1. April 2019

Schlechte Radinfrastruktur als Unfallursache Nummer 1

Die Unfälle mit Radfahrenden nehmen zu. Auch die Zahl der Radfahrenden nimmt zu. Über die Unfälle haben wir genaue Zahlen, über die größer gewordene Zahl der Radfahrenden nicht. 

Wir sehen, dass das Mehr an Radfahrenden in Stuttgart für den Effekt der Sicherheit durch Menge (Safety in Numbers) noch nicht reicht. Dieser Effekt bedeutet, dass ab einer gewissen Menge von Radfahrenden die Autofahrenden so sehr an sie gewöhnt sind, dass sie auf sie achten. Im Verhältnis zur Zahl der Radfahrenden sinken dann die Unfälle. Das ist beispielsweise in den Niederlanden so. Oder in Münster, wo Einheimische genau wissen, wie sie mit Radlern umgehen müssen. Eine Radfahrerin aus Münster erzählte mir, dass sie bei kritischen Begegnungen guckt, ob das Auto ein auswärtiges Nummernschild hat, dem begenet sie dann misstrauischer.  Bei uns ist die Radinfrastruktur mit dem wachsenden Radverkehr nicht annähernd mitgewachsen.

In Stuttgart fehlt die Radinfrastruktur fast völlig, die Radfahrende vom Autoverkehr trennt.
Radler werden in den Stellungskampf mit Autos geworfen oder auf die Gehwege abgedrängt (die mal erlaubt sind, mal nicht), wo sie dann in Konflikte mit Fußgängern kommen. Selbst in den Fahrradstraßen geht es zuweilen vonseiten der Autofahrer aggressiv zu. Wir haben zahlreiche Bordsteine und Stadtbahnschienen, die wir überqueren müssen. Und Leute stoßen  Autotühren auf und bringen Radfahrende zu Fall. Die Enge zwischen parkenden Autos, Gehwegen und knapp überholenden Autofahrenden stellt hohe Anforderungen an Radfahrende, an deren Nervenstärke, Übersicht und Reaktionsvermögen.

Die beiden Stuttgarter Zeitungen meldeten  jedenfalls vor ein paar Tagen, dass es in Stuttgart im vergangenen Jahr 532 Radfahrende in Unfälle verwickelt waren (bei einem war ich Zeugin), plus 98 Pedelec-Fahrende, also insgesamt 630. Wie viele zu Tode kamen, sagt der Artikel nicht: ich weiß von zweien. Der Fokus wird auf die Pedelec-Fahrenden gelegt, wobei wir nicht erfahren, um wieviel Prozent die Pedelecs zugelegt haben in Stuttgart, sehr wohl aber, dass die Unfälle mit diesen Rädern in Stuttgart um 66 Prozent gestiegen sind (im Land um 45,1 Prozent). Insgesamt stieg die Zahl der Radfahrenden, die in Unfälle verwickelt waren in Stuttgart um 19 Prozent (Land, 8,5 Prozent).

Die Zeitungen zitieren die Chefin der Verkehrspolizei mit der Aussage, Pedelecs würden nicht mehr nur von Älteren in der Freizeit genutzt, sondern auch von Jüngern und sportlicheren auf ihrem täglichen Weg zur Arbeit, also im dichten Stadtverkehr.  

Dürfen wir daraus schließen, dass der "dichte Stadtverkehr" der Hauptgrund ist für eine Zunahme der Fahrradunfälle?
Also Autofahrende, die Radfahrenden den Platz nicht einräumen wollen, die sie auf Gehwege weghupen, die an Schutzstreifen ellbogeneng an Radlern vorbeihobeln beim Abbiegen nicht sehen oder bei Rot über eine Ampel gefahren sind und dabei einen Radler erwischt haben. Offensichtlich ist unsere Stadt für Radfahrende so schlecht eingerichtet, dass sie in Bedrängnis geraten. Darüber berichten die Zeitungen leider nicht.

