8. April 2023

Radfahrende müssen viel zu lang und oft an Ampeln warten

Dieses Schild hat die UG Raumpflege am Charlottenplatz auf eine Verkehrsinsel neben den Radstreifen gepflanzt. 

Gefühlt zehn Minuten braucht man, bis man über die vielen Verkehrsinseln drüber gelaufen oder geradelt ist. Na ja, nicht ganz. 

Das Schild war aber Anlass, mir die Ampelschaltungen für Radfahrende (und Fußgänger:innen) genauer anzuschauen. Ich habe ziemlich freihändig mit der Stoppuhr gemessen, wie lange ich zu Fuß oder mit dem Fahrrad brauche, bis ich drüben bin. Während die abbiegewilligen Autofahrenden längstens 53 Sekunden warten, bis es wieder Grün wird, war die kürzeste von mir gemessene Übergangszeit 1:50 Min. und die längste 2:48 Min. Wir müssen zwei bis drei Mal so viel Zeit investieren wie Autofahrende, um über die Kreuzung zu kommen, und dabei zwischen ein und drei Mal anhalten und neu anfahren.  

Die Geradeausquerung dauert fast 2 Minuten: Eine übliche Fahrradstrecke ist Esslinger Straße, am Parkhaus und dem Café Nast vorbei bis vor zur Ecke, wo das Hochhaus steht, und dann rüber zur Ecke Holzstraße/Auslandsinstitut. Für die Überquerung von zwei Verkehrsinseln braucht man ab Start der Rotphase und bis es überall Grün geworden ist rund 1 Minute und 50 Sekunden. 

Wenig Platz ist dann auch oft auf den Verkehrsinseln, denn es fahren viele Radler:innen hier in beide Richtungen. Obgleich die Stadt türkisfarbene Teppiche markiert hat, erkennen viele Fußgänger:innen noch nicht, dass sie auf dem Radwegteil der Furt stehen und gehen. Übrigens werden an der Holzstraße dann mehr Fußgänger:innen als Radfahrende ungeduldig und gehen bei roter Ampel. 

1:45 Min. an der Planie
: Eine weitere übliche Strecke ist die zwischen Holzstraße und Schlossgarten (Akademiegarten) über die Planie (Hauptradroute 1). Hier sind immerhin weniger Fußgänger:innen unterwegs. Die Ampelschaltungen variieren etwas. Manchmal schafft man es über die nächste Verkehrsinsel, manchmal nicht. Richtung Akademiegarten dauert es ungefähr 1:30 Min. bis man ganz drüben ist, in Gegenrichtung ungefähr 1:45 Minuten (das kann aber auch mal schneller gehen). Da sich die Abfolge der Grünphasen vom Akademiegarten Richtung Holzstraße am Fußgängertempo orientieren, muss man mit dem Fahrrad entweder auch auf der zweiten Verkehrsinsel anhalten oder eben Schrittgeschwindigkeit fahren (4 km/h), wenn man nicht anhalten will. Den Trick kennen alle, die hier öfter fahren. Start-Energie braucht man bei beiden Versionen. Die Verkehrsinsel auf der Auslandsinstitutsseite ist außerdem so schmal, dass dieses Lastenrad, das zu den eher kurzen gehört, mit dem Hinterrad noch auf der Fahrbahn steht. Die Radlerin steht hier gut anderthalb Minuten, bis sie Grün bekommt. 

Dreieinhalb Minuten zum Abbiegen. Richtig lange dauert es, wenn man abbiegen will. Würde ich zu der Phase über die Planie noch die rund 1:50 der Querung über die B14 dazu zählen, wäre jemand, der vom Akademiegarten her kommt, dreieinhalb Minuten unterwegs bis er/sie am Hochaus wäre und die Esslinger Straße weiter Richtung Leonardskirche radeln könnte. 

Wer von der Ecke Stadtpalais kommt und rüber zur Holzstraße will, braucht 2 Minuten, bis er/sie drüben angekommen ist. Und wer in Gegenrichtung vom Auslandsinstitut/Holzstraße rüber möchte zum Stadtpalais, braucht sogar 2:48 Min. (Siehe Karte unten.) 

