1. Februar 2019

Nur ein Auto auf einem Radweg bringt die ganze Radförderung in Misskredit

Kürzlich habe ich beschrieben, wie sich unsere etwas enge und kümmerliche Radinfrastruktur für mich anfühlt. Eine moderne Radinfrastruktur taugt für alle von 8 bis 80 und macht das Radfahren angenehm. 

So kann sie aussehen. Das Foto stammt von einer Fachtagung des ADFC im vergangenen Jahr zum Thema einer zukunfstweisenden Infrastruktur fürs Fahrrad, wie sie beispielsweise die Stadt Vancouver binnen kurzem auf die Straße gebracht hat. Die Radwege sind breit, verlaufen entlang der Hauptverkehrswege, sind aber durch Poller, Bordsteine oder Grünstreifen vom Autoverkehr getrennt.  Autos können sie nicht mitbenutzen. So fühlen sich Radfahrende sicher. Das scheint entscheidend dafür zu sein, ob sich die zögerlichen 60 Prozent der Bevölkerung trauen, in ihrer Stadt die mehr oder minder kurzen Alltagswege mit dem Fahrrad zu machen.

Ich habe schon öfter gesagt, dass wir in Stuttgart eine zudem immer noch sehr lückehafte Radinfrastruktur nur für die routinierten Radfahrenden haben, für junge Männer, die den Konflikt mit dem Autoverkehr nich scheuen, für geübte Frauen (wie mich), die viel Erfahrung haben und wenig Angst, sich den Verekhrsraum mit Autos zu teilen, oder für junge sportliche Menschen. Aber sie ist zu mindestens 90 Prozent ungeeignet für Jugendliche, für die immer noch mehrheitlich mit dem Einkaufen und dem Kinder-weg-bringen betrauten Frauen, für ältere Menschen, die sich nicht ständig neu orinetieren können, für Menschen die keine Lust auf den Stellungskampf mit dem Auto haben, und schon gar nichts für die Menschen, die den Autoverkehr für unberechenbar und gefährlich halten (und ihn nur im SUV durchstehen). Dort, wo wir Schulkinder über freigegebene Gehwege oder ein paar Meter Radweg leiten, setzen wir sie der Gefahr aus, von Rechtsabbiegern erwischt zu werden, eine Gefahr, der sich die Radwegradler oft gar nicht bewusst sind, vor allem nicht Jugendliche.

Typisches Samstagsbild auf der HRR1 Marktstraße
Eine moderne Radinfrastruktur muss Autofahrende unbedingt und stets wirkungsvoll daran hindern, sie mitzubenutzen. 

Nicht nur auf Radstreifen fahrende Autos, auch und vor allem parkende Autos machen die gesamte Radinfrastruktur unnutzbar für alle, die Radfahren für gefährlich halten. Über solche Radfstreifen schicken Eltern ihre Kinder nicht mit dem Fahrrad zur Schule.

Ein einziger Autoreifen, der auf einem Radzeichen steht, macht alle Chancen zunichte, dass die Radinfrastruktur von denjenigen akzeptiert wird, die wir gewinnen wollen. 

Wir streiten oftmals in Bezirksbeiräten und Ausschüssen, über die Frage, Radstreifen, Radweg oder Sicherheitsstreifen. Wo ein Streifen geplamt wird, fordert der Bezirksbeirat einen Radweg oder eine Alternativstrecke, wo ein Radweg beibehalten werden soll (entlang geparkter Autos), kämpft der Bezirksbeirat für Radfahrstreifen oder eine Alternativstrecke. Die Hauptradorute 2 hat eine Schleife von zwei Jahren gedreht, weil der Konflikt Radstreifen-Parkplätze zunächst unlösbar schien und einige Radler eine Alternativstrecke forderten. Die Sehnsucht nach Alternativstrecken durch winkelige Wohngebiete oder unbeleuchtetete Grünstrecken offenabrt die Mängel unserer Radinfrastruktur. Nichts ist gut. Es ist alles nur ein Kompromiss unter der Vorersschaft des Autos, mit jeweils so vielen Nachteilen, dass Radfahrende ihm nicht zustimmen mögen oder können, egal, wie der Vorschlag aussieht. 