Ein Radfahrer starb im vergangenen Jahr, weil er auf abschüssiger Straße das Gleichgewicht verlor, an schweren Kopfverletzungen, die er sich mit Fahrradhelm zugezogen hatte. Warum er das Gleichgewicht verlor, ist unklar, vielleicht wich er einer sich öffnenden Autotür aus oder einem Schlagloch. Vielleicht auch nicht. Rund die Hälfte aller Radlerunfälle werden in den Statistiken als Alleinunfälle geführt: 53 Prozent bei Normalrädern und (Achtung!) nur 44 bei Pedelecfahrenden! Offenbar radeln die älteren Herrschaften und jüngeren Berufspendler doch vorsichtiger und vorausschauender als Normalradler. Was aber auch bedeutet, dass gerade Pedelecfahrende öfter als Normalradler von Autofahrenden angefahren werden.

Schwierige Straßenverhältnisse bringen vor allem Radfahrende in kritische Situationen.  Offene Aggressionen durch Autofahrende sind nicht selten. Das Auto wird als Waffe eingesetzt.

Eine Radfahrerin (mit Helm) schwere Kopfverletzungen zu, weil sie mit dem Vorderrad in die Stadtbahnschienen geraten war. Das war in der Hausmannstraße bergab, wo man als Radler vom rechten Rand in die Mitte der Schienen wechseln muss. Ich war selbst Zeugin, als ein Taxifahrer das Haltesignal eines Polizistien (der den Verkehr regelte) missachtete und eine Radfahrer in auf den Kühler nahm. Er war durchgebrettert, obgleich die Ampelanlage nicht tat, was ihn hätte vorsichtig machen müssen. Das war am Olgaeck, wo es gar keine Radinfrastruktur gibt. Ich selbst bin zwei Mal fast von einem Autofahrer erwischt worden, der bei Rot noch durchgebraust war. Typische Unfälle sind auch bei das Missachten der Vorfahrt von Radfahrenden auf Radfahrstreifen vor abbiegenden Autofahrern oder wenn sie aus Sicht des Autofahrers, der aus einer Seitenstraße in eine Hauptstraße einbiegen will, von rechts einen Radweg herankommen und eigentlich auf ihrem Radstreifen Vorrang hätten. In der Sophienstraße jagte ein Lkw-Fahrer einen Radler, fuhr ihn um und beschädigte sein Fahrrad, weil er sich über ihn geärgert hatte. Solche Sachen passieren Autofahrern eher nicht, denn beim Auffahren auf ein anderes Auto erleidet das eigene auch einen Blechschaden. Beim Auffahren auf einen Radler nicht. Wir alle haben reichlich Situationen erlebt (und erleben sie fast jeden Tag), in denen Autofahrende bewusst knapp überholen, drängelnd und hupend zu dicht auffahren oder nach rechts ziehen, ohne auf uns zu achten.  

Die meisten Zusammenstöße verhindern wir durch vorasschauendes und defensives Radfahren.
Radfahrende sind grundsätzlich die besseren Fahrer/innen, sie sehen mehr, sie reagieren schneller, sie können sich besser in andere Verkehrsteilnehmer/innen (z.B. Autofahrende) hineinversetzen. Sie sind deshalb auch die besseren Autofahrer/innen, wie Bike-Bild kürzlich darstellte. Die allfällige Ermahnung der Polizei, Radfahrende sollten auch mal auf ihre Vorfahrt verzichten und für andere mitdenken, läuft ins Leere. Denn täten wir das nicht, gäbe es wesentlich mehr Zusammenstöße mit Autos, deren Fahrer uns den Weg abschneiden.