Nur 53 Sekunden dauert die Rotlichtphase für Autofahrende, die die Charlottenstraße runter kommen und nach links in die Holzstraße einbiegen, und diejenigen, die vom Wilhelmplatz her kommen und nach rechts in die Charlottenstaße abbiegen wollen. Auf der Fahrbahn geht es also schneller. Auf dem Dreierbild oben sieht man - wenn man genau guckt - zwei Radler, die mit den Autos zusammen auf der Fahrbahn aus der Charlottenstaße in die Holzstraße einbiegen. Das ist erlaubt, denn in der Charlottenstraße gibt es kein Fahrverbot für Radler auf der Fahrbahn, und nachdem die Radwegbenutzungspflicht auf der Holzstraße aufgehoben wurde, kann man auch legal auf ihr weiterradeln. 

Meine Messungen könnten sicher präziser sein, ich erhebe keinen Anspruch auf Exaktheit, sie zeigen aber, dass wir mit dem Fahrrad bei der Überquerung der Straßen des Charlottenplatzes praktisch zu Fußgänger:innen werden und nie unter einer Minute, meistens aber zwischen anderthalb und eindreiviertel Minuten brauchen, bis wir auf einer anderen Seite angelangt sind. Was auch daran liegt, dass wir nicht wie die Autofahrenden in einem Zug abbiegen oder die Kreuzung queren dürfen, sondern immer wieder auf Verkehrsinseln anhalten müssen. 

Das Verkehrsinselhopping hat übrigens auch Vorteile. Denn an der Ampel am Wilhelmsplatz in Stuttgart sieht man, was für eine Strafe es für uns bedeuten kann, wenn man sich bemüht, uns auf einem Radfahrstreifen in einem Zug über fünf Spuren zu befördern. Dann nämlich warten wir sehr lange - sehr, sehr lange -, bis wir endlich dran sind. Nämlich 2 Minuten und 25 Sekunden. 

Die Ampel am Wilhelmsplatz ist eine echte Zumutung. Wenn man mit dem Rad die Wilhelmstraße runter kommt oder die Torstraße vom Tagblattturm her hoch fahren will und an den Ampel nwartet, denkt man irgendwann: Das machen die doch, um mir das Radfahren abzugewöhnen

Die meisten Radfahrenden, die hier regelmäßig lang fahren müssen, nehmen den parallelen Fußgängerüberweg, dessen Grünphasen nacheinander kommen und deshalb an die Rotphasen für die einzelnen Autofahrspuren gekoppelt sind. Da ist man dann in höchstens einem Drittel der Zeit drüben. Aber ich, die ich als Legalistin an der Fahrradampel warte, sehe minutenlang alle Autos aus allen Richtungen über den Platz fahren, und habe den Verdacht, dass manche Richtungen sogar zwei Mal Grün bekommen. 

Grün kriege ich dann übrigens nicht gleichzeitig mit dem rechts abbiegenden Autoverkehr der Torstraße (gut), und im Zuge dieser einen Grünphase kann ich sogar bis hoch zur nächsten Ampel an der Schlosserstraße radeln, ohne dass ein Auto von hinten kommt, dessen Fahrer Überholpanik hat. Meistens erwische ich die Grünphase an der Schlosserstraße auch noch. 

Für diesen Luxus muss ich aber geschlagene 2 Minuten 25 Sekunden an der Radlerampel an der Torstraße warten, wenn ich das Pech habe, gerade anzukommen, wenn die Radampel wieder auf Rot gesprungen ist. Kürzlich verlor eine Radlerin zehn Sekunden vorher die Nerven und schlingerte nach rechts rüber über die Fußgängerfurt. Sie hatte offensichtlich gänzlich das Vertrauen in die Ampelschaltung verloren. 

Wenn ich Pech habe und die Radampel an der Torstraße überquere, kurz bevor sie auf Rot springt, dann wird die Radampel an der nächsten Verkehrsinsel für mich Rot. Ich muss dann dort die zweieinhalb Minuten warten und kann den Fußgänger:innen zuschauen, die gemütlich bei Grün gehen, und zwar mehrmals. Ich darf aber nicht geradeaus radeln, weil von links irgendein Autoverkehr kommt und in die Wilhelmstraße am Wilhelmsplatz einbiegt, dem ich in die Quere kommen könnte. Es gibt sicherlich nicht viele Radler:innen, die an dieser Stelle nicht den Fußgängerüberweg nehmen (Was natürlich verboten ist).

