15. Mai 2019

Alles oder nichts ist keine Option für die Zukunft

Am Dienstag, 21. Mai, hätte im UTA über die Hauptradroute 2, Wangen-Hedelfingen entschieden werden sollen.

Das haben CDU und SPD in den Bezirksbeiräten Wangen und Hedelfingen am Montagabend torpediert. Die Planung, die Anfang des Jahres genau dort bereits fast einstimming angenommen worden war, wurde mit Zweidrittelmehrheit nun wieder abgelehnt. Verschiedenen Berichten zufolge ging es SPD und CDU darum, die Entscheidung auf bis nach der Kommunalwahl zu verschieben. Warum auch immer.

Im UTA (Ausschuss für Umwelt und Technik) hätte sogar die CDU zustimmen wollen, so unser Stand bis Montagabend. Nun hat selbst die SPD deutlich gemacht, dass sie nicht für einen Ausbau des Radverkehrs in vernünftigem Maß ist, wenn es konkret wird, obgleich sie beim Zielbeschluss für ein Fahrradfreundliche Stuttgart noch mit dabei war.   


Die HRR2 ist nun erneut im Bezirksbeirat behandel worden und soll am 23. Mai im Gemeindrat abgestimmt werden.

Der Gemeinderat kann vierzehn Tage nach einem abschlägigen Votum aus den Bezirksbeiräten dennoch diese Radroute beschließen, denn der Gemeinderat denkt für die ganze Stadt, nicht nur für einen Bezirk. (Das wird aber nach der Kommunalwahl sein, und falls sich die Mehrheitsverhältnisse zu Ungunsten des Radverkehrs ändern, dann war's das.) Hauptradrouten, die Stadtteile verbinden, hier Osten und Hedelfingen, liegen im Interesse der ganzen Stadt.*

Dass der Ex-Stadtist Schertlen auch seine Ablehnung angekündigt hat, ist damit fast ein Scherz, denn der war ja immer dagegen. Dabei war die HRR2 im UTA vor drei Jahren bereits angenommen worden. Schertlen, der mit SÖS-Linken, Piraten und Studenten eine Zählgemeinschaft und deshalb einen Sitz im UTA* hat, war in der Sitzung abwesend. Aber der SPD-Tiefbaubürgermeister Thürnau hat auf Antrag der CDU dann kurz darauf eine zweite Abstimmung durchgeführt, bei der Schertlens Ablehnung uns die Mehrheit gekostet hat. (Eigentlich darf eine Entscheidung des Gemeinderats (hier des UTAs) erst nach einem halben Jahr noch mal aufgerufen werden). Das hat dazu geführt, dass eine aufwändige neue Planung, jetzt mit von den Stadtteilen gewünschten Kreisverkehren gemacht wurde. Auch Vorschläge der Wangener CDU-Bezirksbeiträte wurden eingearbeitet.

Alle haben nun mit einer Zustimmung in den Bezirksbeiräten gerechnet. Aber die haben neue und alte Argmente dagegen gezogen. Die Hedelfinger brachten vor, solange kein gesamtheitliches Radkonzept, also eine Weiterführung nach Hedelfingen hinein vorliege, sei das sinnlos. Wangen fand dann, dass doch noch zu viele Parkplätze wegfallen und der PkW-Verkehr zu viele Beschränkungen hinnehmen müsse. Sie wollten wieder die Nätherstaße (wobei dort dann  sehr viel mehr Parkplätze wegfallen würden). Die Nätherstaße wird dennoch ertüchtigt, und sie ist auch nicht weg, man kann sie immer noch radeln. Sie hat halt dunkle und einsame Abschnitte, die sie als Nacht-Strecke für Frauen ungeeignet macht. Pefekt sind die geplanten Radfahrstreifen antlang der Hauptstaßenverbindung zwischen Osten, Wangen und Hedelfingen nicht (immerhin 2,25 Meter breit), aber sie sind sie entsprechen einem guten Standard. An der Schule soll es Schutzsstreifen und Temporeduzierung geben, weil die Fahrbahn zu schmal ist zwischen Gehweg und Stadtbahnschienen. Auch unter Radlern regt sich deshalb Widerstand, weil die Route nicht mit baulich von der Fahrbahn und Gehwegen getrennten Radwegen aufwartet, also nicht unseren größeren Ansprüchen genügt.