Verwirrende und ständig wechselnde Radinfrastruktur erzeugt Irrtümer.
Wir sind alledings keine Übermenschen. So manche Radinfrastruktur ist so missverständlich und unklar, dass vor allem Leute, die dort nicht täglich radeln, gefährliche Irrtümer begehen. Ich bin am Rosensteinbunker Zeugin eines Beinaheunfalls mit einer Stadtbahn geworden, weil die Radlerin sich von einem Fußgängergrün hatte verführen lassen, loszufahren, statt auf die für sie nicht sichtbare Radlerampel zu achten.
Und dieser Radfahrer ist auf der linken Seite auf dem Radstreifen der Kolbstraße gelandet, weil er nach einer Radinfrastruktur Ausschau gehalten hat. Die aber gibt es nur abwärts, aufwärts nicht.

Radfahren ist trotzdem immer noch gesünder als Autofahren.
Andererseits, wenn man die Menge an Unfällen betrachtet, die der Autoverkehr unter sich den ganzen Tag in Stuttgar prodoziert, ist Radfahren nicht das Problem. Rund 73 Autounfälle werden pro Tag im Durchschnitt in Stuttgart von der Polizei geklärt, Radfahreunfälle waren es 2018 im Durchschnitt 1,7. Das sind immer noch unverhältnismäßig viele, allerdings gehen die meisten mit leichten Verletzungen aus, vor allem übrigens deshalb, weil Raldelnde keine Knautschzone und kein Blech um sich herum haben. Das größte Risiko für Radfahrende ist aber immer noch die Luftverschmutzung, wenngleich das Radfahren an sich auch dieses Risiko mehr als kompensiert, weil es gesünder hält. Radfahrende leben im Durchschnitt 14 Monate länger als Autofahrende und Fußgänger/innen.


9 Kommentare:

  1. Anscheinend krankt es in den meisten Kommunen an denselben Dingen. Auch bei uns endet Radinfrastruktur plötzlich, ist vollkommen unsinnig ausgeschildert, sind Radweg, falls denn vorhanden, zugeparkt. Wechselt man dann auf die Fahrbahn, wird man von Autofahrern "gemaßregelt". wie kann man sich nur anmaßen, eine (potentielle) Ordnungswidrigkeit mit einer Straftat! (Gefährdung, eventuell sogar Körperverletzung) zu begegnen. Das wäre genau dasselbe, wenn Radfahrer Falschparkern eine Delle in die Tür treten. Das will ja auch keiner.
    Ich sehe, da auch viel mit dem Auto unterwegs, den Verkehr aus beiden Perspektiven. Mein Fazit, es sind unglaublich viele Idioten unterwegs, auf dem Rad und mit dem Auto. Bei jeder Fahrt kann ich anschließend etliche Stories erzählen. Da ist alles dabei, Ignoranz, Aggresivität, Unverschämtheit, mangelnde Rücksichtnahme, HANDY, HANDY, HANDY, absolute Unkenntnis von Basisverkehrsregeln bis hin zur Anwendung von Regeln, die es noch nie gab (hört man dann bei Diskussionen).
    Es hilft wirklich nur zu sehen, dass man egal wie man unterwegs ist, darauf zu achten, dass man selbst heil wieder ankommt. Auf andere sollte man sich nicht verlassen. Eigensicherung ist oberste Priorität.
    Bei den Unfallstatistiken bitte ich um Vorsicht, gerade bei und Unfallursachen. Die Polizei hat da nur begrenzt Möglichkeiten zur Angabe der Unfallursachen. Ein Auto, das beim Rechtsabbiegen einen unbeleuchteten Radfahrer erwischt, wird in der Statistik als Unfallverursache geführt. Dass der Radfahrer unbeleuchtet war, wird nciht erfasst.
    Beispiel: Kollege hat beim Linksabbiegen (mit gegenüberstehendem ebenfalls Linksabbieger) einen Rollerfahrer angefahren. Die Polizei hat ihm sofort gesagt, er sei schuld. Hätte sich kein Zeuge gemeldet, der von hinten beobachtet hatte, dass der Roller bei rot fuhr, wäre mein Kollege am Unfall Schuld gewesen, weil Fehler beim Linksabbiegen (laut Polizei).
    Für die Polizei zählt eine Aussage, den Radfahrer nicht gesehen, nicht gleichbedeutend mit "hatte kein Licht an" und es wird auch in der Statistik nicht erfasst.
    Aus Heidelberg gibt es ein Beispiel über eine Unfall mit einer schweren verletzung. Ein Radfahrer ist durch eine Kante zwischen Radweg und Gehweg gestürzt. Für die Polizei ein "Alleinunfall", der Verletzte hat gegen die Stadt geklagt, Stadt: "kein Problem, noch nie ein Unfall". Nach einem Aufruf haben sich 30! Radfahrer gemeldet, die an derselben stelle gestürzt sind, aber nicht schwer verletzt waren und damit sind die Unfälle auch nicht bei der Polizei gelandet, außerdem waren es "Alleinunfälle".
    Soviel zur Statistik. Um eine wirkliches Bild zu erhalten, müssten sehr viel mehr Details für die Statistik erfasst werden, dann würde man ein klares Bild erhalten.
    Bitte vorsicht mit Statistik.
    Gruß
    Karin