Schon anderthalb Minute warten ist lang, zweieinhalb Minuten warten ist richtig lang. Gefühlt ist es noch viel länger. An der Ampel an der Torstraße habe ich wenigstens den Bordstein des Baumbeets um meinen Fuß abzustellen und einigermaßen bequem auf dem Sattel zu sitzen. Auf dem Radstreifen der Wilhelsstraße habe ich gar nichts, da stehe ich auf die Zehenspitzen eines Fußes gestützt mitten zwischen zwei Autofahrspuren oder ich gehe ganz vom Sattel runter und stehe auf beiden Füßen. Der Start aus beiden Positionen ist nie angenehm, nach so lange warten noch weniger. 

Lösung: Eigentlich müsste mab den Grünumlauf des Autoverkehrs unterbrechen und den Radfahrenden zwischendrin noch mal Grün geben. Es mag sein, dass man das deshalb nicht macht, weil dann auch die Autofahrer auf der Wilhelmstraße öfter Grün bekommen und die Strecke sich als Schleichweg etablieren könnte. Vielleicht aber wäre das auch egal und man müsste es nur wollen und sich den Kopf zerbrechen, wie man Radfahrenden auf dieser eigentlich nicht unwichtigen Strecke zwei Mal im Autoumlauf Grün geben könnte. Währe halt etwas nachteilig für den Autoverkehr, so aber ist es echt wirklich sehr nachteilig für den Radverkehr. 

Kurzum: Radverkehrsförderung geht anders. Unsere Ampelschaltungen sind immer noch für Autofahrende optimiert und verlangen von Radfahrenden ein ständiges Stopp and Go und lange Wartezeiten. 

Und das schreibt die Stadt über ihre Ampelanlagen.

20 Kommentare:

  1. Dem Gesäusel von OB Nopper neulich im Deutschlandfunk zufolge ("die Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausspielen", d.h. also volle Kanne pro Auto) wird sich das sobald auch nicht ändern.

    Anhalten/Anfahren an der Ampel (falls der/die eine oder andere Umsteiger/in es noch nicht raus hat): Rechtzeitig runterschalten, um einen kleinen Anfahrgang zu haben, aus dem Sattel, je nach Standfuß rechtes bzw. linkes Pedal nach oben, und sich beim Antreten wieder in den Sattel heben, hochschalten...

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    1. Stimmt, Marmotte, da ich mit einer Nabenschaltung fahre (weil ich das aus den Gründen, die du nennst, in einer Stadt mit vielen Ampeln für praktischer halte), habe ich vergessen zu schildern, wie blöd das mit Kettenschaltungen ist. Aber die Pedale wieder auf Antritt zu stellen und so weiter, gilt natürlich für alle Fahrräder. Danke für die Ergänzung.

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  2. .. nicht nur am Charlottenplatz sind die Verkehrsinseln zu klein, auch am B14 Übergang neue Bibliothek zum Landtag - ein Lastenrad steht dort fast in den
    Fahrbahnen, ein Anhänger geht gar nicht! Das Schlimme daran: diese Querung ist neu.!

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    1. Und nicht nur am Charlottenplatz sind die Ampelschaltungen für Radfahrende nicht gut, ich habe halt jetzt mal den betrachtet. Bei der Ampel an der Landesbibliothek, über die ich auch schon ausführlich geschrieben habe, war halt der Platz zwischen den Autofahrspuren zu gering, um eine breite Verkehrsinsel zu schaffen. Allerdings wurden inzwischen die Grünphasen zumindest für die Zeiten außerhalb der Hauptverkehrszeit verbessert, man kommt jetzt vermehrt in einem Rutsch rüber. Wenn deine Erfahrung eine andere ist, dann schildere es mir, dann kümmere ich mich noch mal darum.

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  3. Was wäre, wenn gelten würde:
    Sie wollen uns nicht.
    Und die uns wollen, können es nicht.

    Also ich komme auf folgendes Ergebnis:
    Es sähe so aus, wie jetzt.

    Karl G. Fahr

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  4. Ich habe dazu einen Tweet bei Twitter (@micha31281963) angeheftet, der das Problem gut beschreibt und warum Fußgänger und Radfahrer überhaupt erst genötigt werden, Rotlichtverstöße zu begehen.

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    1. Wow! Darf ich darüber schreiben ohne dass du das als geklaute Idee empfindest (gebe dich als Quelle an).

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    2. ich check twitter leider nicht, und finde keine "angehefteten beitraege". kannst du vielleicht einen direkten link posten?

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    3. Das ist die Kreuzung Flachter Straße und Weilimdorfer Straße. Wer da rechtsseitig auf dem Radweg radelt und weiterfahren will, muss über Fußgängerfurten um die ganze Kreuzung herum, weil an einer der vier Kreuzungsteile der Fußgänger- und Radüberweg fehlt.