Es ist immer eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Eigentlich wollen wir nämlich endlich eine moderen Radinfrastruktuir, die uns aus den Doorinzonen raushält und den Autoverkehr davon abhält, unsere Wege mitzubenutzen, auf ihnen zu fahren oder zu parken. Wir wollen geschützte Radfahrbahnen. Wir wollen das haben, was Vancouver oder Kopenhagen hat.

Das allabendliche Bild in der Liststraße
Eine auf Zukunft ausgelegte moderne Radinfrastruktur schafft Radfahrenden Raum und nimmt diesen Raum den Autofahrenden weg, die ihn nach dem Umbau (und im Zuge des Umbaus) nicht mehr brauchen, weil immer weniger Menschen mit dem Auto unterwegs sind und immer mehr Fahrrad fahren, da  es die bequemste und zuverlässigste Art ist, in der Stadt ans Ziel und wieder nach Hause zu kommen. Kopenhagen hat uns vorgemacht, wie das geht. Die Niederlande auch, Bogotá weiß schon lange, spanische Städte können das. Nur wir nicht.

Weil der Platz zwischen den Häusern einer Stadt begrenzt ist, muss er neu verteilt werden. In Stuttgart müsste man entlang vieler Haupt- und Durchgangsstraßen die Parkplätze oder den Autos eine von zwei Richtungsfahrspuren wegnehmen. Beispielsweise an der Stresemannstraße müssten auf einer Seite die Parkplätze weg, an der Heilbronner Straße jeweils eine Fahrspur für Autos, an der Kirchheimer Straße in Sillenbuch müssten man Parkplätze wegnehmen, die Neue Weinsteige hinauf und hinunter müsste eine Fahrspur wegfallen, ebenso in der Siemansstaße und so weiter.

Dafür braucht es eine beherzte Politik, die der Stadtplanung Mut macht und mit allen betroffenen Bügerinnen und Bürgern unermüdlich und freundlich kommuniziert.

Zweirichtungsradweg Sillenbuch
Das haben wir im Moment noch nicht in Stuttgart. Unsere Radinfrastrutkturplanung und -Umsetzung fällt klein und zögerlich aus, sie beschränkt sich darauf, zwischen geparkten Autos und fahrenden Autos einen 1,85 m breiten Streifen zu schaffen, oder auch nur einen so genannten Schutzstreifen. Oder rechts neben geparkten Fahrzeugen und Gehweg einen Radweg hinzupflastern, über den Aus- und Einfahrten führen, auf denen der Sperrmüll liegt oder Laub und Schnee oder Bauwerkzeuge. Oder einen immer schmaler werdenden Fußweg als gemeinsamen Rad-/Gehweg auszuweisen. Das ist unbefriedigend und hat zurecht 35.000 Unterschriften unter den Radentscheid gebracht, damit es endlich schneller und größer vorangeht.

Doch noch haben wir die politischen Mehrheiten nicht für eine moderne und zukunftsträchtige Radinfrastruktur. Aber am 26. Mai sind ja Kommunalwahlen, da wird der Gemeinderat neu gewählt.

Übrigens brauchen wir  für eine moderne Radinfrastruktur auch gesetzliche Regelungen, die nicht nur Standards festlegt, sondern auch Flexibilität und Sonderwege bei der konkreten Umsetzung erlaubt, wenn die örtlichen Gegebenheiten kompliziert und schwierig sind. Wir brauchen eine lebendige Freundlichkeit in den politischen Ebenen und den Verwaltungen dem Fahrradverkehr gegenüber, dem Willen, es dem Radverkehr vor allem in den Städten so bequem so machen, wie man es seit hundert Jahrem dem Autoverkehr gemacht hat. 

Hätten wir in Stuttgart eine Radinfrastrutkur, die auch die Zögerlichen einlädt, wäre es bei uns niemals zu Dieselfahrverboten gekommen, denn der Autoverkehr hätte bereits um zwanzig Prozent abgenommen, einfach, weil viele Menschen gemerkt hätten, dass Radfahren praktischer und schöner ist. Der Radverkehr rettet die Innenstädte und zugleich die Auto-mobilität derrer, die aufs Auto angewiesen sind.

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