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  2. Ja, Karin, das hast du absolut recht, die Statistiken helfen uns nicht bei der Beurteilung der wahren Gründe für einen Radler-Unfall. Womöglich ist er einer Autotür ausgewichen und deshalb gestürzt, aber es sieht wie ein rätselhafter Alleinunfall aus. Sie helfen aber dann doch auch wieder, von den Einzelfällen zu abstrahieren, die verallgemeinert werden wie "alle Radler sind ohne Licht unterwegs", "alle fahren bei Rot". Letztlich ist es eben auch egal, ob ein Radfahrer mit Licht unterwegs war oder ohne, denn Fußgänger sind auch nicht mit Licht unterwegs und Autofahrende haften immer (mindestens zur Hälfte) wegen der größeren Betriensgefahr eines Autos. Autofahrende sitzen in einem schweren Panzer, mit dem sie einen anderen, einen Radfahrer oder eine Fußgängerin töten können, ohne selbst auch nur verletzt zu werden. Autofahrer sind sehr an die Berechenbarkeit anderer Verkehrsteilnehmer (in Autos) gewöhnt, weil der Autoverkehr simpel und stets eindeutig in Spuren und mit Ampeln abgewickelt wird, das ist beim Radvekehr aber nicht der Fall. Ihm fehlen oft eindeutige Regelungen und praktikable Wege. Ein Radler kann legal einem Auto von der falschen Seite vor den Kühler sausen (auf einem linksseitigen Radweg) und hat dabei Recht. Unsere Autofahrer/innen haben noch nicht gelernt, stets zu gucken, ob ein Radfahrer kommt (von hinten auf der Radspur), von rechts auf dem Radweg oder ganz woanders her. Das müssen sie aber lernen.

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  3. Das Aufdröseln nach Unfallursachen gestaltet sich immer als schwierig. Letztendlich ist es auch egal, wie jemand bei einem Unfall zu Tode kommt. Die Frage ist vielmehr, wie sich vergleichbare Unfälle vermeiden lassen.

    Eine Anmerkung zu den Radlerunfällen nachts ohne Licht: Nur etwa 20% aller getöteten Radler verunfallten in den Nachtstunden. Bei Fußgängern sind es rund 50% der Getöteten. Warum fordert eigentlich niemand eine Beleuchtungspflicht für Fußgänger?

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  4. Autofahrer müssen gar nichts lernen, jedenfalls nicht im Hinblick auf die Infrastruktur. Stand der Technik ist, dass sich das Design dem Menschen anzupassen hat und nicht umgekehrt. Man muss also eine inhärent sichere Infrastruktur schaffen, die mit den real existierenden Menschen umgehen kann, statt den ewig falschen Traum von der erfolgreichen Erziehung zu träumen.

    Münster ist in dieser Hinsicht ein abschreckendes Beispiel und kein Vorbild: Offensichtlich gibt es dort Tücken, die sich erst nach einigen Beinahe-Unfällen erschließen und die deshalb nur Ortskundigen bekannt sind. Die Infrastruktur muss aber für alle funktionieren, auch unter ungünstigen Bedingungen.