Die Fahrradpolitik wird gerade völlig zerrieben zwischen Maximalforderungen und Maximalablehnung.
HRR2 Auuschnitte aus den Plänen
So hat SÖS-Li-PluS kürzlich in einem Antrag gefordert, dass entlang aller Hauprradrouten alle Parkplätze beseitigt werden. Dass die Vertreter der Grünen im UTA das abgelehnt haben, hat ein Stadtrat dann in Twitter und Facebook medial ausgenutzt, um den Grünen vorzuwerfen, sie meinten es nicht ernst mit dem Zielbeschluss zum Radentscheid.

Dass ich es ernst meine, wissen hoffentlich alle, denn ich habe ihn ausgehandelt. Und die Grünen meines es auch ernst. Für mich steht außer Frage, dass an etlichen Stellen Parkplätze wegmüssen (das haben wir auch so beschlossen), wo die Radinfrastruktur Angst macht und gefährlich ist, weil sie in der Dooringzone liegt und Autos auf der anderen Seite zu knapp überholen (etwa auf der HRR 1 in Kaltental). Aber wir radeln auf der HRR1 auch durch viele Bereiche und Wohntstraßen (etwa die Burgstallstraße und Möhringer Straße), wo geparkte Autos nicht ganz so gefährlich sind, wenn wir nicht selber den Fehler machen, dicht an ihnen entlang zu radeln. Auch die in der Kehre nach Vahingen hinauf geparkten Autos halte ich für unkritisch, weil der Radfahrstreifen eine Autofahrspur breit ist und der Abstand zu den Parkenden durch Fahrbahnmarkierungen gewahrt wird. Man muss sich, finde ich, genau anschauen, wo es nötig ist, auf ganzer Länge Parkplätze wegzunehmen, und wo nicht unbedingt. Schließlich können die Leute ihre Autos nicht morgen an den Himmel hängen oder gleich abschaffen. Das Auto Abschaffen und aufs Fahrrad Umsteigen dauert eine Weile. In Kopenhagen war der Einzug von Parkplätzen auch ein langsamer Prozess, der unterhalb der Protest- und Skandalschwelle ablaufen sollte. So tief können wir ihn nicht halten. Aber der Aufstand einer Ahnwohnerstaße gegen den Radverkehr, wenn er sie alle Parkplätze kostet, hilft uns auch nicht, sondern verhindert Radstrecken. (An der HRR2 gibt es nicht mal Anwohner, und trotzdem kriegt sie nur schwer eine Mehrheit.)

Aus der Diskussion über diesen Antrag habe ich für mich die Erkenntnis gewonnen, dass wir aufpassen müssen, dass wir nicht durch Maximalforderungen eine Realisierung von Radwegen und Radfahrstreifen verhindern. Ich denke, wir dürfen uns zwar nicht mit der ERA-Genügsamkeit unserer Planer/innen bescheiden, sondern müssen ihnen Mut machen, den Radverkehr mutig und breit zu planen, aber wir dürfen auch nicht jede bereits gemachte Planung über zweieinhalb Jahre (wie die HRR2) hinweg in der Stadtverwaltung kursieren lassen, weil sie nicht alle unsere Ansprüche erfüllt oder wir uns ganz was anderes vorgestellt haben.

