9. Juni 2023

Radfahren in Stuttgart wird zehn Jahre alt

Das hätte ich nicht gedacht, als ich am 10. Juni 2013 mit dem Blog anfing, weil mir auffiel, wie kompliziert die Verkehrswelt für Radfahrende ist. 

Hätten wir zusammen feiern können, aber morgen Nachmittag bin ich mit einer Fahrradgruppe in Stuttgart unterwegs. Es ist eine Stadtführung an Orte der NS-Militärgerichtsbarkeit in Stuttgart und bereits die zweite Kulturveranstaltung, bei der ich geholfen habe, sie als Radtour zu gestalten. Ende Mai war ich im Rahmen des Literaturfestivals mit dem Autor und Radler aus Tübingen, Joachim Zelter unterwegs. (Er kam mit dem Rennrad, fährt aber auch S-Pedelec.) Wir radelten und er las am Karlsplatz, am Karlsgymnasium, auf dem Santiago-de-Chile-Platz und am Garnisonsschützenhaus aus seinen Büchern. 18 Zuhörer:innen auf Fahrrädern waren dabei.  

Meine größte Sorge bei der Planung war, wie ich den Tross (es hätten ja auch 30 sein können) von der Seite der Tübinger Straße Richtung Neue Weinsteige über dem B14 kriege.

Überall sind die Ampelphasen für viele Radfahrende hintereinander zu kurz. Und mit Leuten, die vielleicht nicht geübt sind, die Sechzehner-Regelung zu nutzen und im Verband über eine Kreuzung zu radeln, wenn die Ampel für die letzten schon wieder rot geworden ist, war mir zu riskant. Wir hatten ja auch niemanden zum Korken. An der Cottastraße hätte zwar die Grünphase zur Querung der Hauptstätterstraße wohl gereicht, aber auf der anderen Seite müssen sich alle in eine schmale Radspur einfädeln und eine steile Einbahnstraße in Gegenrichtung hochradeln, auf der Autos kommen. Und ein Radlerstau auf der Hauptstätterstraße, wenn die Autos starten, sollte es nicht geben. Beim Übergang an der Landesbibliothek weiß man nicht so genau, ob die Ampelphase gerade so geschaltet ist, dass man nicht auf viel zu schmalen Mittelinseln gedrängt warten muss. Also wählte ich den Wilhelmsplatz, denn da kann man auf dem Platz selbst auf diejenigen warten, die es bei der kurzen Grünphase nicht geschafft haben. Das war dann aber gar kein Problem. Problematisch wurde es bei der Hochfahrt auf der Neuen Weinsteige, weil einige Teilnehmer:innen darauf nicht vorbereitet waren, es nur mit Mühe schafften und sich durch hupende und mit Strafabsicht knapp überholende Autofahrer:innen stark eingeschüchtert fühlten. (Bedingung war übrigens, dass wir wegen der Rennräder auf Asphalt radeln, nicht durch den Wald.)

Was ich dabei gelernt habe: Auch wenn man ausdrücklich vor Bergfahrten warnt, kommen Leute, die noch nie die Erfahrung gemacht haben, dass es in Stuttgart echt lange bergauf geht (sie radeln nur im Kessel), und die das Fahrbahnradeln nicht gewöhnt sind. Und es gibt mindestens einen technischen Defekt an einem Fahrrad. Da man aber mit Fahrrädern richtig gute kulturelle Stadttouren machen kann, bei denen man Orte besucht, die ein paar Kilometer auseinander liegen, lohnt es sich, Erfahrungen zu sammeln, wie so was geht, und wo Probleme auftauchen. 

Das Hauptproblem bei geführten kulturellen Radtouren ist, dass es weder auf Rad-Routen durch Nebenstraßen noch gar auf Rastreifen oder Radwegen einfach ist, viele Radfahrende durchzuschleusen, etwa an geparkten Autos entlang durch schmale Straßen mit Autoverkehr, über Kreuzungen, durch Kreisverkehre oder über Ampelanlagen. Auf ein solches auch touristisches Element (geführt Radtouren) ist Stuttgart noch überhaupt nicht vorbereitet. Unsere Infrastruktur kann eigentlich mehr als ein halbes Dutzend Radfahrende zu gleicher Zeit an gleicher Stelle nicht abwickeln. 

Zum zehnten Geburtstag von Radfahren in Stuttgart möchte ich nun noch noch euch Leser:innen danken, sowohl für stille Anteilnahme als auch für kluge Kommentare. Mich haben sie immer mit zusätzlicher Information versorgt, auf Idee gebracht oder schlichtweg gefreut. Danke auch an alle, die mir Mails schreiben, mich auf Missstände hinweisen oder mir ein Thema vorschlagen. Ich alleine kann ja leider nicht an allen Orten in Stuttgart sein (ich habe halt auch meine meist gefahrenen Wege) und bin dankbar für Hinweise und Fotos von euch. 

