22. April 2025

Wer Auto statt Rad fährt, schadet auch sich selbst

Es gibt eine Verbindung im Gehirn zwischen  motorischen Zentren und dem wichtigsten Belohnungssystem, das Dopamin ausschüttet. Bewegung macht glücklich. 

Die Neurowissenschaften gehen mittlerweile  davon aus, dass der menschliche Geist es lohnend findet, zu gehen, zu laufen, zu radeln, zu schwimmen und so weiter. Die Dopaminausschüttung erzeugt ein enormes Wohlgefühl. Für die menschliche Entwicklung war das entscheidend, so trieb es uns, unsere Umgebung zu erkunden und Neues zu entdecken. Längst weiß man, dass Kinder besser durch Belohnung lernen als durch Bestrafung. Die Freude, etwas zu können (Rad fahren, schwimmen, rechnen) ist Ergebnis der Dopaminausschüttung, der Dopaminkick wiederum ist Antrieb, etwas zu können. Bestrafung schüttet ebenfalls Neurotransmitter aus, die aber hemmen und zwar durchaus auch die Motorik. Das zeigt uns: Tu das nicht noch mal!

Dass eine Autofahrt aus der Vorstadt zum nächsten Supermarkt oder ins Stadtzentrum glücklich macht, werden wohl die wenigsten Menschen behaupten.

Autofahren kann im Geschwindigkeits- und Lärmrausch durchaus im Gehirn Dopamin ausschütten, es gibt ja Leute, die leidenschaftlich gern Auto fahren, aber das dürfte für Alltagsfahrten zu Alltagspflichtzielen nicht unbedingt gelten. Viele Menschen erleben ihre Abhängigkeit vom Auto negativ, manche haben sogar zuweilen ein schlechtes Gewissen, weil sie sich eigentlich lieber umweltgerechter verhalten würden. Womöglich hemmt auch das - wie jegliches negative Gefühl - den Entschluss, es mit dem Fahrrad doch mal zu versuchen. Dass Rad fahren schöner ist als Auto fahren, merkt man erst, wenn man es regelmäßig tut. Die Begründungen, warum sie nicht Rad fahren oder ihre Kinder nicht mit dem Rad zu Schule fahren lassen, greifen fast immer aufs Sicherheitsargument zurück. Radfahren sei zu gefährlich, besonders für Kinder. Die Medien tun auch alles dafür, dass Radfahren als besonders gefährlich (verglichen mit zu Fuß gehen oder Autofahren) dargestellt und empfunden wird. Also setzt man die Kinder ins Auto und karrt sie zum Kindergarten oder zur Schule. Positive Gefühle entwickelt bei dieser Fahrt keine:r der Insass:innen. Die Motorik der Kinder wird eher gehemmt, als angeregt. Sie taumeln dösig ins Klassenzimmer, der chauffierende Elternteil ärgert sich über andere Elterntaxis und rote Ampeln oder die Sperrung der Zufahrt als Schulstraße. 

Aber Radfahren ist gar nicht so gefährlich. Für Kinder ist es sogar gefährlicher, im Auto zur Schule gebracht zu werden, als mit dem Fahrrad zu fahren oder zu Fuß zu gehen. Aus einer Statistik zu Kinderunfällen im Straßenverkehr geht hervor, dass knapp 38 Prozent der Kinder unter 15 als Insassen in einem Pkw zu Schaden kamen (meist Kinder unter sechs Jahre, die am häufigsten chauffiert werden). 35 Prozent kamen auf dem Fahrrad und knapp 22 Prozent zu Fuß zu Schaden. Das Elterntaxi ist also riskanter als Rad zu fahren oder zu Fuß zur Schule zu gehen. Jungs sind als Radfahrer allerdings stärker gefährdet als Mädchen. Fast 70 Prozent der verunglückten jugendlichen Radfahrer (unter 15) waren Jungs. Dagegen ist es für Mädchen riskanter, im Auto gefahren zu werden. Hier zeigt sich, dass Eltern offenbar Söhne mehr mit dem Fahrrad fahren lassen als ihre Töchter, die eher chauffiert werden, und dass Jungs draußen im Straßenverkehr tendenziell risikobereiter und weniger vorsichtig sind. Das Sicherheitsargument ist also nicht belastbar. 

Und wir wissen ja auch ganz genau: Kinder, die sich bewegen, sind ausgeglichener und besser in der Schule, und auch wir selber würden uns wohler fühlen, wenn wir zwanzig Minuten zum Einkaufen oder zur Arbeit geradelt wären, vor allem bei Kälte. Dass wir es nicht tun, uns nicht dazu überwinden können, erzeugt schlechtes Gewissen und Unzufriedenheit mit uns selbst. Ein Teufelskreis, denn Unzufriedenheit führt selten zu befreienden Entscheidungen, sondern eher zu allgemeinem Lebensfrust. Statt im Alltag zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren, suchen wir dann Fitnessstudios auf oder betätigen uns sportlich, gerne auch im Wettkampf, schließlich ist Dopamin im Hirn ja unser Ziel. 

Dass wir Erwachsenen uns selber schaden, sei uns hier jetzt mal egal, aber der Schaden für die Kinder ist nicht egal, die ihre körperlichen Fähigkeiten gar nicht mehr richtig entwickeln dürfen, weil sie im Auto zur Schule gefahren werden, denen die soziale Interaktion auf gemeinsamen Schulwegen fehlt, die nichts mitkriegen von der Umgebung, in der sie leben, die vom Mangel an genügend Tageslicht kurzsichtig werden. Sie sind Gefangene der Angst vieler Eltern, ihnen könne was passieren, wenn sie nicht dabei sind und aufpassen, wenn man sie also zu Fuß oder per Fahrrad auf den Schulweg und zum Sportverein schickt. Kinder müssen sich aber auch mal weh tun, damit sie lernen, Gefahren selbst richtig einzuschätzen. Und zwar so früh wie möglich, damit sie in ihrer nach Unabhängigkeit strebenden Jugend dann auf Erfahrungen zurückgreifen und Risiken besser abschätzen können. 




2 Kommentare:

  1. Kurz, wir sind physische Wesen in einer physischen Welt, und soziale Wesen in einer sozialen Welt, und jeder Versuch sich von der einen oder anderen zu entfernen und zu isolieren, führt in die Katastrophe.

    AntwortenLöschen
  2. Mag sein, dass Jungs risikobereiter sind. Aber das sollte eine fehlertolerante Infrastruktur abfangen. Hier in meinem Umfeld ist das nicht so.
    christo.

    AntwortenLöschen