untereinander sich über das Tempo einer Verkehrsumstellung zu streiten bringt wenig. Überzeugt die Autofahrer bzw. erlangt die Meinungshoheit, noch sagen mir Auzubis "In Stuttgart nehmen sie Autospuren weg, Ich habe da noch keinen Radfahrer gesehen." Das will ich nicht mehr hören müssen. Bitte bearbeitet die Leute ausserhalb der Peer Group und bestätigt die Aktivin innerhalb der Gruppe.

      Löschen
    4. "Bitte bearbeitet die Leute ausserhalb der Peer Group".

      Ganz genau. Es gibt keine Lorbeeren dafür und es fährt kein Rad mehr und kein Auto weniger auf der Straße, nur weil hier ein motziger Kommentar an die falschen Adressaten geschrieben wird. Ich verstehe gut, wenn es Jörg nervt.

      Löschen
    5. "ihr Ungeduldigen und Nörgler"
      Ich engagiere mich seit Jahrzehnten für den Radverkehr...

      Löschen
  7. Alle "Studien" zu Helmen basieren auf Fiktion, auf Gefühlen, aber nie auf nachweisbare Tatsachen. Und Alleinunfälle gibt es eher wenige, in der Tat wird dem Radfahrer ein Fahrfehler unterstellt, wenn dieser an der schlechten Infrastruktur scheitert. Dazu gehören auch die unzähligen Poller, die auf den Wegen stehen- gern auch unmarkiert und an unübersichtlichen Stellen.

    AntwortenLöschen
  8. "Das Prinzip der defensiven Verkehrsbeteiligung - unbeschadet der Vorfahrt - muss stärker in das Bewusstsein zurückkehren." Das ist ein schöner Satz, der alle SUV Monstertruckfahrer nur ein Lächeln entlocken, während ist mit einer kleinen Fussbewegung den Kick-Down betätigen, um noch schnell vor dem Radfahrer rechts abzubiegen. Nun sollen also die Zweiradopfer ermahnt werden, sich doch bitter der Gewalthierachie unterzuordnen. Wo bleibt der AZT Hinweis, Gefahren aus dem öffentlichen Raum, z.B. 3 Tonnen-PRIVAT-Monster zu verbieten? Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! Aber das heisse Eisen fasst man nicht an sondern belehrt die Opfer. Da passen das "Tote-Winkel-Märchen" und Helmpropaganda ja gut rein. Privat-Autobesitz in dieser ausgeufferten, alles dominierenden und unregulierten Form ist definitiv nicht mehr mit Artikel 1 und 2 des GG vereinbar. Die Geister, die man rief sind nicht zu bannen und man traut es sich auch nicht. Das Recht des Stärkeren wird durch solche Studien, die Ursachen nicht bei Wurzeln packen wollen, nur weiter zementiert.

    AntwortenLöschen