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  5. Seit dem Radentscheid wissen wir ja, das Ampeln dafür da sind, den motorisierten Verkehr möglichst schnell durch die Stadt zu leiten. Deswegen zähle ich mich als Radfahrer einfach zu dieser Gruppe, wenn es zu lange dauert. frank

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  6. Ralph Gutschmidt9. April 2023 um 11:31

    Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Rad Fahrende und zu Fuß gehende tatsächlich "rot" beachten. Zumal ich vor zehn Jahren in Karlsruhe bei einer Veranstaltung des Tiefbauamts war, wo Ampelschaltungen erklärt wurden.Es stellte sich heraus, dass das "rot" oft nur aus ideologischen Gründen erfolgt und gar nichts mit dem Verkehrsfluss zu tun hat. Denn die Ampel steht auf "grüne Welle" für Autos, daher müssen alle übrigen selbst dann warten, wenn die Straße eigentlich frei wäre.

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    1. Ich habe mal geschlagene vier Minuten an einer Fußgängerampel gewartet, weil der Autoverkehr auf Durchfluss stand, obgleich schon lange nur noch sporadisch Autos kamen.

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  7. Leider ist der Artikel intellektuell einfach unterkritisch: Als Autofahrer benötige ich i. d. R. mehrere Ampelphasen, bis ich eine Kreuzung passiert habe, vor allen Dingen als Linksabbieger. Das dauert garantiert immer länger als die im Artikel erwähnten Werte.

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    1. Hey Anonymus, an welcher der genannten Kreuzungen benötigt man als Autofahrer mehr als eine Ampelphase zur Querung? Frank

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    2. Ralph Gutschmidt9. April 2023 um 14:40

      Ich glaube, wenn meint, wenn zuviele Autos warten, dass die Grünphase dann nicht ausreicht und man entsprechend mehrere braucht.

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    3. ch glaube auch, er oder sie meint den Autostau, und dass man mit dem Auto zur Hauptverkehrszeit zuweilen nicht in eine Grünphase durchkommt. So ist das halt, wenn so viele zur gleichen Zeit Auto fahren. Und man wird es nie ändern können, denn sobald man eine Straße breiter macht und länger Grün gibt , nimmt der Autoverkehr zu und dann stehen wieder alle im Stau. Und merke: Immer wenn die eine Richtung länger grün hat, steht die andere Richtung länger bei rot. Fahrradfahren wäre da eine Lösung, denn trotz aller blöden Ampelschaltungen und Umwege, zu denen man uns zwingt, ist man mit dem Fahrrad auf 10 km immer noch schneller durch den Hauptverkehr gefahren als mit dem Auto.

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    4. Wenn das Anonymus tatsächlich so meint, argumentiert er/sie intellektuell unterirdisch… er/sie vergleicht Äpfel mit Birnen: eine strukturelle Benachteiligung mit einer temporären Überlastungssituation. Gruß Frank

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  8. Mein kleiner Protest in Stuttgart jeden Tag: ich drücke jede Fuß-/Radampel, auch wenn ich gar nicht rüber will. Es ist einfach unsäglich, dass die Default-Einstellung für "den richtigen Verkehr" eingestellt ist und ich immer dafür betteln soll. Ich höre auf, sobald es Bettelampeln für PKWs gibt. Bitte gerne auf der B10 und B27 :) manchmal mache ich so Passanten den Weg frei und sie müssen gar nicht warten. Vielleicht sollten wir noch nen stinkingen Verbrenner-Motor auf den Gepäckträger oder in den Rucksack packen, dann zieht das "Umweltargument" weniger Schadstoffe und die Ampeln schalten für uns ohne zu betteln ;) ohne Sarkasmus geht's leider nicht.

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  9. danke dir für die Statistik, Charlottenplatz ist mein täglicher Arbeitsweg. Ich glaube ich nehme mir mal die Zeit für eine Messung am Waldeck 😉

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  10. Die Perversion in der Planung des Verkehrsablaufs ist dann die Begründung, dass der emissionsfreie Verkehr mit längerer Wartezeit belegt wird, damit der emissionsbehaftete Verkehr nicht zu viel Abgas an einer Kreuzung ausstößt. So wird das berechnet, bestätigt von Dipl.-Ing. Verkehrsplanern eines Stuttgarter Büros.
    Die Ampeln und Wartezeiten sind indirekt auf das Emissionsverhalten der Verbrenner optimiert.

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