    Dass die gegenwärtige Infrastruktur diese Anforderung nicht erfüllt, liegt an ihrer einseitigen Optimierung auf den Kfz-Verkehr hin. Radwege gibt es, weil man sonst den Kfz-Verkehr zivilisieren müsste und alle spezifischen Probleme – Breite, Zustand, Stetigkeit, Konsistenz usw. – folgen daraus. Deshalb gibt es in Münster auch besonders viele davon: weil dort viele Radfahrer sind. Ampelschaltungen geben Rechtsabbiegern und Radwegbenutzern gleichzeitig Grün, weil man sonst den Anteil des Kfz-Verkehrs an der Kreuzungsnutzung reduzieren müsste (oder den Radverkehr offen unfair behandeln). Zu schmale „Schutzstreifen” gibt es, weil sie die billigste Möglichkeit sind, den Radverkehr zur Seite zu räumen. Radwege enden im Nichts, weil ihre Benutzer nachrangig sind und „der Verkehr“ also kein Problem damit hat.

    Ohne grundlegende Neuausrichtung der Entwurfsziele – Straßen müssen in der Regel radverkehrstauglich sein und solange sie es bleiben, kann man begrenzt Kfz-Verkehr zulassen – werden Forderungen nach Radverkehrsinfrastruktur nie in bessere Infrastruktur münden sondern immer nur in mehr davon mit denselben Problemen wie bisher.

    Wer wirklich etwas ändern wollte, müsste erstens jede direkte und indirekte Benutzungspflicht für Radverkehrsanlagen abschaffen und zweitens den Kfz-Verkehr zusammen mit denn verantwortlichen Ämtern konsequent für Gefahren und Unfälle zur Verantwortung ziehen.

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    1. Ich halte die Fixierung auf eine getrennte Radwegeinfrastruktur langfristig fuer die falsche Strategie.
      - Es wird ewig dauern bis ueberhaupt nicht kommen, wir brauchen die Aenderungen aber jetzt.
      - Je mehr Radler die neuen Wege benutzen, desto klarer wird die Begrenztheit. Von einem getrennten oder Hochbordradweg kann man aber nicht eben mal links ausweichen. Ergo wird entweder in den Fussgaengerraum oder gar nicht ausgewichen, beides ist nicht toll, wie in Muenster taeglich zu bewundern.
      - Ich kann es auch mal auf IT-Deutsch sagen: getrennte Radwege skalieren nicht. Da ist nichts erweiterbar. Man schaue sich mal in Berlin-Mitt das Rechtsabbiegen an. Da stehen die PkW minutenlang, bis hunderte Radler rechts vorbeigezogen sind. Als Autofahrer braucht man da schon gute Nerven.
      - Die kommenden Verteilungskonflikte sind in einer einheitlichen und nicht getrennten Infrastruktur viel besser zu klaeren. Irgendwann wird hoffentlich jede Seitenstrasse automatisch zur Fahrradstrasse. Irgendwann wird hoffentlich die Regelgeschwindigkeit stadtweit 30 km/h, Ausnahmen sind dann ein paar Ausfallstrassen, auf denen 50 km/h explizit freigegeben wird.
      - Selbst die Radstreifen mit ihren Problemen an der Schnittstelle zum Autoverkehr und zu den Parkplaetzen rechts bieten auf diesem Wege eine gute Perspektive, da sie durch den optisch eingeschraenkten Strassenraum die Geschwindigkeit der Pkw vermindern.
      - Radstreifen sind eine gute Moeglichkeit, Safety by Numbers umzusetzen. Die Radfahrer sind direkt im Blick der Autos. Der Tunnelblick der Autofahrer wird durchbrochen, weil in ihrer sonst freien Bahn Hindernisse auftauchen.
      - Radstreifen sind billig und wirken sofort. Sie muessen nur breit genug sein.
      - Radstreifen skalieren gut: wenn zu viele Radfahrer dort auftauchen, wird’s halt zur Fahrradstrasse umgebaut. Kostet ein paar Schilder, optimalerweise noch ein paar Durchfahrtsperren alle Kilometer (Beispiel: Esslingen)
      Das passt in jeden Gemeindeetat, es muss nur gewollt und angepackt werden.