Wir müssen ein Maß zwischen Sofortkritik und Zustimmung finden, das ich jetzt mal "lösungsorientierte Verbesserungs-Kritik" nenne. Dabei geben wir unsere Ansprüche nicht auf, aber wir machen auch Zugeständnisse an die Topographie und momentane Befindlichkeit unserer Autogesellschaft und setzen darauf, dass eine Zunahme der Radfahrenden schon bald die Stadtplanung zwingt, die Radinfrastruktur zu verbreitern. Ohnehin müssen wir letztlich für jede Planung auch eine Mehrheit im UTA* und im Gemeinderat zusammenbekommen. Und wenn die einen sie ablehnen, weil sie ihnen zu weit geht (zu viele Parkplätze kostet) und die anderen einen Kompromiss ablehnen, weil er ihnen nicht weit genug in Richtung Stil Kopenhagen geht, dann werden wir keine Mehrheit bekommen, und nichts kommt auf die Straße. Vielleicht haben wir ja Glück und die Mehrheiten für den Radverkehr sind nach der Kommunalwahl am 26. Mai weniger wackelig als derzeit. Aber aber es wird auch dann wahrscheinlich eine Mehrheit aus mehreren Parteien sein müssen. (Und da 2020 ein OB-Wahl ansteht, ist der Wahlkampf auch nicht vorbei.)

Die modulare Radrevolution hat das Ziel immer im Blick. So geht es vielleicht am schnellsten: Wir fangen jetzt mal massiv an. Aber alles auf einmal, geht nicht, es muss alles nacheinander gehen: Wenn die Anschlüsse noch fehlen, ist das kein Grund, einen Radweg abzulehnen. Vielmehr erzeugt er den Druck, auch die Anschlüsse und Weiterführungen anzugehen. 
Oder, wenn es an einer Stelle einer langen Route der Enge wegen einen Schutzstreifen gibt, ist auch das kein Grund, die ganze Route abzulehnen. Dennoch hören wir nicht auf, mehr Mut für eine schöne und einladenden Radinfrastruktur zu verlangen. Aber das ist ein Prozess, der seine Zeit braucht. 
Ich bin nämlich grundsätzlich der Meinung, dass wir zur raschen Steigerung des Radverkehrs gerade unter denjenigen, die sich derzeit nicht trauen, weil der Autoverkehr gar so ungezügelt ist, nach Kopenhagener Vorbild von der Fahrbahn und von Gehwegen getrennte Radwege brauchen, auf denen wir uns geschützt fühlen und gut vorankommen. Doch der Umbau unserer Stadtstraßen (und in unseren Auto-Köpfen) zu solchen, auf denen Radfahrende sich immer ungestresst und ungefährdet fühlen, ist eine Herkulesaufgabe, die wir gerade beginnen. Und noch begegnen uns Radler/innen viele Einwohner/innen Stuttgarts mit Unverständnis bis Angst. Wir haben ja nicht alle Stuttgarter/innen auf unserer Seite. Wir können nicht gleich überall die Parkpätze rasieren und drei bis vier Meter breite Radwege hinlegen. Aber noch mal: Dennoch müssen wir mehr als bisher fürs Sicherheitsgefühl der jetzt noch Zögerlichen tun, sonst wird das auch nichts.

Wir müssen uns mit allen Ämtern zusammen echt Gedanken machen, wie wir vor allem das Sicherheitsgefühl auf unseren Radwegen erhöhen. Wir müssen so unaufgeregt und vertrauensvoll wie irgend möglich darüber reden, wie wir deutlich breiter und deutlich radweg-betonter (und weniger radstreifen-orientiert) fürs Fahrrad planen. Wir müssen dabei aber auch darüber nachdenken, wie wir dafür in den jeweiligen Bezirksbeiräten (auch bei Nichtradler/innen also) und im Gemeinderat, also in unserer demokratisch organisierten Stadtgesellschaft, eine Mehrheit bekommen. Für das Streichen von allen Parkplätzen auf einer Länge von 2 km in einem Wohngebiet wie Möhringer- und Burgstallstraße auf der HRR1 kriegen wir jedenfalls keine Mehrheit. Und übrigens auch keine Zustimmung in der Stadtgesellschaft. Wir werden sehr viel und sehr geduldig mit all denen reden müssen, die als Fußgänger/innen den Radverkehr hassen und mit denen, die meinen, der Autoverkehr müsse immer rollen. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Und da müssen wir uns schlau bewegen.