Wenn es aus Glas ist, kann man ein Rad auch 
mit Schnaps füllen. 
Ich habe mich nicht an jedem Jahrestag selber gefeiert, aber an etlichen schon. Hier ein Überblick: 

  • Erster Geburtstag 2014
  • Zweiter Geburtstag 2015. Damals veranstalteten wir Raddemosm, um das Stoppschild an der Tübinger Straße, das am Radweg stand, für die Autofahrenden umzudrehen, was gelang. 
  • 2016 habe ich mich am 11. Juni (dritter Geburtstag) mit der damals heftig diskutierten Hauptradroute 2 in Wangen und Hedelfingen beschäftigt. Es fiel der Beschluss, dass sie gebraut werden kann. Erst jetzt baut man daran, fertig ist sie noch nicht, und dort, wo sie fertig ist, begeistert sie uns nicht. Im Gegenteil. So sehen schlechte Kompromisse aus. 
  • Vierter Geburtstag 2017 mit einem Dankesbrief eines Bloglesers. 
  • Am 9. Juni 2018 (fünfter Geburtstag) habe ich gemeldet, dass die Unterschriftensammlung für den Radentscheid beginnt. 
  • Am 10. Juni (sechster Geburtstag) habe ich über die Speiche in Vaihingen geschrieben, weil der Fahrrad laden schloss. 
  • Siebter Geburtstag 2020
  • Am 10. Juni 2021 (achter Geburtstag) habe ich über Radfahrende und Fußgänger:innen im Schlossgarten geschrieben. 
  • Neuner Geburtstag mit einer Übersicht über meine bis dahin erfolgreichsten Artikel

12 Kommentare:

  1. Herzlichen Glückwunsch zum zehnjährigen Jubiläum. Ich lese Ihre Beiträge immer mit großem Interesse.

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  2. Auch von mir herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für deinen interessanten Blog!
    Thomas

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  3. HerzlIchen Glückwunsch und Danke für die unglaubliche Mühe und Arbeit. Man denke nur: alle zwei Tage ein Artikel, und das seit Jahren (wenn auch wohl nicht über die gesamten zehn Jahre hinweg).
    Was ich neben den immer sehr fundierten Artikeln als sehr positiv empfinde, ist die weitestgehende Abwesenheit von Fahrradhasser-Kommentaren.
    Hoffentlich hast du noch lange die Kraft, hier weiterzumachen.

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  4. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum und Danke für den Blog und deine Engagement außerhalb!
    MfG, Georg

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  5. glueckwunsch und danke fuer den blog. auch wenn ich nur stiller mitleser bin, moechte ich den blog nicht mehr missen - bitter weiter machen!

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  6. Herzliche Gratulation! Sehr schöner Blog und sehr hilfreich um die Fahrrad Infrastruktur in Stuttgart zu verbessern! Weiter So!

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  7. Herzlichen Glückwunsch zum zehnjährigen Jubiläum und vielen Dank für die interessanten Beiträge. Ich habe hier trotz langer Raderfahrung noch einiges neues gelernt und schätze die faktenorientierte und unaufgeregte Berichterstattung und auch Kommentare sehr. Danke auch für das politische Engagement und dafür, so manche teils schwer nachvollziehbare Entscheidung im Bezug aud Stuttgarter Rad-Infrastruktur zumindest aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und etwas nachvollziehbarer zu machen!

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  8. Schliesse mich den Vor-Gratulanten an und gratuliere herzlich zum 10-Jährigen. Lese (fast) immer mit und möchte Frau Lehmann ermutigen, diesen Blog weiterhin zu pflegen. Es ist die Stimme der Radfahrenden in Stuttgart und Umgebung!
    Friedemann

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  9. Danke für die viele viele Arbeit.
    Großartiger und wichtiger Blog!
    Alfons Krückmann

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  10. Ich danke euch für die Glückwünsche und die freundlich positive Rückmeldung zu meinem Blog. Ich mache gerne noch eine Weile weiter. 😊

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  11. Auch als nur sporadischer Leser - Vielen Dank für diesen Stuttgarter Rad-Blog. Viele interessante Informationen, die man als Radler gerne erfährt, gerade weil man nur wenige Strecken öfters fährt.
    Christian M.

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  12. Glückwunsch zum Jubiläum. Als du diesen Blog ins Leben gerufen hast wurde bereits seit 4 Jahren an S21 gewerkelt.

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