      Gruss - Matthias

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    2. Ja, Matthias, im Prinzip muss es genau so laufen. Der Radentscheid hat jetzt allerdings getrennte Radinfrastruktur gefordert. Wir haben in Stuttgart so selten tödliche Radfahrerunfälle, weil wir kaum Radwege haben. Das minimiert das Rechtsabbiege-Risiko. Ich finde Radstreifen auch viel besser als Radwege, vorausgesetzt, sie sind breit genug. Letztlich muss die Fahrbahn in der Innenstadt den Radfahrenden und Fußgänger/innen gehören, Autos sind nur Gast. Eine Frage des Geldes ist das aber leider nicht, sondern eine Frage der Mehrheiten im Gemeinderat.

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    3. Vielleicht hülfe es, das Thema Infrastruktur mal konsequent auf der Ebene der Anforderungen zu diskutieren und dabei so konkret wie möglich zu werden.

      Exkurs: Anforderungen sind Ziele, die klar und spezifisch genug formuliert sind, um ihre Erreichung prüfen zu können. Sie lassen jedoch den Lösungsweg offen. Ein Beispiel ist die User Story: „Als Bankkunde möchte ich jederzeit Bargeld von meinem Konto abheben, damit ich in allen Lebenslagen spontan Alltagsgeschäfte abwickeln kann.“ Mehrere Lösungen können diese Anforderung erfüllen: ein rund um die Uhr besetzter Auszahlungsschalter, ein Geldautomat oder auch eine überall einsetzbare Plastikkarte, die das Bargeld überflüssig macht. In der Praxis hat man es mit vielen Anforderungen von verschiedenen Stakeholdern zu tun, zwischen denen es Konflikte geben kann. Die Bank würde zum Beispiel wollen, dass die Erfüllung des Kundenwunsches nicht mehr kostet, als sie der Bank einbringt; daraus und aus weiteren Anforderungen ergibt sich dann die Entscheidung gegen den Nachtschalter, für Karten und Automaten.

      Übertragen auf den Radverkehr und die Infrastruktur kämen dann erst einmal relativ abstrakte Ziele zusammen: Wir möchten sicher fahren, wir möchten uns dabei auch sicher fühlen, wir möchten bequem und ohne Umwege fahren, wir möchten nicht in vermeidbare Konflikte gedrängt werden, wir möchten nicht gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern benachteiligt werden, wir möchten von überall nach überall fahren und nicht nur auf ein paar Radrouten, wir möchten uns auch als Ortsfremde oder Umsteiger ohne besondere Radroutenplaner orientieren können, wir möchten unsere Fahrräder bequem und sicher abstellen, wir möchten nicht durch Schlamm, Scherben oder Laubhaufen fahren müssen, wir möchten Kinder aufs Rad setzen und begleiten können, und so weiter. Analog lassen sich die Anforderungen anderer Gruppen von Straßennutzern (z.B. Fußgänger, Pkw-Fahrer, Lieferverkehr, ÖPNV) und sonstiger Stakeholder (z.B. Anwohner, Gewerbetreibende) formulieren.

      Auf dieser Ebene kann man Ziele und Prioritäten neu verhandeln und Konflikte identifizieren. Zum Beispiel ist es heute so, dass die Kapazität von Straßen und Kreuzungen für den Kfz-Verkehr oft höher gewichtet wird als alle Ziele des Radverkehrs. Diese Prioritäten führen dazu, dass sich potenzielle Ghostbike-Standorte – Radfahrer neben Abbiegern und gleichzeitig Grün – mit Bettelampeln abwechseln, an denen immer die Radfahrer halten müssen. Ändern sich die Prioritäten, so ändern sich auch die Lösungen.