Wir werden viele Gespräche führen. Ganz, ganz viele. Das sage ich hier mal voraus. Ich habe damit auch schon angefangen.

Die E-Scooter könnten uns helfen.
Und eine Nachbemerkung möchte ich noch machen: Falls die E-Scooter (also die elektrischen Tretroller, die nun nicht mehr auf Gehwegen fahren dürfen, auch nicht die langsamen) tatsächlich bei uns auch so boomen, wie man das in ausländischen Städten beobachtet, dann brauchen wir noch schneller einen noch komfortamblere Ausbau der Radinfrastruktur. Manche sprechen schon von einer Verdopplung der Radinfrastruktur.
Diese E-Tretroller könnten uns also helfen, weil sie den Stadtverkehr zusätzlich chaotisieren, vor allem dann, wenn die Rollerfahrer auf der Fahrbahn Angst kriegen und sofort über alle Gehwege ausweichen. Zum Beispiel an so einer Stelle wie dieser hier in Zuffenhausen. Kein Rollerfahrer stellt sich hier im Stau hinten an.  (Ein Radler macht das auch nicht.) Und kein Autofahrer würde hier einen 12 km/h (oder auch 20 km/h schnellen) schnellen Tretroller-Fahrer vor sich ohne hupen dulden, wenn er vorn die grüne Ampel sieht, die er noch erreichen will, bevor sie rot wird.


* Zur Erklärung: Der UTA ist ein Ausschuss, in dem nicht alle 60 Stadträtinnen sitzen, sondern nur 17, so verteilt, wie es den Mehrheitsverhältnissen im Gemeinderat entspricht. Hier werden technische und verkehrliche Fragen disktuiert und beschlossen. Der Gemeinderat, das ganze Plenum, stimmt dann noch mal formell darüber ab und bestätigt das.

7 Kommentare:

  1. Schertlen bzw. Stadtisten ist nicht Teil der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS!

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  2. Ralph Gutschmidt15. Mai 2019 um 19:02

    Bzgl. Deinen Bild in Zuffenhausen möchte ich anmerken, dass man als Radfahrer hier nicht auf den Gehweg fahren muss. Man kann einfach links überholen. Ganz legal.

    Macht aber kaum jemand (außer mir)

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  3. Darf man mit dem Rad legal links am Stau vorbei?
    Ich dachte, man darf rechts vorbeifahren, wenn "ausreichend Platz ist"
    Jan

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  4. Hast du ein Autoführerschein wie ist es beim Auto geregelt! Soviel ich weiß noch von der Fahrschule ist allerdings schon einweile Her.In Deutschland fährt man rechts,Rechtsfahrgebot und zum Überholen fährt man links.Die Regel gilt auch für Radverkehr!

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    1. Nun ja, das man am Stau vorbei fährt ist ja für Autos wohl nicht vorgesehen. Weder links noch rechts. Und vorbei fahren sollen radler gemäß §5 Absatz 8 eben rechts. So viel zum Führerschein.

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  5. Wenn die Autos stehen, dürfen Radler rechs an ihnen vorbei. Ansonsten überholen sie links. Allerdings ist das Überholen einer Autoschlange links etwas, was Autofahrenden verboten wäre, weil Autofahrende nicht sicher sein können, ob sie bei Gegenverkehr eine Lücke in der Autoschlange finden. Das müssen Radfahrende für sich auch klären: Wie eng ist es, und kann ich dem Gegenverkehr ausweichen.

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  6. Der Autostau sollte das alleinige Problem der Verursacher bleiben; von daher wäge ich immer ab, ob ich links oder rechts besser dran vorbei komme. Rechts ist meiner Meinung nach die schlechtere Wahl, irgendein Heini steht immer mit seinem Auto bis an den Bordstein.

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