      Wenn das jemand an einem Beispiel durchdeklinieren möchte, empfehle ich die innere Jahnallee in Leipzig (Google hat Links zur ganzen Geschichte). Dort zeigen sich so ziemlich alle Konfliktlinien und es gibt keine einfache Lösung - nicht mal als Notlösung – mit der alle zufrieden sind. Dort ist eine innerstädtische Hauptstraße nahe des Stadtzentrums mit Nutzungsanforderungen überlastet: Die Straßenbahn soll freie Fahrt haben, Ladeninhaber wollen Parkplätze für Kunden und Lieferverkehr direkt vorm Schaufenster, starker Kfz-Verkehr muss irgendwie durch und dann wollen auch noch Radfahrer ins Stadtzentrum, ohne zwischen parkenden Autos und den Straßenbahnschienen unter die Räder zu kommen. Die öffentliche Diskussion verläuft in den gewohnten Bahnen, jeder fordert seine Ideallösung. Hilfreich wäre jedoch, sich erst einmal darauf zu einigen, dass es kurzfristig weder eine Ideallösung noch einen guten Kompromiss gibt. Dann könnte man zum Beispiel aufhören, aus Prinzip nach einem Radweg zu schreien und vielleicht sogar verstehen, warum die Verkehrsbehörde zur gegenwärtigen Lösung gegriffen hat: Parkverbot und Tempo 30. Die verbessert nämlich, so man sie durchsetzt, die objektive Situation des real existierenden Radverkehrs bei moderater Einschränkung des Kfz-Verkehrs und ohne zusätzliche Behinderung des ÖPNV.

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  5. "Eine Frage des Geldes ist das aber leider nicht, sondern eine Frage der Mehrheiten im Gemeinderat."

    Da beisst die Katze sich doch in den Schwanz, denn die Haupthindernisse im Gemeinderat sind schliesslich das geheiligte Blechle, dessen Parkplaetze und natuerlich auch die Kosten.
    Wenn also durch Radstreifen sowohl Platz als auch Geld nicht mehr so kritisch sind, gaebe es vielleicht auch mehr Infrastruktur.
    Die Qualitaet ist auch stets besser als bei gesonderten Radwegen, und damit meine ich nicht nur die Oberflaeche, sondern insbesondere die Anschluesse.

    Uns dort breit zu machen, erledigen wir Radler dann schon von ganz allein.

    Gruss - Matthias

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  6. Was sagen unabhängige ökologisch orientierte Wissenschaftler dazu?

    Prof. Heiner Monheim:
    "Wo der Radverkehr schnell zunimmt und Radfahrer von der Ausnahme zur Regel im Verkehrsraum werden und wo sich im Zuge solcher Entwicklung die sozio-demographische Zusammensetzung der Radfahrenden und technische Zusammensetzung der Fahrradflotten ausdifferenziert und es mehr schnelle und langsame, mehr Alltags- und Gelegenheitsradler, mehr alte und junge Radler, mehr Lastenfahrräder und Fahrradanhänger, mehr elektrisch unterstützte und rein muskelgetriebene Fahrräder gibt, wächst deutlich der Flächenbedarf des Radverkehrs. Die Geschwindigkeitsdifferenzen und Überholvorgänge innerhalb des Radverkehrs nehmen zu. Deswegen brauchen Radverkehrsanlagen mehr Kapazität und Seitenflexibilität. Baulich eingegrenzte Radverkehrsanlagen und Radverkehrsanlagen auf Gehwegen können das nicht bieten. Wohl aber bieten Fahrbahnen ausreichend Reserven und Seitenflexibilität."
    aus:
    http://www.urbanophil.net/urbane-mobilitat/radverkehr-fortsetzung-der-infrastruktur-debatte-eine-reaktion-von-heiner-monheim/

    Alfons Krückmann

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